Berlin. .

In Teil 3 seines Afghanistan-Tagebuchs berichtet ein Bundeswehr-Soldat über die stetig wachsende Gefahr im Kriegsgebiet. Er schreibt auch über die Wut der Kameraden, als ein Offizier sagt: Drei tote Soldaten seien besser als ein toter Zivilist.

Ohne Datum:

Wir sind alle stinksauer weil uns verschiedentlich mitgeteilt wurde: Ein hoher Offizier habe nach den Verlusten in Isa Khel gesagt, man nimmt es lieber hin, wenn drei von uns sterben als einer von der afghanischen Bevölkerung. Der Tod deutscher Soldaten lasse sich besser in Deutschland verkaufen als der von Afghanen.

15. April

Feuergefecht in Baghlan: Es soll schon 4 Tote gegeben haben. Und Verletzte, vier davon schwer. Es wird hier immer schlimmer in diesem Scheißland, und uns werden die Hände gebunden. Denn bei fast allen Aktionen, die wir machen, können Zivilisten zu Schaden kommen. Dabei sind die angeblichen Zivilisten vermutlich verkappte Taliban. Uns wurde auch noch mitgeteilt, dass alle G3 Gewehre eingesammelt werden. Nur noch Soldaten, die an dem Gewehr ausgebildet sind und die passenden Schießübungen geschossen haben, dürfen das G3 behalten. So etwas Lächerliches! Die Begründung ist, wenn wir mit einer Waffe, an der wir nicht ausgebildet sind, jemanden Falschen erschießen, dass wir dann sofort in den Knast kommen. Aber vorher hatten die Kameraden doch auch das G3 ohne Schießausbildung genutzt. Was denn nun?

16. April

Um 19 Uhr war Antreten der Kompanie. Nochmal Ansage zum Gefecht in Baghlan. Es wurde mitgeteilt, dass wir alle unsere Erkennungsmarke tragen sollen, da bei den Gefallenen das Problem aufgetreten ist, dass die Leichen bis zur Unkenntlichkeit verbrannt sind und man zurzeit noch nicht in der Lage ist, zu sagen wer, wer ist.

Ohne Datum

Von den Taliban wurde angeblich eine Schura abgehalten, eine Art Ratsversammlung der Ältesten oder Einflussreichsten. Dort wurde das weitere Vorgehen gegen uns besprochen. Man hat dort von Angriffsplänen für eine spezielle Woche gesprochen, aber man weiß nicht genau, welche. Man vermutet, dass unsere Außenposten, die Höhen 431 und 432 genommen werden sollen und das Polizei- Hauptquartier gestürmt werden soll.

19.Mai

Lagebericht:: Es gab einen Angriff auf das US-Lager in Bagram mit sechs Selbstmord- Attentätern und etwa 40 Taliban, die versucht hatten das Lager zu stürmen. Bagram liegt sehr weit weg von uns im Süden. Aber das ist trotzdem der Hammer, da dort die Amis stationiert sind und die alles an militärischem Gerät haben, was man sich wünschen kann. Die Taliban hatten nicht den Hauch einer Chance mit 40 Mann.

Ohne Datum:

Ein Dingo wurde angesprengt, der Dingo hat sich dabei auf die Seite gelegt. Es soll aber niemand schwerer verletzt worden sein. Man hat sogar zwei Spotter, das sind die Beobachter und Melder von den Taliban, in einer Entfernung von ungefähr 500 Metern gesehen. Die sind nach dem Knall weggerannt, aber man hat sie leider nicht mehr erwischt.

Ohne Datum:

Lagebericht: Es wurde gemeldet, dass die Aufständischen sich wieder gut ausgerüstet haben in Pakistan. Sie sollen so viel gekauft haben, dass sie sogar Waffen und Munition zurücklassen mussten. Jetzt ist auch die Erntezeit beendet und das heißt, dass die nächste Zeit schlimm werden könnte. Heute gab es auch wieder Angriffe auf eigene Teile. Hier ist aber nichts passiert. Dafür haben die Taliban in „Feysabad“ ein Fahrzeug weggesprengt, es gab zwei Verletzte. Ich bin dann zum Sport. Essen war wieder scheiße

20. Juni

Heute wurden wieder Teile der Schutzkompanie an der „Kamins“-Route angesprengt. Und als genug von uns da waren, ging eine zweite Sprengladung hoch. Gott sei Dank nur vier Leichtverletzte bei uns. Und dann hieß es auch schon wieder: Köpfe runter. Aber das Feuer wurde sofort erwidert und dann war bald Ruhe. Aber es sollen noch mehr Eier dort für uns parat liegen. Heute bei der Lage: Die Haubitzen wurden angeschossen, das muss ganz schön gerumst haben. Jetzt müssen wir sie nur noch endlich einsetzen dürfen.

Ende Juni

Zum Abschluss des Monats wurde die Statistik rausgekramt. Zum Vergleich des letzten Monats zum Vorjahr hatten wir bei Raketenangriffen einen Anstieg von 500 Prozent, bei IED (Sprengfallen) um 330 Prozent und bei Hinterhalten und Angriffen auf deutsche Teile um 40 Prozent. Kann sich doch echt sehen lassen. Bei uns wird alles besser im bösen Sinne.

1. Juli

In der Stadt Kundus soll sich um drei Uhr morgens erst ein Selbstmordattentäter vor einem Hotel in seinem Auto in die Luft gesprengt haben. Kurz danach ist wohl noch einer zu Fuß in das Hotel marschiert und hat sich dann gesprengt. Die erste Explosion von dem Auto hat man sogar noch im Lager gespürt. Nach den zwei Explosionen haben dann nochmal Taliban auf das Hotel angesetzt und mit Kalaschnikows und Panzerfäusten das Hotel beschossen. Von den Taliban sollen dabei 4 getötet worden sein.

Der Grund für den Angriff war, das in dem Hotel zwei Firmen untergebracht sind. Eine Hilfsfirma und eine Sicherheitsfirma. Auf der Seite der Firmen gab es mehrere Tote, einer davon war Deutscher. Unsere Sanis haben dann die ganzen Verletzten zusammengeflickt.

10. Juli

Lagebericht: Ein Dingo von uns wurde bei J 92 (Observationspunkt Juliet 92) angesprengt. Zum Glück nur einer leicht verletzt, aber das Auto ist platt. Dann wurde noch ein zweites Fahrzeug bei J92 angesprengt. Dieses Mal war es ein Fuchs von den Störern, die die Funkfrequenzen der IED´s (Sprengfallen) stören sollen, damit sie nicht gezündet werden können. Hat dieses Mal wohl nicht geklappt, oder das Ding hatte einen anderen Zündmechanismus. Auch dieses Mal gab es zum Glück nur einen leicht verletzten Kameraden. Dazu haben die eigenen Teile Feuer bekommen mit Kalaschnikows und Panzerfäusten. Aber wir haben mit der Haubitze zurückgefeuert. Dumm nur, dass sie mit dem Ding einmal 800 Meter vorbei geschossen haben. Und einmal wussten sie nicht mal genau, wo sie eingeschlagen ist. Es hat trotzdem gewirkt, die Taliban haben sich verzogen.

Redaktioneller Hinweis: Auszüge aus einem subjektiven Tagebuch eines gerade aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrten deutschen Soldaten. Unter Zusicherung der Anonymität spricht er offen über seine Einsatzerfahrungen, die keinerlei Anspruch auf Objektivität, Vollständigkeit oder Ausgewogenheit in der Darstellung erheben. Um ihn zu schützen und um seine Karriere nicht zu gefährden, sind Orts- und Zeitangaben sowie Details anonymisiert. Die Nachrichtenagentur dapd hat sich der Identität und Integrität des Soldaten versichert. (dapd)