Berlin..
In Teil 7 seines Afghanistan-Tagebuchs schreibt ein Bundeswehr-Soldat über die ständige Bedrohung durch Sprengfallen, feindselige Einheimische und seinen größten Wunsch: „Ich will nur noch mit heilen Knochen nach Hause zu meiner Frau kommen“.
Ein Montag im Mai
Heute ist es bedeckt, es herrschen angenehme Temperaturen. Wir sollen Routen checken und Kontakt zu den Einheimischen suchen. Da, wo wir hin sollen, gibt es eine ständige Bedrohung durch IED (Improvised Explosive Device, Sprengfallen). Natürlich gibt es dort auch Taliban, und wer kein Taliban ist, soll kriminell sein. Um so weiter wir nach Süden gekommen sind, um so unfreundlicher wurden die Menschen. Wir wurden immer böser angeschaut. Die Kinder wurden zum Teil in die Hütten gezogen. Andere Kinder, die stehen geblieben sind, haben vereinzelt mit den Fingern angedeutet, dass sie auf uns schießen wollen. Uns war nicht besonders wohl bei der Sache. Man sieht gleich, dass das Gebiet einem nicht freundlich gesonnen ist und wir haben uns innerlich schon darauf vorbereitet, dass gleich was passiert. Wenn schon die Kinder so tun, als ob sie einen erschießen wollen, wenn die Leute so böse gucken und wenn die Kinder von der Straße gezogen werden, dann wird es ernst. Wenn sich die Straßen leeren ist das oft ein Anzeichen dafür, dass es gleich losgeht. Ich hatte ein echt ungutes Gefühl im Bauch, die Tour wollte einfach kein Ende nehmen. Wir sind aber heil zurück gekommen.
19. Mai
Wir mussten verdammt früh aufstehen für die Fahrt in den hohen Norden. Von der Einsatzzentrale kam noch eine Selbstmord-Attentäter-Warnung. Es soll ein weißer Toyota Corolla sein. Das Ding ist nur, zwei Drittel aller Autos hier sind weiße Toyota Corolla. Da kann ich doch gar nichts machen, wenn ich die sehe. Sonst müsste ich ja alle paar hundert Meter irgendeinen Corolla zu Klump schießen. Ich kann nur schauen, wie verhält er sich? Wie guckt er? Ist er alleine? Alleine ist immer schon kein gutes Zeichen. Aber viel Entscheidungszeitraum habe ich sowieso nicht mehr. Wenn ich sehe, da sitzt nur eine Person drin und der kommt jetzt gefährlich nah, dann habe ich nur noch Bruchteile von Sekunden, bis er dann wirklich auf unserer Höhe ist. Das ist sehr, sehr unangenehm.
Wir sind nach und nach los, insgesamt über 50 Fahrzeuge. Wir kamen wirklich gut vorwärts Richtung Norden. Wir haben uns dann an einem Platz gesammelt und nach 360 Grad gesichert. Nach zwei Stunden sollte es weitergehen. Da kam ein Auto von einer zivilen Firma auf uns zu. Die Fahrer haben einen Kameraden gefragt, wann wir endlich weiterfahren würden. Das war für den Kameraden zunächst eher eigenartig, nach dem Motto: Was will der Zivilist von mir? Er hat also zurückgefragt, warum wir denn bitte abhauen sollen. Da sagen die, wir sind das Minenräumkommando und ihr steht mitten in unserem Minenfeld, das würden wir jetzt gerne weiter räumen. Das war natürlich der Brüller, dass die Hälfte von uns in einem Minenfeld gestanden hat. Die Fahrzeuge sind ganz, ganz vorsichtig in ihren alten Fahrspuren wieder rausgefahren aus dem Minenfeld, damit es keine unangenehmen Überraschungen gibt.
Während der Fahrt wurde von der Drohne gemeldet, dass sich 20 Taliban zur Verteidigung einer Brücke eingerichtet hatten, wo wir hin wollten. Wir hatten uns schon gefreut, denen jetzt mal richtig in den Arsch zu treten. Aber als wir dort angekommen sind, waren sie schon weg. Die haben wahrscheinlich gekniffen. Bei der Masse an Kräften kann ich das auch sehr gut verstehen. Es blieb dann die ganze Zeit alles ruhig. Um 22 Uhr waren wir dann wieder drin. Mir hat jeder Knochen weh getan von der knapp 16 Stunden dauernden Tour. Ich bin auch bald wie tot in mein Bett gefallen.
Ende Juni
Heute ging es wieder in den Distrikt Chahar Darreh. Es ist wieder extrem heiß und wir haben alle wie verrückt geschwitzt. Um so heißer es hier wird, um so größer wird das Problem mit dem Trinken. Man kann gar nicht so schnell trinken, wie das Zeug wieder verdunstet. In den Fahrzeugen selber sind das schnell mal 50 oder 60 Grad, das ist wie eine Sauna. Und wenn man draußen in voller Montur mit der fetten Panzerweste in der prallen Sonne patrouilliert oder sichert, das ist schon massiv. Die letzten Tage habe ich mir viele Sorgen um IED (Sprengfallen) gemacht, aber als wir heute aus dem Tor gefahren sind, war alles wie weggeblasen. Sobald ich auf meinem Posten bin, bin ich wie immer hoch konzentriert und schaue, ob uns etwas bedrohen könnte. Aber manchmal beiße ich die Zähne so zusammen, dass mir der ganze Kiefer schmerzt.
Kurz vor Einsatzende
Es ging wieder raus ins Indianerland (Gebiet unter Kontrolle der Aufständischen). Als wir in ein Dorf gefahren sind, ist mir ganz anders geworden. Die Wege sind immer enger geworden und waren an den Rändern stark mit Bäumen und Büschen bewachsen. Es war ein supergutes Hinterhalt-Gelände. Wir konnten nur noch Schrittgeschwindigkeit fahren und hätten nicht ausweichen können. Und in letzter Zeit hat es fast täglich geknallt. Wir haben auf der Bude vorher noch darüber geredet: Jetzt ist uns schon so lange nichts mehr passiert, jetzt sind wir bald fällig. So langsam ist das persönliche Glück aufgebraucht. Der Gedanke im Kopf wird immer stärker: Lange geht das nicht mehr gut, lange mache ich’s hier nicht mehr.
Neulich wurde beim Lagebericht gesagt, dass man in Betracht zieht, die Bundeswehr-Außenposten, also die Höhen 431 und 432 und das PHQ (Polizeihauptquartier) aufzugeben, um Kräfte freizuschaufeln. Mir soll es recht sein, Dreckslöcher. Dann muss da keiner mehr raus. Das hätte dann aber zur Folge, dass wir uns dort überhaupt nicht mehr sehen lassen können. Wir sind ohne Zwischenfälle wieder rein gekommen, aber jetzt ist es genug. Ich will nur noch mit heilen Knochen nach Hause zu meiner Frau kommen. Heute kein Training, ich hab es die Tage wohl etwas übertrieben, nur noch ein bisschen DVD und dann ins Bett.
Redaktioneller Hinweis: Auszüge aus einem subjektiven Tagebuch eines gerade aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrten deutschen Soldaten. Unter Zusicherung der Anonymität spricht er offen über seine Einsatzerfahrungen, die keinerlei Anspruch auf Objektivität, Vollständigkeit oder Ausgewogenheit in der Darstellung erheben. Um ihn zu schützen und um seine Karriere nicht zu gefährden, sind Orts- und Zeitangaben sowie Details anonymisiert. Die Nachrichtenagentur dapd hat sich der Identität und Integrität des Soldaten versichert. (dapd)