Berlin..

In Teil 5 seines Afghanistan-Tagebuchs berichtet ein deutscher Bundeswehr-Soldat über Zynismus und Abstumpfung im Kriegsgebiet. „Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und die Späne sind nun mal auch afghanische Zivilisten“, schreibt er.


4. April

Mir geht es gar nicht gut. Ich fühl mich ganz ditschig, bin kaum aus dem Bett gekommen. Heute ist der Trauer-Appell gewesen. Das war sehr ergreifend. Vor allem für die Kameraden, die mit den Toten befreundet waren. Einige sind einfach aus der Formation gegangen, weil sie ihre Trauer und ihr Entsetzen über den Tod ihrer Kameraden nicht mehr ertragen konnten. Abends habe ich noch mit zu Hause, meiner Frau, telefoniert. Sie sagte, dass ich mich komisch anhöre. Ich habe mich auch komisch gefühlt.


Ohne Datum

Das afghanische Roshan Handy-Netz funktioniert abends nicht mehr. Wir benutzen es alle, um SMS nach Hause zu schicken. Das liegt daran, dass die Taliban den Roshan Betreibern gesagt haben, dass sie es abends ausschalten sollen, sonst machen sie das selber. Und Schwupp, schon ist in der ganzen Kundus-Provinz ab 18.00 Uhr Ruhe. Das sagt doch sehr viel über die tatsächlichen Machtverhältnisse hier. Die ANP (Afghanische National Polizei) hält die Verbindung zu uns über genau dieses Handy-Netz.





Dazu kommt, dass es bestätigt ist, dass die Taliban jetzt Nachtsicht-Geräte haben! Das kann ja was werden. Wenn wir nicht bald mal anfangen, uns zu wehren, dann gibt es bald nichts mehr zu wehren. Wo gehobelt wird, da fallen Späne, und das muss die Politik begreifen. Und die Späne sind nun mal nicht nur unsere gefallenen Kameraden, sondern auch afghanische Zivilisten, die in den meisten Fällen ja nicht mal welche sind, sondern eigentlich zu den Aufständischen dazu gehören.


Ohne Datum

Lagebericht: Es gab einen TIC (Troops in Contact - Feuergefecht) der Infanterie zwischen dem Polizeihauptquartier und dem Punkt J92. Da sollen 200 Patronen 20 mm HE (hochexplosiv) verschossen worden sein. Unsere Kameraden haben mit ihren Mardern schön reingehackt. Nach ihren Angaben haben sie 4 Taliban zerlegt. Abends haben wir noch im Lummerland, unserer Betreuungseinrichtung, ein bisschen gequatscht und jeder 2 Bier getrunken. Mehr darf man ja nicht.


Ohne Datum

Heute wurde angesagt, dass Taliban, auch wenn sie Waffen haben, als Zivilisten mit Waffen anzusehen sind. Erst, wenn sie auf uns schießen, werden sie zu Taliban, die man bekämpfen darf. Für mich ändert sich da nichts. Das Bild, wie man es uns erklärt hat, dass die Taliban teilweise Armee-Kleidung tragen, dass die ihre Kalaschnikow tragen, oder RPGs (Panzerfäuste) auf dem Rücken, Patronengurte um den Hals, oder Magazine in einem Koppel vor dem Bauch, das stimmt einfach nicht. Die sind total heimtückisch, die sehen aus wie alle anderen Afghanen auch, wie Zivilisten, ganz normal, die sind nicht zu unterscheiden. Das Einzige, wo man sagen kann, ich kann da einen kleinen Unterschied machen, ist, wenn ich es schaffe, denen in die Augen zu schauen und sehe, wie sehr sie mich verabscheuen. Ich kann mich sonst nur danach orientieren, wo das Feuer herkam. Und wenn dann in der Richtung welche stehen, sind die wohl dafür verantwortlich. Dann wird auf die gefeuert. Was wollen sie denn machen, wenn man den Falschen erwischt? Muss ich dann ohne Abendessen ins Bett - oder wollen sie mich nach Hause schicken? Besser Bau als Kiste, lieber Knast als Sarg, das steht fest. Danach bin ich zum Sport gegangen.


Ohne Datum

Sechs Taliban haben einen Chef der Arbaki (Stammesmiliz) in seinem Auto mit RPG und Kalaschnikow beschossen. Dabei sind zwei seiner Jungs tödlich getroffen worden und verbrannt. Sein Cousin ist am Kopf verletzt worden, und er hat vier Bauchschüsse bekommen und liegt jetzt bei uns im Rettungszentrum. Die anderen Arbaki haben die sechs Taliban aber erwischt und abgemurkst. Seitdem soll es in dessen Gebiet die ganze Zeit knallen. Es sollen schon 26 Taliban getötet worden sein und 6 von den Arbaki-Milizen. Langsam wird es auffällig, finde ich. Der Taliban sitzt uns direkt im Nacken. Der Panzer Leopard würde hier echt was bringen, wegen der Panzerung und wegen der Durchschlagskraft und der Reichweite der Waffen.


Ohne Datum

Feuergefechte beim Polizeihauptquartier an der Route „Kamins“, schon vier Tote auf Seiten der Taliban. Die wurden von einer Panzerfaust getroffen. Das hat mich so nicht weiter beunruhigt, da es ja keine Toten auf unserer Seite waren. Die Aufständischen lassen sich von normaler Munition kaum beeindrucken. Wir haben gehört, die haben vor Gewehrmunition keine Angst, weil sie dann noch am Stück sind. Deswegen hilft es viel mehr, wenn wir sie mit Sprengmitteln belegen. Wenn sie von einer Granate getroffen werden und zerfetzt werden, dann müssen danach ihre Freunde kommen und die ganzen Teile aufsammeln. Denn wenn sie nicht vollständig begraben werden, haben sie Probleme im muslimischen Himmel.


Ohne Datum

Die Taliban haben unsere Außenposten, die Höhen 431 und 432, mit Parolen beschallt. So was wie: „Gebt auf und geht nach Hause. Es gibt nur einen Glauben und einen Gott, und ihr habt keine Chance gegen ihn.“ Das, was uns am meisten daran beunruhigt ist, dass es auch noch auf Deutsch war.


Ohne Datum

Bei den TE Punkten (Lageberichten) haben wir gesagt bekommen, dass bei Baghlan, wo zurzeit auch gerade wieder eine Operation läuft, die Taliban ein Dorf eingenommen haben. Sie haben einen Trupp von der ANP (Afghanische Nationale Polizei) umzingelt und ihnen dann die Köpfe abgeschnitten. Was für ein barbarisches Pack. Nach den TE-Punkten habe ich mich wieder zum Training verkrümelt.

Um 23 Uhr habe ich mal wieder einen lauten Knall gehört. Und kurz danach kam wieder die Gewissheit. Es wurde über die Lautsprecher eine Raketen-Warnung ausgegeben. Mit der Zeit schenkt man solchen Nebensächlichkeiten kaum noch Beachtung. Ich habe mich dann schlafen gelegt.


Redaktioneller Hinweis: Auszüge aus einem subjektiven Tagebuch eines gerade aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrten deutschen Soldaten. Unter Zusicherung der Anonymität spricht er offen über seine Einsatzerfahrungen, die keinerlei Anspruch auf Objektivität, Vollständigkeit oder Ausgewogenheit in der Darstellung erheben. Um ihn zu schützen und um seine Karriere nicht zu gefährden, sind Orts- und Zeitangaben sowie Details anonymisiert. Die Nachrichtenagentur dapd hat sich der Identität und Integrität des Soldaten versichert. (dapd)