Brüssel.

Angela Merkel überrascht Europa. Beim EU-Gipfel hat sich die Kanzlerin in wesentlichen Punkten durchgesetzt. Die dafür nötigen Bauernopfer waren wohl kalkuliert.

Soweit Politik Schachspiel ist, hat Angela Merkel eine staunenswerte Partie abgeliefert. Als die Deutschen im Strudel der Griechenland-Krise die Parole ausgaben, zur wirksamen Vorbeugung gegen derartige Fälle von Gefährdung der Gruppe durch Schlendrian einzelner müsse der soeben erst verabschiedete EU-Vertrag nachgebessert werden, gab es bei EU-Partnern wie in der breiteren Öffentlichkeit nur Kopfschütteln. Gepaart mit der stillen Vorfreude, bei diesem Unterfangen werde sich die Kanzlerin eine blutige Nase holen. Allein gegen alle, wo Einstimmigkeit nötig ist? Das konnte nur mit einer Niederlage enden.

Es hat mit einem Sieg geendet, der einige Überrumpelte noch nach Ende der Partie ungläubig aufs Spielbrett starren ließ. Ein erfahrener britischer Berufseuropäer verkündete hinterher, der große Sieger sei der belgische Ratspräsident Herman Van Rompuy. So kann man Ursache und Wirkung verwechseln. Van Rompuy gehört in diesem Spiel zu den Figuren, die von Merkel mit kühler Berechnung dahin geführt wurden, wohin sie wollte.

Die Bauernopfer erfüllen ihren strategischen Sinn

Das war nicht, wie die anderen anfangs mutmaßten, die Möglichkeit, Serien-Sündern den Euro wieder wegzunehmen. Es war auch nur in zweiter Linie die Aufnahme der politischen Kapitalstrafe “Stimmentzug” in den Sanktionen-Katalog. Es war vor allem ein neu im EU-Vertrag verankerter Notfall-Mechanismus, der dazu führen wird, dass Griechen und andere Länder mit unpreußischem Ausgaben-Verhalten nicht mehr zu denselben niedrigen Zinsen frisches Geld bekommen wie die Deutschen. Sicher hat Merkel Zugeständnisse gemacht: An wichtigen Stellen des Disziplinarverfahrens in der EU-Hausordnung folgt nicht die Strafe “automatisch” auf dem Fuß, sondern erstmal ein Beschluss des Ministerrats. Und ob und wie das Druckmittel Stimmverlust jemals EU-Realität wird, steht auch nach dem jüngsten Gipfel in den Sternen.

Als Bauernopfer haben diese Konzessionen aber ihren strategischen Sinn erfüllt. Vor allem haben erst sie den Deutschen die Unterstützung des französischen Präsidenten Sarkozy gesichert, ohne die der Erfolg in der Hauptsache nicht zu schaffen gewesen wäre.

Der Sieg, so eindrucksvoll er war, ist freilich ein zweischneidiger Erfolg. Er wurde vom stärksten EU-Land mit harten Bandagen erkämpft, mehr oder wenig offene Drohungen inklusive. Die Verlierer fühlen sich auch als solche. Eine belgische Zeitung brachte es auf den Punkt: “Nein zu Merkel ist keine Option”. Lustig ist das nicht. Die Kanzlerin hat sich durchgesetzt, Freude hat sie nicht verbreitet, Freunde sich nicht gemacht. Vielleicht hat sie sogar welche verloren, siehe die erkennbare Verbitterung des Luxemburgers Juncker. Das mächtige Deutschland gibt in der EU deutlicher den Ton an als je zuvor – aber die Distanz zu den anderen ist gewachsen.