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Ein-Euro-Jobber pflegen den Golfplatz, Oscar Lafontaine schimpft über „doppelten Betrug“, und die Profis reden die Normalbürger an die Wand: erwartbare Aufregung also bei „Hart aber fair“ zu Hartz IV – mit interessanten Details.

Zwei Politiker auf der Linken, ein privater Arbeitsvermittler und ein professioneller Streiter fürs Soziale auf der Rechten, im Zentrum eine allein erziehende Mutter, die selbst zwei Jahre lang arbeitslos von Hartz IV gelebt hat: Das war diesmal die Expertenrunde in der ARD-Sendung „Hart aber fair“. 75 Minuten lang ging es um die erneute Hartz-Reform, die die Bundesregierung schleunigst durch die politischen Gremien bringen muss. Denn zum 1. Januar 2011 muss sie in Kraft treten.

Am Nachmittag hatte die Bundesarbeitsministerin in Berlin ihren Entwurf zur Regelung der höchstrichterlich angeordneten Nachbesserung vorgelegt. Diesmal war das Echo deutlich unaufgeregter als Ende September. Damals hatte sie die Katze aus dem Sack gelassen: Der Regelsatz für Erwachsene soll im neuen Jahr von 359 auf 364 Euro steigen – fünf Euro mehr.

Ein Aufreger der letzten Wochen war: In der neuen Kalkulation hatte Ministerin von der Leyen „Genussmittel“ wie Alkohol und Zigaretten gestrichen. Begründung: Beides gehöre nicht zum Existenzminimum, das Hartz IV sichern soll.

Was die Normalbürger zu sagen haben

„Volkserziehung durch Vater Staat?“ hatte Moderator Frank Plasberg deshalb seine Mittwochsrunde überschrieben. Eine heiße Debatte oder gar harte, aber faire Konfrontationen gab es nicht. Die drei Talkshow-erprobten Profis – Christian Lindner, der FDP-Generalsekretär, Oskar Lafontaine, der ehemalige Vormann der Linken, heute Fraktionschef der Partei im Saarland, und Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Dachverbandes „Der Paritätische“ – lieferten erwartbar unterschiedliche Standpunkte in verbindlicher Form. Heike Lippke und Lars Naundorf, die ihre Erfahrungen mit Hartz IV im ganz realen Leben gemacht haben und noch machen, kamen deutlich seltener zu Wort.

Sie beide machten allerdings deutlich, dass der große Streit um 5 Euro mehr oder weniger an der Sache völlig vorbei geht. „Die meisten Leute wollen gar nicht von Hartz IV leben. Sie möchten auch gar nicht mehr Geld – was sie wollen, ist eine Arbeit, von der sie leben können“, waren sich beide einig. So wie in der Forderung: „Ziel muss doch sein, ihnen Wege zu bieten: Wie finde ich aus der Arbeitslosigkeit wieder heraus?“ Da aber, meinte Naundorf gleich eingangs, „bietet die Politik zu wenig“.

Dieser Appell, mehrfach geäußert, ging ins Leere. Lindner und Schneider waren offenbar besser auf die Debatte um die „Aldi-Erhöhung“ vorbereitet. Der FDP-Politiker betonte, die Streichung von 20 Euro für Alkohol und Tabak aus der Regelsatz-Kalkulation seien kompensiert durch Aufnahme der Praxisgebühr und Internet-Gebühren. Außerdem hätten Kostenanteile für Flugreisen, Glücksspiele oder Schmuck nichts mehr mit dem Existenzminimum zu tun.

Schneider empörte sich darüber, dieses Minimum zum Leben sei „willkürlich und trickreich kleingerechnet worden“. Dabei habe die schwarz-gelbe Koalition „alles gestrichen, was Teilhabe bedeutet“: Statt 4 Euro für Eis und Pommes wird jedem Kind künftig nur noch 1 Euro zugebilligt. „Begründung: Die können das ja zuhause genießen, da ist es billiger als im Eiscafé.“ Und dass die bescheidenen Cent-Anteile fürs Futter von Hund oder Hamster aus dem Regelsatz gestrichen wurden, nennt er „kaltherzig“.

Die Krise der Banken und der kleine Mann

416 Euro im Monat für Erwachsene und 250 Euro mindestens für ein Kind, dazu einmalige Leistungen für besondere Fälle: Das fordert „Der Paritätische“ als Existenzminimum.

Oskar Lafontaine, eher zurückhaltend im Ton, bezeichnete die 5-Euro-Erhöhung als „doppelten Betrug“: Zum einen werde das Plus durch die Preissteigerung mehr als aufgefressen. Zum anderen gebe die Bundesregierung dafür zwar rund 1 Milliarde Euro aus, streiche zugleich aber 3 Milliarden Euro bei den Hartz IV-Empfängern: Elterngeld und Rentenbeiträge für Hartz IV-Empfänger fallen künftig ersatzlos weg, die Heizkostenzuschüsse werden gesenkt.

„Wer zahlt für die Krise, die die Banken verursacht haben? Der kleine Mann“, so Lafontaine. Der zudem erneut republikweit den Mindestlohn forderte.

Dass Passanten, auf der Straße befragt zum Thema „Hartz IV und Ausnutzen“, spontan die faulen Typen einfielen, die „eine ruhige Kugel schieben“, auch noch „Urlaub machen“ oder überhaupt „keine Lust zum Arbeiten haben“, überraschte nicht.

Plasberg hatte noch andere im Angebot: Unternehmer, die „unanständig niedrige Löhne“ zahlten in der Gewissheit, dass Vater Staat ihren Mitarbeitern die Differenz zum Existenzminimum aufstockt. „Jeder dritte Aufstocker verdient weniger als 5 Euro in der Stunde.“

Hartz IV auf dem Golfplatz

Plastisches Beispiel aus dem Alltag: Ein 18-Loch-Golfplatz am Niederrhein mit „ganzjährig perfekten Spielbedingungen“. Aufnahmegebühr: 9500 Euro, Jahresbeitrag: 1510 Euro. Zuständig fürs makellose Green sind Langzeitarbeitslose, die ihr Hartz IV-Einkommen durch den 1-Euro-Job ausbessern. „Alles völlig legal“, so Plasberg. Kommentar von Arbeitsvermittler Naundorf aus Gera: „Unglaublich.“

Aber es gibt auch andere Beispiele. Den Privatsender etwa, bei dem „Deutschlands berühmtester Arbeitsloser“ Henrico Frank seit vier Jahren zuständig ist für Rock- und Punk-Musik. „Ich bin nicht der Versager“, sagt er heute. 900 Euro Gehalt hat er im Monat zum Leben, der Rest wird gepfändet. „Trotzdem geht es mir gut: Ich hab’ einen Job, der mir Spaß macht, ich hab’ einen geregelten Tag, und es ist mein Geld, ich muss bei keinem bitten und betteln.“

500 000 Berufstätige, deren Einkommen nicht fürs Leben reicht, 800 000 Menschen in (oft genug fragwürdigen) „Eingliederungsmaßnahmen“, fast 200 000 Alleinerziehende mit geringem oder keinem Einkommen – sie und viele andere sind von diesem Zustand noch weit entfernt.

Wie sie ihn so schnell wie möglich – ganz konkret – erreichen könnten, wäre ein weiteres spannendes Thema. Über die richtige Zusammensetzung der Experten-Runde sollte das TV-Team sich gründlich Gedanken machen.

P.S.: Schönes Schmankerl am Rande: der „Mythos 364“. Schon 2008, so fand das „Hart aber fair“-Team heraus, habe der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Hartz-IV-Regelsätze fürs Jahr 2010 berechnen lassen. Ergebnis: 4 368 Euro im Jahr –exakt 364 Euro im Monat. Frage Plasberg: „War das Zufall? Genialität? Politischer Wille?“ Antwort: keine.