Duisburg. .

Vom Chefsessel auf die Kanzel: In der Duisburger Salvatorkirche sprach Thyssen-Krupp-Chef Ekkehard Schulz über Schuld und Verantwortung. In seiner Kanzelrede griff er den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland an.

Wenn der Vorstandschef eines großen deutschen Konzerns in einer Kirche von der Kanzel herab über Moral redet, über Wahrheiten und Verantwortung, kann es spannend werden. Am Sonntag sprach Ekkehard Schulz, Vorstandschef des Stahlriesen Thyssen-Krupp in der Duisburger Salvatorkirche über eben diese Themen. Und es wurde spannend.

Erstaunlich offen griff der Chef der Stahlkocher zum Beispiel den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) an. Schulz sagte, wer Verantwortung übernehme, „ganz gleich wo und wie“, der habe Entscheidungsbefugnisse. Und deshalb könne er auch verantwortlich gemacht werden. Schulz sagte: „Wer Verantwortung übernimmt, der geht automatisch das Risiko ein, Schuld auf sich zu laden. Zumindest kann ihm Schuld zugewiesen werden.“ Und weiter sagte Schulz: „Sie hier in Duisburg erleben diesen Umgang mit Verantwortung und Schuld derzeit in einer besonders dramatischen Ausprägung.“ Worte, die man eigentlich nur als Kritik an dem Duisburger Stadtoberhaupt verstehen kann.

Über Verantwortung und Moral

Schulz sagte, sicher habe keiner der Beteiligten Böses gewollt. „Dennoch werden Menschen Verantwortung übernehmen müssen, die ursächlich vielleicht gar keine Schuld trifft.“ Und weiter fragte der Konzernchef. „Wer hatte Verantwortung? Wer trägt Schuld? Fragen, die nicht einfach, vielleicht nie, zu beantworten sind.“

Schulz warnte vor der Verlockung, die in dem Wort Verantwortung liege. Zunächst sei der Begriff positiv besetzt. „Wer Verantwortung sagt, so meint man, ist sich derselben offenbar bewusst. Verantwortung aber ist ein schwieriger Begriff: Bisweilen täuscht er eine hohe Moral vor, wo nicht immer eine ist.“

Dabei weiß Ekkehard Schulz, wovon er redet. Er hat die Fusion von Thyssen und Krupp mitgestaltet. Er war oft dabei, wenn in den vergangenen Jahrzehnten die Entscheidungen fielen, tausende Ar­beitsplätze abzubauen. Damit hat er in das Leben etlicher Familien direkt eingegriffen. Schulz sieht diesen Prozess nüchtern als Notwendigkeit. „Nur wenn ein Unternehmer wirklich wirtschaftlich handelt, sichert er am Ende des Tages Arbeitsplätze und Investitionskraft. Das ist seine Verantwortung. Und dabei ist er alles, nur nicht frei!“ Am Ende stünden die Kunden „im Mittelpunkt allen Denkens und Handelns“. Schließlich seien sie es, „die über ihre Rechnung das Gehalt zahlen“.

Ohne radikalen Schritt wäre das ganze Unternehmen in Gefahr geraten

Schulz sagte: „Diese Stadt und ganz besonders der Duisburger Norden mit seiner Stahlproduktion steht für eine der größten Herausforderungen, die ich in meinem Leben zu bewältigen hatte.“ Seit den Achtziger Jahren habe es gewaltige Stahl-Überkapazitäten in Europa gegeben, zudem mussten Thyssen und Krupp gegen gewaltige Staatskonzerne kämpfen, „die großzügig subventioniert wurden.“ Allein in Oberhausen, Hattingen und in Duisburg hätten damals 65 000 Menschen im Stahl gearbeitet. „Wir waren gezwungen, die Produktion anzupassen. Damit war klar: Viele Menschen würden ihren Arbeitsplatz verlieren. Und ich war einer derjenigen, der diese Entscheidungen mit ge­troffen hatte.“

Schulz sagte, dies seien die Tage gewesen, in dem auch seine Kinder verzweifelt aus der Schule nach Hause gekommen seien, weil sie für ihren Vater beschimpft wurden. „In der Tat haben Tausende ihren Arbeitsplatz innerhalb von drei Jahren verloren. Aber: Als Vorstand war es meine Verantwortung, das ganze Unternehmen im Blick zu behalten. Meine Fragen damals waren: Wie kann ich den Fortbestand des Unternehmens gewährleisten? Welche Perspektiven verspricht die Zukunft?“

Die Lage sei eindeutig gewesen. Ohne einen radikalen Schnitt wäre das ganze Unternehmen in Gefahr geraten. „Dass es Schmerzen geben würde, war allen bewusst.“ Die Arbeitsplätze seien aber sozialverträglich abgebaut worden. „Niemand wurde betriebsbedingt gekündigt.“ Die Älteren hätten für die Jüngeren weichen müssen, die gerade erst eine Familie ge­gründet hätten. So bitter es klinge, sagte Ekkehard Schulz in der Salvatorkirche: „Auch ein Abbau von Arbeitsplätzen kann im Einklang mit dem christlichen Werte-Kanon er­folgen.“