Berlin. Der Kanzlerkandidat der SPD versichert trotz der verheerenden Niederlage seiner Partei bei den Europawahlen und den jüngsten schlechten Umfragewerten, dass er der Richtige für den Job ist - und erhält vor dem Wahlparteitag demonstrative Rückendeckung.
Trotz der beispiellosen Schlappe der SPD bei der Europawahl hat Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier Kritik an seiner Autorität und seinem Kurs zurückgewiesen. «Ich habe keine Zweifel, dass ich der richtige Kandidat für die SPD bin», sagte der Vize-Kanzler unmittelbar vor dem SPD-Wahlparteitag am Sonntag in Berlin. SPD-Chef Franz Müntefering bescheinigte dem Außenminister, der richtige für einen zugespitzten Wahlkampf zu sein. Finanzminister Peer Steinbrück wies Spekulationen zurück, er solle neuer Kanzlerkandidat werden.
"Ich bin immer oben angekommen"
Steinmeier sagte, das schlechte Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl werfe ihn nicht um: «Ich kenne unwegsames Gelände, liebe die Dolomiten und bin noch immer oben angekommen.» Die Bundestagswahl am 27. September sei noch längst nicht verloren. «Vor vier Jahren stand es 100 Tage vor der Wahl 48 zu 29 zwischen Union und SPD. Am Ende war praktisch Gleichstand.»
Unterstützung bekam der Kanzlerkandidat vom SPD-Vize Steinbrück. «Ein Wechsel drei Monate vor der Wahl, das ist völliger Unsinn», sagte er laut «Focus». «Ich mache das nicht.»
Allerdings müsse die SPD ihre Wahlkampfstrategie verstärkt auf Wähler in der Mitte der Gesellschaft ausrichten, fügte Steinbrück im «Spiegel» hinzu. Zugleich riet er seiner Partei davon ab, jetzt auf allzu scharfe Attacken gegen Union und FDP zu setzen. «Die Menschen haben von ritualisierten Auseinandersetzungen ziemlich die Schnauze voll. Sie können auch ein bloßes Gekläffe nicht nachvollziehen.»
Zwei von drei Bürgern glauben nicht an Comeback
An ein Comeback der SPD bis zur Bundestagswahl glauben nach einer repräsentativen Emnid-Umfrage 63 Prozent der Bundesbürger nicht mehr, wie «Bild am Sonntag» berichtet. In der Umfrage rieten nur 54 Prozent den Sozialdemokraten, an ihrem Kanzlerkandidaten festzuhalten.
Der Parteivorsitzende Franz Müntefering betonte, Steinmeier sei der richtige Kandidat für einen zugespitzten Wahlkampf: «Er treibt die Politik an. Die Menschen vertrauen ihm. Auch darauf werden wir im Wahlkampf setzen.» Helfen werde dabei auch Altkanzler Gerhard Schröder.
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz erwartet von dem Wahlparteitag einen «neuen Startpunkt». Scholz sagte dem «Tagesspiegel am Sonntag»: «Das wird der Partei den Motivationsschub geben, den wir brauchen.» Steinmeier werde «eine große Rede» halten.
Umweltminister Sigmar Gabriel riet seiner Partei, «auf keinen Fall unsere Strategie ändern, in der Krise Menschen zu helfen». In einem Interview sagte er: «Jeder, der das bei Opel oder Arcandor nicht will, muss wissen, dass es morgen ihn selbst unschuldig treffen kann. Unsere Botschaft an die Wähler lautet: Wenn es eng wird, gibt es nur eine Partei, die sich um die Menschen kümmert: die SPD.»
Mehr für Geringverdiener
Mit der Verabschiedung ihres Wahlprogramms durch die 525 Delegierten will die SPD am Sonntag in Berlin wieder politischen Boden gutmachen. Denn bei der Europawahl hatte sie mit 20,8 Prozent ihr niedrigstes bundesweites Wahlergebnis seit 1945 erzielt. Im Mittelpunkt des Programms stehen Steuererleichterungen für Geringverdiener und höhere Belastungen für Gutverdiener.
Grundsätzlich hatte die Parteispitze das 58-seitige Papier mit dem Titel «Sozial und demokratisch. Anpacken. Für Deutschland» schon im April auf einem Konvent abgesegnet. Falls die SPD im Herbst an die Regierung kommen sollte, will sie den Eingangsteuersatz von 14 auf zehn Prozent senken und den Spitzensteuersatz von 45 auf 47 Prozent erhöhen. Wer künftig beim Finanzamt per Postkarte auf seine Steuererklärung verzichtet, soll einen Lohnsteuer-Bonus von 300 Euro bekommen.
Die SPD fordert außerdem klare Regeln für die im Zuge der Krise außer Kontrolle geratenen Finanzmärkte sowie die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Ferner will sie eine Börsenumsatzsteuer einführen und Steuerhinterziehung verstärkt bekämpfen. Bei der Wende hin zu erneuerbaren Energien soll es bleiben, ebenso beim Atomausstieg.
Linke debattieren Strategiewechsel gegenüber der SPD
Unterdessen wirbt der Bundesgeschäftsführer der Linken, Dietmar Bartsch für einen Strategiewechsel: Nach dem für SPD und Linke gleichermaßen enttäuschenden Ergebnis der Europawahlen solle seine Partei "nicht die SPD zum Hauptgegner machen", so Bartsch. Die Hauptgegner "sind die Neoliberalen in Union und FDP wie der Baron aus Bayern", fügte er mit Blick auf Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hinzu.
Die Linke müsse "alles" tun, "um mit der SPD auf Landesebene Bündnisse hinzukriegen." Die Linke wolle bei den Wahlen in Thüringen, Sachsen und im Saarland Ende August jeweils Regierungspartei werden. Ob Bartschs Appell in den Landesverbänden Früchte trägt, ist zweifelhaft: Für viele Linke - vor allem in den West-Gliederungen der Partei - gilt die SPD nach den Sozialreformen unter Bundeskanzler Schröder als Verräter an den den linken Zielen. (ap/afp)