Berlin. .

Der Atomkompromiss der Bundesregierung ist zwei Tage alt - und stößt ungebremst auf Kritik. Kritiker gehen gegen die ungelöste Entsorgungsfrage auf die Barrikaden. Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigt.

Nach der Festlegung der Bundesregierung auf ein neues Energiekonzept mit längeren AKW-Laufzeiten rücken die bislang ungelöste Entsorgungsfrage und der mögliche Bau eines Endlagers in Gorleben wieder in den Fokus der atompolitischen Debatte. Bei der weiteren Erkundung des Salzstocks im Kreis Lüchow-Dannenberg will Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) aufs Tempo drücken. Anders als seine Vorgänger wolle er die Entsorgungsfrage „nicht einfach unseren Kindern ungelöst vor die Füße schütten“, sagte Röttgen am Montagabend in der ARD. Er sehe sich „in der Pflicht, dieses Problem zu lösen.“

Die baden-württembergische SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Vogt warf Röttgen Zynismus vor. Die schwarz-gelbe Bundesregierung werde mit ihrer gerade vereinbarten Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken den nachfolgenden Generationen rund 7000 Tonnen mehr Atommüll „vor die Füße schütten“. Deutschland müsse in den nächsten Jahrzehnten 21.000 Tonnen Atommüll irgendwie und irgendwo entsorgen müssen, denn ein Endlager gebe es nicht.

Lösung nur vorgetäuscht?

Die von Röttgen angekündigte Wiederaufnahme der Arbeiten im Salzstock täusche eine angebliche „Lösung der Endlagerfrage“ nur vor, sagte am Dienstag Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. In Wahrheit habe sich die Bundesregierung „alternativlos und provokativ“ auf ein Endlager in Gorleben verständigt.

Umweltschützer kündigten gleichzeitig Blockaden und andere Protestaktionen gegen den nächsten Castortransport nach Gorleben an. Zahlreiche Atomkraftgegner wollten den für November erwarteten Transport blockieren, sagte die Sprecherin der Initiative „X-tausendmal quer“, Luise Neumann-Cosel. In Gorleben werde sich zeigen, „dass Tausende bereit sind, Grenzen zu übertreten, um sich gewaltfrei gegen die unverantwortliche Atompolitik der Koalition zu wehren.“

Große Sitzblockade geplant

Die Atomkraftgegner wollen die Zufahrtsstraßen zum Zwischenlager Gorleben unter anderem mit einer großen Sitzblockade versperren. Die elf Castorbehälter mit hochradioaktiven Abfällen aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague sollen voraussichtlich in der ersten November-Hälfte ins Wendland gebracht werden. Im Zwischenlager Gorleben stehen bislang 91 Castoren. Umweltschützer befürchten, dass jeder weitere Transport Gorleben auch als Endlager-Standort wahrscheinlicher macht.

Nach Einschätzung der baden-württembergischen Grünen werden die geplanten Laufzeitverlängerungen neue Atommülltransporte nach sich ziehen. An den AKW-Standorten des Bundeslandes Neckarwestheim und Philippsburg reichten die vorhandenen Zwischenlagerkapazitäten für einen längeren Betrieb der Reaktoren nicht aus. Entweder müssten neue Zwischenlager an den jeweiligen Standorten errichtet oder die Castor-Transporte zu zentralen Zwischenlagern wie Gorleben wieder aufgenommen werden.

Merkel verteidigt den Kompromiss

Verteidigt sich: Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Foto: ddp)
Verteidigt sich: Bundeskanzlerin Angela Merkel. (Foto: ddp) © ddp/Michael Kappeler

Gleichzeitig versucht Bundeskanzlerin, den Atomkompromiss zu verteidigen: Angela Merkel (CDU) hat Kritik zurückgewiesen, die Energieversorger kämen bei der Verlängerung der Atomlaufzeiten zu billig weg. Nach Einschätzung der Bundesregierung werde mehr als die Hälfte der erwarteten Gewinne als Steuern oder als Förderung für die erneuerbaren Energien abgeschöpft, sagte Merkel am Dienstag in Riga.

„Wir haben uns ja sehr genau mit den Fragen befasst, wie wir Zahlungen aus den Gewinnen der EVUs für erneuerbare Energie abschöpfen“, sagte die Kanzlerin. „Die Zahlen, die jetzt in Umlauf sind, werden von uns so nicht bestätigt.“

Kommunen fürchten Einbußen

Das Ökoinstitut Berlin hatte nach Medienberichten berechnet, dass die großen Energieversorger nicht die Hälfte, sondern nur 28 Prozent ihrer zusätzlichen Gewinne aus der Laufzeitverlängerung abgeben müssten. Sie könnten die Aufwendungen zum Teil steuermindernd geltend machen, was die Einnahmen von Bund und Ländern bei der Körperschaftssteuer drücke. Die Kommunen befürchten darüber hinaus Nachteile für ihre Stadtwerke und Ausfälle bei der Gewerbesteuer. Einige Vertreter haben Ausgleichszahlungen von bis zu 4,5 Milliarden Euro ins Gespräch gebracht.

Merkel sagte dazu: „Wir werden mit den Stadtwerken natürlich im Gespräch bleiben.“ Wenn sie aber das Gesamtenergiekonzept und nicht nur die Atomkraft anschauten, „werden sie sehen, dass es da eine faire Lastenverteilung gibt“, sagte die Kanzlerin.

Auch das Finanzministerium widersprach Berichten, wonach statt der jährlich 2,3 Milliarden Euro Brennelementesteuer nur etwa 1,5 Milliarden im Bundeshaushalt ankämen. Das volle Aufkommen sei gesichert, sagte Ministeriumssprecher Tobias Romeis. „Das Geld kommt definitiv an.“ (ddp)