Essen. .
Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland sträubt sich nach der Loveparade-Katastrophe gegen einen Rücktritt. Warum es Stadtoberhäuptern offenbar schwerer fällt, politische Verantwortung zu übernehmen.
Am 27. Juni 1993 ging ein polizeilicher Zugriff im mecklenburgischen Bad Kleinen fürchterlich schief. Bei einem Feuergefecht starben der Bundespolizist Michael Newrzella und der gesuchte RAF-Terrorist Wolfgang Grams. Der damalige Innenminister Rudolf Seiters (CDU) übernahm die politische Verantwortung und trat am 4. Juli 1993 zurück.
Im vergangenen Jahr stürzte am 3. März das Stadtarchiv in Köln ein. Zwei Menschen starben, es entstand ein Schaden von einer Milliarde Euro. Schuld war vermutlich Pfusch beim Bau einer neuen U-Bahn-Linie. Trotz heftiger Kritik klammerte sich Kölns damaliger Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) an sein Amt. Er verzichtete lediglich darauf, zur Wiederwahl anzutreten. Auch Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) sträubt sich nach der Katastrophe bei der Loveparade, die 21 junge Menschen das Leben gekostet hat, gegen einen Rücktritt. Stadtoberhäuptern fällt es offenbar schwerer als Bundesministern, politische Verantwortung zu übernehmen.
Zwei Lesarten
des Gesetzes
Sauerland beteuert gebetsmühlenartig, er wolle erst den Aufklärungsprozess zu Ende begleiten, bevor er sich dieser Verantwortung stelle. Mit dem möglichen Verlust von Pensionsansprüchen soll sein Verhalten nichts zu tun haben. Nun ja. In einem Interview mit dem „Spiegel” behauptet Sauerland, ein Oberbürgermeister habe „gar nicht das Recht”, zurückzutreten. „Unsinn”, heißt es dazu lapidar aus dem Landesinnenministerium. Sauerland sagt in diesem Interview auch: „Oberbürgermeistern werden hohe Hürden auferlegt, damit sie nicht auf kaltem Weg einen Rücktritt inszenieren können.” Die einzigen vorstellbaren Hürden sind indes – und da ist man wieder bei den Pensionsansprüchen – rein finanzieller Natur.
Denn: Ein Beamter – und ein Bürgermeister ist Wahlbeamter – darf selbstverständlich um seine sofortige Entlassung bitten. Was für Konsequenzen das hat, darüber herrscht aber Unklarheit. Laut Innenministerium hätte Sauerland so gut wie nichts zu befürchten: Er behielte seine Pensionsansprüche aus seiner Zeit als Berufsschullehrer ebenso wie jene aus seiner ersten Amtsperiode. Das Ministerium beruft sich dabei auf einen Erlass aus dem Jahr 2008, dem wiederum eine rechtlichen Bewertung durch die kommunale Versorgungskasse Westfalen-Lippe zugrunde liegt.
Eine andere Interpretation des Beamtenversorgungsgesetzes und des Landesbeamtengesetzes lautet: Auch wer als Wahlbeamter um seinen Rücktritt bittet, verliert sämtliche Pensionsansprüche, müsste aber von seinen bisherigen Arbeitgebern nachversichert werden. Heißt: Die bisherigen Arbeitgeber – im Fall Sauerland Land und Stadt Duisburg – müssten Rentenversicherungsbeiträge für die Zeit der Beschäftigung nachzahlen. Rente statt Pension – in diesem Fall stünde der Betroffene finanziell wesentlich schlechter dar. Diese Lesart vertritt beispielsweise der Städte- und Gemeindebund. Der Bund der Steuerzahler hatte sie sich auch bis vor Kurzem zu eigen gemacht, lässt aber jetzt verlautbaren, dass „die Sachlage völlig offen ist”.
Unsicherheit
beenden
Denn rechtlich durchdekliniert worden ist noch keine der beiden Auffassungen. „Ich weise darauf hin, dass zu der hier aufgeworfenen Frage keine gerichtliche Entscheidungspraxis besteht”, heißt es in dem Erlass des Innenministeriums. Konkret bedeutet dieser Zustand, dass es Bürgermeistern auch zukünftig schwer fallen wird, im Falle des Falles die politische Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten, da sie immer damit rechnen müssen, dass die Rechtsauffassung des Ministeriums vor Gericht keinen Bestand haben wird – und ihnen massive finanzielle Einbußen drohen. „Der Gesetzgeber muss diese rechtliche Unsicherheit beenden”, fordert Frank Bätge von der Gelsenkirchener Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. „Wir werden generell darüber nachdenken und das überprüfen müssen”, räumt ein Sprecher des Innenministeriums ein.
Auf Landes- und Bundesebene haben es politische Beamte wesentlich leichter, nach außen ihre Verantwortung zu dokumentieren: Ein Rücktritt führt bei ihnen schlicht nicht automatisch zur Entlassung aus dem Beamtenstatus.