Jürgen Rüttgers hat deutlich gemacht, dass die NRW-CDU in den kommenden 50 Tagen auf eigene Rechnung arbeitet. Die neue schrille Tonlage bedeutet für ihn durchaus ein Risiko. Die SPD wird es vergnügt als Zeichen deuten, dass Rüttgers auf den „Schmutzwahlkampf“ der letzten Wochen beherzt einsteigt.
Jürgen Rüttgers hat beim Landesparteitag in Münster die Grundmelodie seines Wahlkampfes angestimmt: Keine rot-roten Experimente auf der einen Seite, keine marktradikale Staatsverachtung auf der anderen, denn mittendrin thront einsam die letzte verbliebene Volkspartei CDU – und zwar deren unverwechselbare Sozialausgabe der Marke NRW. Nun muss der Ministerpräsident allerdings hoffen, dass dieser eingängige Dreiklang von möglichst vielen Basisarbeitern gesungen wird und Millionen Wählern bis zum 9. Mai im Ohr bleibt. Mit ungewohnt heftigen Angriffen gegen die Konkurrenz und mit einem lauen Bekenntnis zum Koalitionspartner FDP hat Rüttgers deutlich gemacht, dass die NRW-CDU in den kommenden 50 Tagen auf eigene Rechnung arbeitet. Ob von diesem Parteitag wirklich ein „Signal des Aufbruchs“ ausgeht, wie die Büchsenspanner eilig behaupteten, können nur die kommenden Wochen weisen. Erst wenn hausgemachte Probleme wie die Sponsoring-Affäre wirklich ausgeräumt sind und Merkels Beteuerungen steuerpolitischer Vernunft auch ihre Berliner Koalition nachhaltig beruhigen, kann Rüttgers wieder in die Offensive gelangen.
Die neue schrille Tonlage bedeutet für Rüttgers dabei durchaus auch ein Risiko. Es ist einerseits ein Signal zum Sammeln für eine Partei, die nach Affären und Umfragen-Sturz verunsichert ist. Andererseits: All jene Bürger, die seit Jahren die schleichende Sozialdemokratisierung der NRW-CDU beobachteten und ihren Ministerpräsidenten in der Landesvater-Pose a la Rau erlebten, könnten verstört reagieren auf den plötzlichen Rollenwechsel. Wer eben noch milde lächelnd durch die Lande zog, sollte nicht urplötzlich polemisieren. Die SPD wiederum wird es vergnügt als Zeichen der Nervosität deuten, dass Rüttgers die Konsenspolitik fahren lässt und auf den „Schmutzwahlkampf“ der vergangenen Wochen beherzt einsteigt. Wer Sigmar Gabriel „eine Schande für die deutsche Politik“ heißt, ist mitten im Getümmel angekommen. Überraschend wirkt auch, dass sich der Ministerpräsident plötzlich so offensiv an seiner Herausforderin Hannelore Kraft abarbeitet, wo doch die CDU-Strategen eben noch zufrieden feststellten, dass die Frau im großen NRW weithin unbekannt ist.
Es hat ein strategischer Drahtseilakt begonnen. Mit seiner Haudrauf-Rhetorik hat Rüttgers die Halle Münsterland zeitweilig in Wallung gebracht und der engeren Parteibasis Orientierung gegeben. Im weiteren Wahlkampf muss er kalkulierte Ausbrüche wie jenen vom Samstag jedoch dosierter einsetzen. In der breiten Wählerschaft könnte ein rauflustiger Rüttgers sonst als Stilbruch zur bisherigen Amtsführung gewertet werden.