Berlin. Online-Wahlkampf ist personalisiert. Warum Jürgen Rüttgers und Hannelore Kraft jedoch nicht selbst bei Facebook aktiv sind und twittern, und warum der "Offline-Herbst der Politik" für Ruhe sorgt, erklärten ihre NRW-Online-Wahlkämpfer Andreas Jungherr und Oliver Zeisberger beim Politcamp.

Knapp zwei Monate sind es noch bis zum Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Womit seid Ihr gerade beschäftigt?

Jürgen Rüttgers.
Jürgen Rüttgers. © ddp

Oliver Zeisberger: Ein Großteil dessen, was wir tun, ist sicherlich im Moment die Vorbereitung der heißen Phase. Wenn wir uns speziell über den Online-Wahlkampf unterhalten, muss man sagen: So viel ist da noch nicht passiert. Zumindest nach außen hin nicht. Wir haben natürlich schon viel vorbereitet und warten darauf, das jetzt auszurollen. Der Wahlkampf ist inzwischen durch viele Medienphänomene geprägt. Zum Beispiel haben wir neue Blogs in NRW, die Themen setzen. Und da ist die Frage für uns: Wie gehen wir damit um? Unsere Vermutung ist, dass die CDU im Moment ihre Wahlkampagne ziemlich umstrickt. Die Lage hat sich ja geändert. Ursprünglich wollten sie nach Ostern den Wahlkampf starten. Man merkt an Plakatkampagnen, die jetzt geplant werden, dass es da wohl ein Umdenken gegeben hat. Wir überlegen jetzt, ob und wie wir darauf reagieren.

Andreas Jungherr: Bei uns ist das, was online angeht, ein bisschen offener gehalten, weil wir da auch einen anderen Ansatz fahren: weniger zentral gesteuert, sondern auf dem Webcamp basierend. In Hessen haben wir sehr gute Erfahrungen mit freiwilligen Teams gemacht. Das bedeutet aber auch, dass es da einige Trainings- und Vorbereitungsarbeit gibt. Unsere Aufgabe ist jetzt, die Kanäle, die wir schon seit Januar bespielen mit einer niedrigen Frequenz und einer hohen Lernleistung, bekannter zu machen und stärker in die Aufmerksamkeit zu bringen.

Inwiefern ist dieser Online-Wahlkampf personalisiert und an den Personen Jürgen Rüttgers und Hannelore Kraft festgemacht?

Jungherr: Das, was man in den Profilen in den sozialen Netzwerken sieht, ist: Wenn man da mit einem Partei- oder Verbandsprofil aktiv ist, ist die Aufmerksamkeit viel geringer. Wenn ich also ein Fan-Profil für die CDU in Nordrhein-Westfalen anlege, sind wir bei an die 2000 Fans. Wenn ich das mit dem Fan-Profil von Jürgen Rüttgers vergleiche, was ja eigentlich dieselben Leute bespielen und was eine ähnliche Konzeption hat, dann werden knapp 3000 Fans angezeigt. Im Netz erreiche ich also über die Person eine höhere Identifikation. Ähnliches stellen wir bei den Twitter-Feeds fest. Wir haben in Hessen etwa einen Team-Feed installiert mit eindeutigen Hashtags, damit klar ist, welcher Mitarbeiter was schreibt. Um den Effekt auszugleichen, dass der Spitzenkandidat selbst nicht twittert, aber über ein Team zu informieren. Man wird von uns nicht mit RSS-Feeds zugespamt.

Zeisberger: Ich kann dem nur zustimmen. Personalisierung funktioniert immer besser, als wenn sich der Nutzer einer großen Organisation gegenüber sieht und nicht genau weiß: Von wem kommt das eigentlich, was ich da grade lese? Es muss immer glaubwürdig sein. Es gibt aber noch einen zweiten Aspekt der Personalisierung, der immer wichtiger werden wird: Wie kommen unsere Informationen bei denjenigen an, die über Facebook und Twitter auf unsere Informationen stoßen oder Emails bekommen. Wir sind an ganz vielen Stellen noch viel zu sehr damit beschäftigt, aus unseren Parteizentralen zu senden und zu hoffen, dass es jemand hört. Wir hören viel zu wenig zu und nehmen zu wenig auf, was von den Leuten zurück kommt. Das halte ich tendenziell für wichtiger.

Das ist der beim Politcamp immer wieder genannte Feedback-Kanal.

Zeisberger: Genau. Wenn man sich in den USA anschaut, wie Auswertungstools genutzt werden, um Reaktionen in sozialen Netzwerken oder Blogs zu sammeln, um von dem einen auf den anderen Tag zu erkennen, welche Themen hochkommen – da sind wir noch deutlich hinterher. Man wird das nicht auf Einzelpersonen-Basis machen können. Aber um einen groben Überblick zu bekommen, was im Netz diskutiert wird, ist das ein wichtiges Instrument, um Wahlkampf fortzuführen.

Was genau tragen denn Jürgen Rüttgers und Hannelore Kraft zum Online-Wahlkampf bei?

Zeisberger: Wir haben eine Mitarbeiterstruktur, die für die Online-Aktivitäten verantwortlich sind. Frau Kraft bekommt alle Dinge, die an Feedback kommen, vorgelegt. Es ist aber nicht so, dass Hannelore Kraft abends um 23 Uhr zuhause sitzt und an ihrem Facebook-Profil schraubt. Das machen schon Mitarbeiter. Aber man kann davon ausgehen, dass sie ein Interesse daran hat, was im Internet über sie gesagt wird und was sie kommuniziert. Deswegen geht da nichts raus, was nicht mit ihr abgestimmt wäre. Aber das ist in anderen Medienkanälen auch nicht anders. Hannelore Kraft steht auch nicht nachts an der Plakattafel und kleistert ihr eigenes Plakat an. Aber der Claim und das Foto sind natürlich mit ihr abgestimmt.

Jungherr: Wir bauen auf Erfahrungen, die wir in Hessen gesammelt haben. Jürgen Rüttgers war daran sehr interessiert. Aber auch Herr Rüttgers ist nicht abends bei uns in den Räumen und schaut sich an, was im Netz passiert. Das ist ein ähnlicher Feedback-Kanal der da ist.

Twitter und Facebook sind im Superwahljahr 2009 schon Thema gewesen. Was ist denn in diesem Jahr neu?

Hannelore Kraft.
Hannelore Kraft. © WAZ FotoPool

Jungherr: Wir haben im letzten Jahr gesehen, dass der gesamten Diskussion um Twitter der Neuigkeitsaspekt nicht gut getan hat. Es gab einen Rush von allen Abgeordneten aus allen Parteien ins Netz. Bestenfalls mit Gutwilligkeit, aber dann auch häufig mit einer gewissen Naivität gegenüber dem Tool. Das wurde ja auch von den Medien stark verfolgt. Darauf folgte Frustration: Jetzt habe ich getwittert und trotzdem nicht meinen Wahlkreis gewonnen. Zurzeit ist die Atmosphäre auf Twitter viel angenehmer, weil dieser Hype nicht mehr so da ist. Der Trend dürfte jetzt in Richtung Geo Locations und Foursquare gehen. Bevor das allerdings im Wahlkampf auftaucht, haben wir noch ein bisschen Zeit. Insgesamt werden wir mit mehr Ruhe an den Online-Wahlkampf gehen. Wir müssen mehr darauf schauen, was der Online-Wahlkampf eigentlich bringt.

Zeisberger: Der Hype um Twitter hat allen gezeigt, dass es extrem schwierig ist, das, was man aufgebaut hat, zu pflegen. Manche nennen das den „Offline-Herbst der Politik“. Nach der Wahl sind die Facebook-Accounts der Politiker verwaist, die Twitter-Feeds werden nicht mehr gepflegt. Das ist ein Problem. Bei der SPD in NRW könnte die Frage, wenn wir Erfolg hätten, lauten: Jetzt habt ihr eure Wahl gewonnen, seid in Regierungsverantwortung und schaltet den ganzen Krempel wieder ab? Oder hat das eine Auswirkung auf das nächste Regieren? Da machen wir uns schon Gedanken, ob wir das aufrecht erhalten können, ob wir noch YouTube-Videos machen oder Twitter-Kanäle bespielen. Ich glaube nicht, dass noch so viel Neues kommt. Wir werden die Tools effizienter nutzen. Wenn man vorher viele Stunden mit Twitter verbracht hat, wird man sich jetzt vielleicht auf andere Tools konzentrieren. Wir werden die Werkzeuge vor allem auch nutzen, um zu mobilisieren. Was passiert eigentlich in den letzten Stunden des Wahlkampfes? Und wie bringen wir die Leute, mit denen wir online Kontakt aufgenommen haben, an die Wahlurne? Darüber ist auch hier beim Politcamp noch wenig gesprochen worden. Aber da wird die Kunst liegen. Und vielleicht unterhalten wir uns nächste Jahr beim Politcamp darüber, wem das gelungen ist und wie wir das gemacht haben.