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Der Sozialstaat ufert nach dem Verständnis der FDP aus, er flutet das Land und raubt den „Deppen der Nation”, den Steuerzahlern, die Luft zum Atmen. Doch: Zumindest für Kinder in Arbeitslosenhaushalten wird der Staat mehr ausgeben müssen. Wo also ließe sich das Geld dafür einsparen?

Der Sozialstaat ufert nach dem Verständnis der FDP aus. Dafür wird FDP-Chef Guido Westerwelle gescholten, nicht selten aber mit dem Zusatz, es sei grundsätzlich richtig und höchste Zeit, eine große Sozialstaatsdebatte zu führen. Dabei wird übersehen, dass die Gesundheitspläne der Regierung, insbesondere der FDP, den Sozialetat nicht verkleinern, sondern sogar noch vergrößern würden.

Westerwelle beklagt, dass der Bund die Hälfte seiner Ausgaben in Soziales stecken muss. Dieses Jahr sind dies 176 Milliarden Euro. Sie verteilen sich im Wesentlichen auf Rente (80 Milliarden), Arbeit (65 Milliarden) und Gesundheit (16 Milliarden). Schauen wir uns diese Blöcke an und fragen, wo man sparen könnte und was die Regierungspläne mit der Sozialquote im Bundeshaushalt machen würden:

Hartz IV ist das große Thema dieser Tage. Der Auftrag des Verfassungsgerichts, die Re-gelsätze neu zu berechnen, nährt die Sorge vor zusätzlichen Milliardenbelastungen. Zumindest für Kinder in Arbeitslosenhaushalten wird der Staat mehr ausgeben müssen. Wo also ließe sich das Geld dafür einsparen?

Hartz-IV-Kürzungen bringen nichts

Westerwelles Forderung, faulen Arbeitslosen das Geld zu kürzen, kann nicht viel bringen. Drei Prozent der Hartz-IV-Empfänger erhalten bereits Abzüge bis 30 Prozent, weil sie ein Arbeitsangebot abgelehnt haben. Tatsächlich dürften es mehr sein, nicht jeder Vermittler ist gleich konsequent. Die Schätzungen reichen bis zehn Prozent. Würde man ihnen allen das ganze Jahr lang 30 Prozent abziehen, könnte man rund 500 Millionen Euro sparen – maximal.

Bleiben die Fördermittel von 24 Milliarden, die für alle Arbeitslosen, also nicht nur Hartz-IV-Empfänger, ausgegeben werden. Darin enthalten sind auch 13 Milliarden Euro Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit, etwa zur Finanzierung der Kurzarbeit. Hier kann man kürzen, muss aber erklären, wie das Prinzip Fordern und Fördern im Gleichgewicht gehalten werden soll. Der Zuschuss zu den Unterkunftskosten von 3,7 Milliarden an die Kommunen ist gesetzlich festgelegt, also nicht kürzbar.

Skandinavische Vorbilder

Den Zuschuss von 15,7 Milliarden an die Krankenkassen will die FDP gar nicht kürzen, sondern deutlich anheben. Ihre Pläne für eine Kopfpauschale beinhalten einen Sozialausgleich für Menschen, die sich die Pauschale nicht leisten können. Dafür werden in der ersten Stufe zehn Milliarden und bei einer kompletten Systemumstellung laut Finanzministerium 21 Milliarden Euro an Steuergeldern benötigt. Der FDP-Plan würde den Anteil der Sozialetats am Bundeshaushalt von 54 auf mehr als 60 Prozent erhöhen.

Dabei gibt es gute Gründe, die Krankenkassen mehr über Steuern zu finanzieren. Dadurch werden erstens die Beitragszahler entlastet und zweitens auch Beamte und Selbstständige an der Finanzierung beteiligt. Genau das machen die skandinavischen Länder vor. Gleichzeitig beweisen sie, dass ein großer Sozialetat nicht per se den Haushalt sprengen muss. Denn sie ziehen die unvermeidliche Konsequenz und leisten sich zur Gegenfinanzierung hohe Steuersätze.

Steuern senken

Die FDP plant freilich das Gegenteil. Sie will die Steuern senken. Auch das hätte Auswirkungen auf die Sozialquote: Würden zur Gegenfinanzierung Ausgaben anderer Ressorts gekürzt, steigt die Sozialquote noch weiter. Werden sie über neue Schulden finanziert, steigt sie zwar nicht, aber mittelfristig raubt die höhere Schuldentilgung (2010: 40 Milliarden) Spielräume für Investitionen.

Auch die Rentenversicherung wird massiv mit Steuergeldern gestützt. Die normalen Altersrenten können zwar aus den Beiträgen finanziert werden. Doch was sie nicht stemmen sollen und können, sind die so genannten versicherungsfremden Leistungen. Das sind Renten, die sich nicht aus Beiträgen begründen, sondern aus Notlagen, die der Staat auffangen will. Deshalb muss er sie aus allgemeinen Steuern finanzieren. So besteht gesellschaftlicher Konsens, Witwen und Waisen zu helfen, wenn mit dem Partner oder dem Elternteil der Haupternährer verstirbt. Mit rund 39 Milliarden Euro im Jahr unterstützt der Staat Witwen und Waisen. Hinzu kommen 15 Milliarden für Erwerbsgeminderte.

Hier kann der Staat kürzen, wenn er will, das hat er in den vergangenen 25 Jahren allerdings auch gleich mehrmals getan. Schwarz-Gelb hat die Witwenrenten 1986 gekürzt, Rot-Grün 2002 erneut. Die frühere Berufsunfähigkeitsrente wurde 1997 durch die Kohl-Regierung deutlich beschnitten. Die jetzige Regierung traut sich an das Thema Rente aber bisher nicht heran.