Essen. Nach dem Wahldebakel leckt die SPD ihre Wunden und sucht nach einem Ausweg. Doch der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte warnt die Partei vor einem Linksruck. Die Sozialdemokraten dürften den Anschluss zur politischen Mitte nicht verlieren. Der neuen Regierung prophezeit er harte Zeiten.
Hat Angela Merkel im Licht des Wahlergebnisses letztlich alles richtig gemacht?
Karl-Rudolf Korte: Ja und nein. Sie hat einen sehr präsidialen Wahlkampf geführt, auf sich selbst bezogen. Eine Mischung von „Auf den Kanzler kommt es an“ und „Keine Experimente“. Das ist aufgegangen, aber nur durch die Arbeitsteilung mit der FDP. Hätte Merkel einen profilierten Wahlkampf gemacht, wären vielleicht mehr Stimmen bei der Union gelandet. Die soziale Marktwirtschaft etwa, das hat die CDU im Original, und da ist natürlich wenig vorgezeigt worden.
Erwarten Sie, dass es in der CDU nun Debatten gibt? Das Parteiergebnis ist ja nicht berauschend.
Korte: Nein, da erwarte ich nichts. Es wird einen Regierungswechsel geben, das war das Wahlziel, das ist erreicht. Jetzt kann man in der Koalition vieles umzusetzen, da braucht man jetzt nicht am Kurs zu zweifeln. Auch die CDU weiß im Übrigen: Das Zeitalter, da die Volksparteien locker 40 Prozent plus X schafften, ist vorbei.
Ist die SPD überhaupt noch eine Volkspartei?
Korte: Sie ist eine mittelgroße Partei und hat offenbar in der Mitte sehr viele Wähler verloren. Insofern kann man schon daran zweifeln, ob hier der Charakter einer Volkspartei noch gegeben ist. Das ist nicht so sehr eine Frage der Zahlen, sondern der Milieus, die die Partei nicht mehr erreicht.
Die SPD will sich umorientieren. Was verspricht Erfolg?
Korte: Die politische Mitte sollte für die SPD das Ziel sein und bleiben. Es gilt den Markenkern um den Begriff der sozialen Gerechtigkeit wieder aufzubauen, aber auch für soziale Aufsteiger attraktiv zu bleiben und nicht nur für Transfermittel-Empfänger. Es kann nicht darum gehen, einfach nur linker zu werden.
Das scheint aber genau zu passieren.
Korte: Sozialpopulismus gehört sicher zum Oppositionsgebaren und das werden wir wohl auch bei der SPD erleben, aber dabei darf es nicht bleiben, denn damit kann man keine Mehrheiten organisieren. Das sieht man ja an der Linkspartei.
Die SPD will aber doch raus aus der Sandwichposition, eingeklemmt zwischen einer sozialen CDU und den Linken. Läge es da nicht nahe eine Art Wiedervereinigung mit der Linken zu versuchen?
Korte: Eine Dämonisierung oder Tabuisierung der Linkspartei wird es sicher nicht mehr geben. Die SPD wird Kooperationen versuchen, über die Länder, später auch im Bund, und das ist auch richtig. Eine Fusion sehe ich nicht.
Die Sandwichposition bleibt also das Schicksal der SPD?
Korte: Ja, ich sehe nicht wie sie das ablegen kann.
Die Zeit der politischen „Projekte“ scheint anders als 1998 oder 2005 vorbei zu sein.
Korte: Sagen wir es so: Ich habe keinen Autocorso erlebt gestern. Das ist ein Machtwechsel der sehr dosiert daher kommt. Es gibt keinen Zauber des Anfangs, es gibt keine Ideen, an denen man einige Jahre gefeilt hätte und nun umsetzen wollte. Das wirkt alles sehr geschäftsmäßig. Die Wähler wollten zwar Klarheit, aber keinen völligen Wechsel in der Politik. Hinzu kommt: Es ist eine Politik ohne Geld, die die Zukunft prägt. Insfoern sind die Handlungsspielräume sehr eng.
Die Nüchternheit passt zur Stimmung im Land?
Korte: Absolut. Die Politik soll einfach unaufgeregt und pragmatisch arbeiten. Das wollen die Wähler.
Täuscht der Eindruck oder kommen auch auf die Grünen schwere Zeiten zu?
Korte: Die Grünen haben keinen cleveren Wahlkampf geführt. Sie haben keine Machtperspektive angeboten, sie haben auch kein Alleinstellungsmerkmal bei ihren Themen gehabt. Dieses Lavieren, das sie häufig gezeigt haben, zahlt sich am Ende in Machtperspektiven nicht aus. Man muss sich dann schon mal entscheiden, ob man zum linken oder zum anderen Lager gehören will.
Im Mai 2010 sind Wahlen in NRW. Kommt Jürgen Rüttgers in Bedrängnis?
Korte: Der Pendeleffekt zwischen Bund und Ländern ist nicht mehr so stark wie früher. Aber: Es hängt viel davon ab, wie die schwarz-gelbe Bundesregierung die ersten Monate angeht. Wenn sie zu forsch anfangen und sozusagen dem Traditionsvorbehalt gegenüber Schwarz-Gelb entsprechen, dann hat das sicher eher negative Auswirkungen auf NRW. Allerdings weiß man ja, dass die NRW-Stimmen im Bundesrat gebraucht werden. Ich glaube, dass sie auch mit Rücksicht auf NRW ganz zaghaft Veränderungen angehen werden.
Dafür wird auch Jürgen Rüttgers sorgen.
Korte: Davon können sie ausgehen.
Das Gespräch führte Frank Stenglein