Essen. Die Justizvollzugsbeamten sind überlastet. Und sie finden, dass ihre Leistung nicht gewürdigt wird. Denn sie sind mehr als "Schließer" und nichts tragen sie mehr vor sich her als ihre Überstunden. In der JVA Gelsenkirchen haben sich die Beamten an ihrem Dienstplan nun größtenteils beteiligt.

Für die meisten ist man ein „Wärter”, ein „Schließer” oder ein „Wachtmeister”. Was tatsächlich Tag für Tag in den Justizvollzugsanstalten, den Knästen, geleistet werde, das erkennt der Bürger nicht an. Aber auch nicht die Politik, findet Rainer Blümel. Da werde nur immer dann geredet, wenn irgendetwas aus dem Ruder gelaufen sei. So wie in Aachen.

Der Personalratsvorsitzende der Justizvollzugsanstalt Essen sieht in der fehlenden öffentlichen Anerkennung den Knackpunkt für seine Kollegen. Nicht in den Schwarzen Schafen, die diesen Beruf immer wieder in die Schlagzeilen hievten. Laut Justizministerium sind landesweit seit 2003 15 Vollzugsbeamte aus dem Dienst entlassen worden sein, weil sie in kriminelle Machenschaften verstrickt waren. 15 von insgesamt 8100 Bediensteten in den JVAs.

Dass die Kolleginnen und Kollegen in Essen inzwischen 12 000 Überstunden, rund 80 pro Kopf, vor sich herschieben und kaum noch darauf hoffen, diese auch abbauen zu können, das sei die Realität, die aber augenscheinlich niemanden interessiere. Blümel macht sich zwar keine Illusionen auf personelle Besserung, aber von Resignation sei man auch weit entfernt.

Jeder wisse schließlich, worauf er sich einlasse, wenn er den Beruf eines „Justizvollzugsbeamten” wähle, ergänzt der Essener Anstaltsleiter Herbert Paffrath.

Mehr als Auf- und Zusperren von Zellen

Der falsche öffentliche Eindruck beginne bereits mit der grotesken Berufsbezeichnung des „Wärters”. Früher, vor gut 30 Jahren, da wurden die Gefangenen nur weggeschlossen, verwahrt. Da waren die Vollzugsbeamten „Schließer”. Mehr nicht. Mit dem politischen Auftrag einer umfassenden Resozialisierung habe sich seit dem Ende der 70er Jahre ihr Berufsbild drastisch verändert. Und Resozialisation brauche mehr als nur Schlüssel zum Auf und Zusperren von Zellen.

In Essen, so Paffrath, stehen den durchschnittlich 520 Gefangenen maximal 160 Vollzugsbeamte gegenüber. Hoffnungen auf zusätzliche Stellen haben weder er noch Blümel: „Wer soll, kann und will die bezahlen?”

In der JVA Bochum sind Stellen für 297 Justizvollzugsbeamte. Bei 859 Strafgefangenen. Hier werden, so die stellvertretende Anstaltsleiterin Barbara Lübbert, noch 21 196 Überstunden gezählt. Etwas weniger als früher, nachdem einige Überstunden ausbezahlt worden sind.

„Unser Problem ist nicht die Personalstärke, die reicht nie aus, wenn unsere Aufgabenbereiche immer weiter ausgebaut werden. Es wäre schon gut, wenn nicht immer wieder neue Bereiche hinzukämen”, moniert Paffrath.

Jeder Schritt außerhalb der Zelle muss organisiert werden

Der Vollzugsbeamte ist Dienstleister für den Gefangenen, er führt ihn aus, sorgt dafür, dass das richtige Essen pünktlich kommt, kümmert sich um ihn, wenn Besuch wartet, bringt den Häftling zum Sport, zum Arzt, zum Gericht. Jeder Schritt außerhalb der Zelle muss organisiert und begleitet werden.

Daneben sind die Männer und Frauen in Uniform auch Ansprechpartner bei Problemen mit den Familien. Man werde zum Pastor, Psychologen und Tröster, weiß Paffrath. Das alles werde verlangt, das alles werde auch gerne geleistet.

Bei allem gelte es aber neben den Anforderungen der Resozialisierung immer Distanz zu seinem Gegenüber zu wahren. Blümel spricht da von Gratwanderung, Paffrath eher vom Dilemma, auf das die Vollzugsbeamten aber umfassend vorbereitet und ausgebildet werden.

Die immer umfangreicher werdende Arbeit störe zwar, aber vielmehr ärgert , dass seit Jahren diese stetig geleistete und weiter steigende Mehrarbeit auch noch mit drastischen finanziellen Einschnitten belohnt werde. Kürzungen an Urlaubs- und Weihnachtsgeld bis hin zum Wegfall, seit vier Jahren gab es keine Gehaltserhöhung.

"Überstundenwirtschaft"

Gelsenkirchen, mit seinen insgesamt 620 Häftlingen und 200 Justizvollzugsbeamten, krempelt die Ärmel hoch angesichts von 18 152 Überstunden, die aufgetürmt wurden. Das sind rund 90 pro Kopf. Anstaltsleiter Julius Wandelt spricht von einer „Überstundenwirtschaft”, es werden welche abgebaut, ausbezahlt, um dann auch gleich wieder aufgebaut zu werden. So läuft es schon lange.

In Zeiten der Personalknappheit sei es schwierig, Überstunden durch „dienstfrei” verantwortungsvoll abzubauen. Das bedeute nämlich, dass jeder etwa elf Tage frei hätte. Wenn der Krankenstand niedrig ist und keine Urlauber ausfallen, gehe das in Einzelfällen. Überstunden in bare Münze zu verwandeln, sei wegen der dann höheren Besteuerung für die Wenigsten erstrebenswert.

Wandelt hat mit seinen Mitarbeitern einen neuen Dienstplan entworfen, der derzeit dem Personalrat vorliege. Damit soll sichergestellt werden, dass keine weiteren Überstunden angehäuft werden müssen.

Ein Konzept, das die Justizvollzugsbeamten zum großen Teil selbst erarbeitet haben.