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Fest steht: Deutschland braucht ein Endlager für seinen Atommüll. Doch schon an diesem Punkt endet aller politischer Konsens. Die CDU hat sich auf Gorleben festgelegt, Umweltminister Gabriel dagegen will mit der Suche komplett neu beginnen. Währenddessen drängen Experten zur Eile.

Das Thema beschäftigt die Republik schon seit 30 Jahren, jetzt bekommt es eine neue Dynamik: Im Herbst 2010 endet das Moratorium für das potenzielle Atommüll-Endlager Gorleben. Spätestens dann wird die Frage, wo das deutsche Endlager entstehen soll, wieder die Schlagzeilen bestimmen.

Dann darf in den Salzstöcken im niedersächsischen Wendland wieder geforscht werden. Seit Oktober 2000 liegen die Arbeiten im Erkundungsbergwerk brach. Das Moratorium ist Teil des von Rot-Grün beschlossenen Atomausstiegs.

Bundestag soll über Auswahlverfahren entscheiden

Wie es weitergeht, ist völlig offen: Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hat sich für eine völlig neue Endlager-Suche stark gemacht. Es sei für ihn "nicht vorstellbar", dass die Endlagerfrage nicht Bestandteil von Koalitionsverhandlungen sei. Er fordert, dass der neugewählte Bundestag sich im nächsten Frühling auf ein Standort-Auswahlverfahren einigt, bis Ende 2013 sollen dann aussichtsreiche Standortregionen bestimmt werden. Gabriel bekräftigte damit seine Aussage, das bisherige Endlager-Projekt Gorleben sei "politisch tot". Daran ist die Zusammenarbeit in der Großen Koalition gescheitert. Die Union will an Gorleben festhalten - bis jemand beweist, dass der Standort nicht als Endlager geeignet ist.

Nach dem SPD-Fahrplan könnte es bis 2026 eine Entscheidung für einen Standort geben, 2040 wäre dann ein realistischer Zeitpunkt für die Inbetriebnahme. Das ist zehn Jahre später als bislang vom Bundesumweltministerium angesetzt. Doch der Ansatz, bis 2030 ein betriebsbereites Endlager zu haben, erschien ohnehin kaum realistisch. „Sehr ambitioniert“ findet Diplom-Geologe Enste den Plan: „Die Untersuchung ist sicherlich machbar, aber die Genehmigung bis dahin zu erhalten, wird sehr schwierig.“ Wie schwierig die Genehmigung für ein Endlager sein kann, zeigt auch die Geschichte: 20 Jahre dauerte die Prüfungsphase für „Schacht Konrad“, Deutschlands einziges genehmigtes Endlager, weitere fünf Jahre dauerte die Abwicklung der Klagen und Beschwerden.

Nicht vor der eigenen Haustür

Bei der Suche nach einer geeigneten Endlagerstätte sollen die Bürger deutlich mehr beteiligt werden als bislang. „Der gesellschaftliche Aspekt spielt eine wichtige Rolle – das ist Konsens in Politik und Wissenschaft“, sagt Sven Dokter, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Als Gorleben 1977 ausgewählt wurde, stand die politische Entscheidung im Vordergrund: das Wendland ist sehr dünn besiedelt, das sollte die Proteste in der Bevölkerung auf ein Minimum reduzieren. Eine falsche Annahme, denn die Proteste dauerten jahrelang und waren gewaltig. Darum soll das Verfahren jetzt transparenter werden.

Doch egal, wie gut die Regierung ihr Anliegen den Bürgern verkauft, ein Problem bleibt bestehen: Jeder erkennt die Notwendigkeit eines Atommüll-Endlagers an. Nur soll es bitte nicht vor der eigenen Haustür gebaut werden.

Ob Gorleben als Endlager geeignet ist, steht nach den jüngsten Berichten über getürkte Gutachten in den Sternen. „Eignungshöffigkeit“ nennen die Forscher den augenblicklichen Zustand: Sie haben noch keine Anzeichen gefunden, dass sich die Salzstöcke nicht als Endlager eignen. Von einem positiven Abschlussurteil ist man allerdings auch weit entfernt. Mindestens 15 Jahre werde man für die Erkundung noch brauchen, schätzt Wolfram König, Leiter des Bundesamtes für Strahlenschutz.

Endlager wird für eine Million Jahre angelegt

Die Kriterien, die ein Endlager erfüllen muss, hat der „Arbeitskreis Endlager“, 1999 eingesetzt vom damaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin, festgelegt. Im Abschlussbericht vom Dezember 2002 haben die mitwirkenden Wissenschaftler und Vertreter von Atombehörden und Umweltorganisationen bestimmt, dass ein Endlager mindestens 300 Meter unter der Erde liegen muss. Es darf außerdem nicht in einem Gebiet liegen, in dem häufiger Erdbeben auftreten und das Gestein muss stabil genug sein, dass es sich – auch über einen sehr großen Zeitraum – nicht verschiebt.

Für eine Million Jahre soll das Endlager angelegt werden. „Den Zeitraum können Geologen noch recht gut überblicken und so – mit hoher Wahrscheinlichkeit – sicherstellen, dass das Wirtsgestein in dieser Zeit stabil bleibt“, erklärt Dokter. Nach einer Million Jahre ist die radioaktive Strahlung nicht vollständig abgeklungen, aber längere Zeiträume lassen sich heute noch nicht überblicken. Bei der Anlegung eines Endlagers kommt es auch auf das Zusammenspiel des radioaktiven Materials mit dem Wirtsgestein an: Der strahlende Atommüll entwickelt auch im Endlager noch Temperaturen bis zu 200 Grad. Das muss das Gestein aushalten.

Politischer Zwist verzögert die Suche

Umgesetzt worden sind die Kriterien des „AK End“ noch nie. „Dafür bräuchten wir eine Entscheidung der Bundesregierung, wie es mit der Endlagerung weitergeht“, sagt Florian Emrich, Sprecher des Bundesamtes für Strahlenschutz. Das Bundesamt würde mit der Suche nach einem Endlager lieber heute als morgen beginnen, doch weder unter Grünen-Umweltminister Jürgen Trittin noch unter seinem Nachfolger von der SPD, Sigmar Gabriel, wurde ein Gesetz verabschiedet, das den Stein ins Rollen bringt.

Das Bundesamt für Strahlenschutz spricht sich für einen Vergleich mehrerer Standorte aus: „Das ist inzwischen internationaler Standard. Die Schweiz, Schweden und Finnland vergleichen alle Endlagerstätten“, sagt BfS-Sprecher Emrich.

Ende 2015 laufen die Gorleben-Verträge aus

Ende 2015 laufen die Nutzungsverträge aus, die das Bundesamt für Strahlenschutz mit den Eigentümern der Salzstöcke in Gorleben geschlossen hat. Dann müssen die über 100 Verträge entweder verlängert werden. „Das wird kaum möglich sein“, schätzt die niedersächsische Bundestagsabgeordnete der Grünen, Brigitte Pothmer. Sie spricht sich – wie ihre ganze Partei – für eine neue, systematisch angelegte Suche nach einem Endlager aus.

Auch NRW-Regionen kommen für das Endlager infrage

Als Wirtsgestein kommen genrell Salz, Ton und Granit infrage. Experten sind sprechen sich inzwischen für ein Endlager in einer Salz- oder Tonregion aus. Umweltminister Gabriel will aber auch Granit als Wirtsgestein nicht ausschließen.

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hat mehrere Bodengutachten erstellt, die zeigen, welche Regionen in Deutschland für ein Endlager infrage kommen. Daraus wird deutlich: Geeignete Bodenstrukturen finden sich in Niedersachsen, in Baden-Württemberg, aber auch an der Nordgrenze Nordrhein-Westfalens (siehe Karte). Doch Gerhard Enste, Fachbereichsleiter Geologisch-geotechnische Erkundung in der BGR, weist auf eine entscheidende Einschränkung hin: „Die Karte zeigt nur Orte, die wir für untersuchungswürdig halten. Sie sagt nichts darüber aus, ob die Orte tatsächlich für ein Endlager geeignet sind.“

"Schacht Konrad" ist keine Alternative

In „Schacht Konrad“, einem stillgelegten Eisenerz-Bergwerksstollen im Stadtgebiet von Salzgitter, werden ab 2013 schwach- und mittelradioaktive Abfälle eingelagert. „Konrad“ besteht aus Eisenerz und nicht wie der Gorlebener Schacht aus Salz, deshalb ist er nicht für hochradioaktiven Müll geeignet.

Bis zur Bundestagswahl wird sich die Bundesregierung definitiv nicht mehr auf ein gemeinsames Konzept einigen. Doch es steht auch keineswegs fest, wie es nach der Wahl weitergeht. BfS-Sprecher Emrich warnt: „Wir brauchen dringend ein Endlager - sonst droht eine Billigentsorgung im Ausland.“