Hannover. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hält den Umgang mit der Atom-Endlager-Frage für skandalös. Das Lager in Gorleben sei politisch tot, erklärte der Minister. Die Atomindustrie und Union wollen es hingegen weiter erkunden. Der Streit währt nunmehr seit 30 Jahren.
Gorleben als Atomendlager ist nach den Worten von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel politisch «tot». Mehr als 30 Jahre nach der Auswahl des Salzstocks sagte der SPD-Politiker am Mittwoch, eine weitere Erkundung dort sei «praktisch ausgeschlossen». Dagegen halten Union, FDP und Atomindustrie an Gorleben fest und wollen die Erkundung noch vor Ende 2015 abschließen. Das Deutsche Atomforum reagierte wütend und warf Gabriel Bösartigkeit und Heuchelei vor.
Hintergrund der neuen Runde in dem Dauerstreit sind zwei Punkte, die seit dem Wochenende bestätigt sind: Zum einen laufen Ende 2015 rund 115 Verträge mit Grundbesitzern aus, die Voraussetzung für eine Erkundung des Salzstocks sind. Zum anderen wurde nach Darstellung des Bundesamtes für Strahlenschutz 1983 ein Gorleben-Gutachten nach Einflussnahme der Regierung Kohl verändert.
Gabriel kritisierte, es habe damals Sicherheitsbedenken gegen Gorleben und «eine politische Weisung, ausgelöst durch die CDU, gegeben, diese Sicherheitsbedenken nicht zu betrachten». Unter diesen Bedingungen könne man Gorleben nicht weiter erkunden. «Zu verantworten hat das die CDU, die das auf Biegen und Brechen durchsetzen wollte.» Dies sei ein «skandalöser Umgang mit der Endlagerfrage».
Auch die befristeten Verträge mit den Grundbesitzern sprächen gegen eine weitere Erkundung von Gorleben. Da die Zeit bis Ende 2015 nicht ausreiche, wäre es rausgeworfenes Geld, nun weiter zu machen. «Der Standort Gorleben ist tot für ein Endlager», sagte Gabriel.
«Zügig weiter machen»
Nach Einschätzung des Strahlenschutz-Bundesamts dauert die weitere Erkundung von Gorleben noch 15 Jahre. Die Atomindustrie glaubt hingegen, sie bis 2015 abschließen zu können, «wenn man es nur will». Die bisherigen Untersuchungen hätten ergeben, dass Gorleben grundsätzlich als Endlagerstandort geeignet sei, erklärte das Deutsche Atomforum.
Alternativen seien bereits Anfang der 90er Jahre von der Bundesregierung untersucht worden. «Sollte sich Gorleben wider Erwarten nicht als geeignet herausstellen, können diese Untersuchungsergebnisse für eine weitere Endlagerauswahl herangezogen werden», meinte Verbandspräsident Walter Hohlefelder. Er warf Gabriel Bösartigkeit und Heuchelei vor. Es sei Aufgabe des Umweltministers, die Erkundung voranzubringen.
CDU-Umweltexpertin Maria Flachsbarth sprach sich zwar für eine Prüfung der jetzt bekannt gewordenen Akten aus. Doch bestehe «keine Veranlassung, den Salzstock nicht zu Ende zu erkunden», sagte sie der «Frankfurter Rundschau». «Es muss zügig weiter gemacht werden.»
In Gorleben gilt seit dem Atomkonsens ein Erkundungsmoratorium, das 2010 ausläuft. Gabriel hatte 2006 vorgeschlagen, Gorleben zwar weiter zu erkunden, gleichzeitig aber weitere Standorte zu prüfen. Die Union lehnt einen solchen Standortvergleich ab.
Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) rückte allerdings vorsichtig vom Atomkurs ihrer Partei ab: «Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass der Salzstock in Gorleben nicht als Endlager geeignet ist, brauchen wir einen neuen Suchlauf», sagte sie dem «Südkurier» (Donnerstagausgabe). Bislang gebe es aber keinen Grund zum Zweifeln.
Am 5. September startet «Anti-Atom-Treck»
Unterdessen steht der Hauptstadt die nach Veranstalterangaben bislang größte Anti-Atom-Demonstration bevor: Am 5. September soll ein so genannter «Anti-Atom-Treck» von Gorleben nach Berlin ziehen. Man rechne am Brandenburger Tor mit mehreren Zehntausend Demonstranten und mehreren Hundert mit Traktoren demonstrierenden Bauern, sagte der Sprecher der Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke. Aus mehr als 100 Städten würden Demonstranten mit Bussen und drei Sonderzügen nach Berlin kommen. (ap)