Essen. In Tausenden Mini-Solaranlagen fehlt ein Bauteil, das vor Stromschlägen schützt. Hat ein chinesischer Konzern Behörden und Verbraucher getäuscht?

Abertausende Besitzer von Mini-Solaranlagen in Deutschland müssen möglicherweise ihre Geräte vom Netz nehmen. Laut Bundesnetzagentur hat eine noch ungeklärte Anzahl von Geräten gravierende Sicherheitsmängel: In einem wichtigen Bauteil der Anlagen, dem Wechselrichter, fehlt ein Schutzrelais. Diese nur wenige Euro teure Komponente soll in Sekundenbruchteilen dafür sorgen, dass im Gerät keine Spannung mehr anliegt, wenn der Stecker gezogen wird oder der Strom ausfällt – zum Schutz des Nutzers und des Stromnetzes. Laut Schätzung von Solarexperten könnten 25 Prozent aller Wechselrichter in Deutschland fehlerhaft sein. Nach den geltenden Regeln dürften diese Anlagen nicht mehr betrieben werden.

Betroffen sind bislang Mikro-Wechselrichter des chinesischen Konzerns Deye, der nach eigener Aussage etwa 400.000 Geräte nach Deutschland geliefert hat – größtenteils für Balkonkraftwerke. Deye selbst nannte das weitverbreitete Modell SUN600G3-EU-230. Offenbar war es auch in Mini-Solaranlagen verbaut, die von Discountern verkauft wurden.Inzwischen hat auch der chinesische Konzern Anker den Verkauf seiner „MI60“-Wechselrichter gestoppt. Kunden wird ein Umtausch gegen ein anderes Modell angeboten. Offen ist, ob die Schutzeinrichtung auch in Geräten weiterer Hersteller fehlt und auch Bauteile für größere Photovoltaik-Anlagen betroffen sind.

Wechselrichter ohne Schutzschalter, trotzdem mit Zertifikat

Wechselrichter sind das wichtigste Bauteil einer Solaranlage. Sie wandeln den Gleichstrom, den die Solarzellen aus dem Sonnenlicht erzeugen, in haushaltsüblichen Wechselstrom um. Nach den Regeln der Technik müssen Wechselrichter in Deutschland mit einem Schutzrelais ausgestattet sein, um die Zulassung zu erhalten. So schreibt es die VDE-Norm AR N 4105 vor. Beim Herausziehen des Steckers oder bei einem Stromausfall muss das Relais innerhalb von 0,2 Sekunden dafür sorgen, dass im Gerät keine Spannung mehr anliegt – zum Schutz des Benutzers und des Netzes vor einem Stromschlag.

Ans Tageslicht kam die Sicherheitslücke vor einigen Tagen zufällig durch eine private Recherche von Solarexperten, darunter der Youtuber Holger Laudeley. Sie öffneten auf dem Markt erhältliche Geräte und fanden heraus, dass die Modelle eine Zertifizierung erhalten hatten, in den untersuchten Geräten aber das Sicherheitsrelais gar nicht verbaut war.

Solarexperte prüft Anzeige gegen chinesischen Hersteller

Das mutmaßliche Problem zu Unrecht erlangter Zertifikate könnte sich möglicherweise noch ausweiten: Bei der Untersuchung neuerer Wechselrichter habe man den Schutzschalter zwar gefunden, er sei jedoch nicht angeschlossen gewesen, behauptete Laudeley in einem Youtube-Beitrag. Laudeley ist Diplomingenieur und vertreibt Anlagentechnik für erneuerbare Energien. Nach eigener Aussage prüft er eine Strafanzeige gegen den Deye-Konzern, dem er Betrug gegenüber Behörden und Verbrauchern vorwirft.

TÜV: Zertifikat bezieht sich nur auf geprüftes Produktmuster

Doch kann es sein, dass möglicherweise viele Tausende Wechselrichter ein Zertifikat tragen, obwohl ihnen ein für die Zulassung nötiges Bauteil fehlt? Auf Anfrage dieser Redaktion erklärte der TÜV Rheinland, der neben weiteren unabhängigen Prüforganisationen unter anderem auch Wechselrichter zertifiziert: „Die Bescheinigung bezieht sich ausschließlich auf das geprüfte Produktmuster. Nimmt der Hersteller im Nachgang Änderungen am Produkt vor, so ist dieses nicht mehr von der Reichweite des Zertifikats erfasst.“

Doch wer überprüft, ob sich Hersteller an die Vorgaben halten? Die stichprobenartige Überprüfung der in Verkehr gebrachten Produkte falle in die Zuständigkeit der Behörden, so der TÜV-Sprecher. „In Deutschland sind die Marktüberwachungsbehörden der Bundesländer hierfür verantwortlich.“ Dort aber gibt es aktuell keine offiziellen Meldungen über Sicherheitsmängel bei Wechselrichtern.

Bundesnetzagentur: Geräte haben keine Zulassung mehr

Die Bundesnetzagentur erklärte auf Anfrage, dass Geräte ohne Schutzrelais keine Zulassung hätten und nicht weiter betrieben werden dürften. Ein Betriebsverbot hat die Behörde jedoch nicht ausgesprochen. Auch fehlt bislang eine Liste von betroffenen oder nicht betroffenen Wechselrichtern. Die Bundesnetzagentur hatte vor einigen Wochen Alarm geschlagen, ohne dabei Details zu nennen. „Leider finden wir zahlreiche Produkte, die unzulässig oder auch potenziell gefährlich sind“, hatte Präsident Klaus Müller gewarnt. So seien bereits im zurückliegenden Jahr Geräte aufgefallen, bei denen kein CE-Kennzeichen, keine deutsche Bedienungsanleitung oder keine deutsche Händleradresse zu finden gewesen sei.

Wechselrichter – hier ein Symbolbild eines nicht betroffenen Modells – wandeln Gleichstrom in haushaltsüblichen Wechselstrom um.
Wechselrichter – hier ein Symbolbild eines nicht betroffenen Modells – wandeln Gleichstrom in haushaltsüblichen Wechselstrom um. © Funke Foto Services | Volker Herold

Der betroffene chinesische Konzern Deye betonte in einer inzwischen nicht mehr abrufbaren Erklärung auf einer Webseite, „dass es sich primär um ein regulatorisches Thema handelt und bisher keine Gefahr vom Betrieb der Wechselrichter bekannt ist oder nachgewiesen werden konnte. Uns sind keine Vorfälle bekannt, bei denen es zu einem Schaden an Mensch oder Material durch unsere Produkte gekommen ist“.

Tatsächlich gehen auch Experten davon aus, dass von den betroffenen Wechselrichtern keine akute Gefahr ausgehe. Neben dem mechanischen Schalter gebe es einen zweiten Schutzmechanismus, der die Geräte zuverlässig abschalte. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen teilte mit: „Grundsätzlich sind Steckersolar-Geräte sicher, es ist uns kein Fall eines gefährlichen Verhaltens eines solchen Gerätes in Deutschland bekannt.“ Für Holger Laudeley aber, der die fehlenden Schalter entdeckte, bleibt es ein Skandal: Die Norm sei ein Gesetz, an das man sich halten müsse

VDE rät: Verbraucher sollten Händler kontaktieren

Der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) empfahl Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich mit dem Hersteller oder Händler der erworbenen Balkonsolaranlage in Verbindung zu setzen. Auch ein Gewährleistungsanspruch sei zu prüfen.

„Juristisch ist die Sache klar“, sagte Sören Demandt, Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW. „Hat der Wechselrichter keine gültige Zulassung, ist das ein Sachmangel. Der Käufer hat das Recht, die Ware zurückzugeben.“ Ob ein Gerät zu den betroffenen Modellen gehört, sei für Verbraucher schwer zu ermitteln. Er rät Käufern von Stecker-Solargeräten, die Angaben auf dem Typenschild des Wechselrichters zu notieren sowie in die Kaufunterlagen nach Details zu den Anlagenkomponenten zu suchen.

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