Essen. Die Elektromobilität in NRW kommt nicht vom Fleck. Tausende Ladesäulen für E-Autos fehlen, die Ziele scheinen unerreichbar. Das hat drei Gründe.
Seit über einem Jahrzehnt hoffen Automobilhersteller, Politik und Energieversorger darauf, dass im Automobilland Nordrhein-Westfalen endlich das Zeitalter der Elektromobilität beginnt. Doch ausgerechnet die selbsternannte Modellregion für Elektroautos verliert sich auf dem Weg zur Mobilitätswende im Kleinklein verschiedenster Probleme.
Die größten: Gerade einmal zwei Prozent der Autos fahren elektrisch, Tausende Ladesäulen fehlen, das Tempo des Ausbaus ist viel zu langsam und die Bürokratie ein Bremsklotz. Ursachenforschung in einem Bundesland, dem es nicht am Willen fehlt, sondern am Miteinander.
Bremsklotz 1: Langsamkeit des Ausbaus gefährdet die Ziele
Eigentlich, ja eigentlich steht NRW so schlecht gar nicht da. Rund 14.000 öffentlich zugängliche Ladestationen waren Ende 2022 im Land installiert, nur Bayern hat mehr (15.000). NRW bildet mit Bayern und Baden-Württemberg (13.706) das Triumvirat der Ladeparks, 55 Prozent aller Ladesäulen Deutschlands stehen in den drei Bundesländern. Doch das Problem ist: In den vergangenen beiden Jahren ist die Zahl der Elektroautos auf den Straßen dreimal stärker gewachsen als die der Ladesäulen, stellt die Förderbank KfW fest.
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Als Folge vollzieht sich der Wandel zur Elektromobilität in NRW so langsam wie im Rest Deutschlands. Ohne Beschleunigung des Ausbautempos bei den Ladestationen steuert Deutschland 2030 auf eine massive Ladelücke zu, warnen etwa die Strategieberater von PwC. So könnten die im deutschen Klimaschutzgesetz vereinbarten Ziele für den Straßenverkehr nicht erreicht werden.
In Zahlen ausgedrückt: 15 Millionen E-Autos sollen laut Bundesregierung 2030 auf deutschen Straßen fahren, derzeit sind es knapp über eine Million. Die Zahl der öffentlichen Ladepunkte soll bis 2030 auf eine Million klettern, derzeit sind es 70.000. Bei dem bisherigen Ausbautempo wären die Zielvorgaben von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) rein rechnerisch erst im Jahr 2077 erreicht.
Die Folgen des Kriechstroms: Aktuell müssen sich in NRW 14 vollelektrische Pkw eine Ladesäule teilen. Die Vorstellung, kurz vor knapp keinen Strom laden zu können, ist einer der Hauptgründe, warum Verbraucher vor dem Kauf eines E-Autos zurückschrecken.
Bremsklotz 2: Eine gemeinsame Strategie fehlt
Der Bund will den Ausbau der Ladesäulen bis zum Jahr 2025 mit 6,3 Milliarden Euro fördern. Doch wie viele Ladesäulen wo genau gebraucht werden, darüber wird leidenschaftlich gestritten. Mit wenigen Schnellladesäulen könnten mehr Fahrzeuge geladen werden als mit vielen herkömmlichen Ladern, argumentiert der Bundesverband der Wasser- und Energiewirtschaft (BDEW). Er hält 350.000 öffentliche Ladepunkte für zehn Millionen E-Autos für ausreichend.
Die Förderbank KfW fordert einen zielgerichteten Ausbau. Entscheidend sei, wo die teuren Ladesäulen stehen: In dünn besiedelten ländlichen Gebieten, in denen das Angebot nicht kostendeckend sei, oder in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet, wo der Bedarf schon bald so groß sein werde, dass die Nachfrage nach Ladestrom weit übersteigt.
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Klar ist: Das einwohnerstärkste Bundesland NRW steht beim Ausbau der Ladesäulen vor einer immensen Herausforderung. Das von Mona Neubaur (Grüne) geführte Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie geht in einem Positionspapier davon aus, dass die Zahl der Ladepunkte innerhalb der nächsten sieben Jahre versechsfacht werden muss, um 2030 den Strombedarf von erwarteten drei Millionen E-Autos in NRW zu decken.
Die Strategie für NRW: Dort, wo das Auto am längsten steht, soll es vorzugsweise geladen werden. Idealerweise geschieht das am Wohnort an der eigenen Wallbox oder falls möglich beim Arbeitgeber. Das Ziel der Landesregierung: 1,5 Millionen private Ladepunkte soll es 2030 geben, dazu 550.000 Ladesäulen bei Arbeitgebern. Wie viele private Ladepunkte es aktuell gibt, ist unbekannt.
Anders als auf dem Land, wo die private Wallbox in Ein- oder Mehrfamilienhäusern mit Garagen eher eine Option für E-Auto-Besitzer ist, gibt es in den Städten ein massives Platzproblem. „In den Zentren der Großstädte sitzt das Ladestation-Problem“, sagt Prof. Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Forschungsinstituts Center Automotive Research CAR in Duisburg.
Als Lösung für die Ballungsräume setzt NRW auf den vorrangigen Ausbau von schnellen Ladestationen innerorts und an wichtigen Verkehrsknotenpunkten wie Autobahnachsen. Dort kann der Akku eines E-Autos innerhalb weniger Minuten Ladezeit von 20 auf 80 Prozent geladen werden.
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11.000 dieser Schnellladestationen soll es 2030 in NRW geben, knapp über 2000 sind es aktuell. Das „schnelle Nachladen“ aber ist die mit Abstand teuerste Ladeinfrastruktur: Ultraschnelle Anlagen mit über 320 Kilowatt Ladeleistung kosten mit Tiefbauarbeiten und Betriebskosten weit über 80.000 Euro, so das Netzwerk ElektroMobilität NRW.
Der Platz für Ladepunkte aber ist in Städten rar und kostbar. Eine wichtige Rolle spielen daher die Grundstücke der Discounter. Jede dritte Schnellladesäule stehe einem Kundenparkplatz des Einzelhandels, teilt der Handelsverband Deutschland (HDE) mit. Die Bürokratie aber sein ein Bremsklotz: „Tausende Anträge auf Netzanschluss warten auf Bearbeitung der Behörden", kritisiert der HDE in einer Mitteilung.
Schnelles Laden auf 28.000 Kundenparkplätzen, dieses Ausbauziel setzt sich NRW in seinem Szenario für 2030. Aldi, Lidl oder Baumarktketten locken mit ihren Stromtankstellen schon seit Jahren Kunden in die Geschäfte – oft ist das Laden jedoch nur während der Öffnungszeiten möglich, denn viele Geschäfte in den Innenstädten schließen nachts ihre Parkplätze ab.
Bremsklotz 3: Bürokratie und ungenaue Förderung
„Es braucht einen Großstadt-Plan und keinen Deutschland-Plan“, sagt Dudenhöffer, der ein völlig neues Konzept des Ladesäulen-Ausbaus fordert. „Nicht Bundesbehörden sollten die Verantwortung für die Ladeinfrastruktur tragen, sondern die Kommunen, geleitet von ihren demokratisch gewählten Bürgermeistern“, sagt Dudenhöffer. „Sicher kann man über finanzielle Unterstützung sprechen, aber den Plan macht die Stadt.“ Private Investoren sollten für die Städte die Ladenetze bauen und betreiben. „Die Stadt ist im Besitz der Parkräume und damit des kostbarsten Gutes“, sagt Dudenhöffer. Sein Vorschlag: „Sie kann es ähnlich einem Erbbaurecht an Investoren verleihen.“
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Neben dem Abbau von Bürokratie müsse vor allem die Förderung zielgenauer ausgerichtet werden, wirft Prof. Roman Suthold ein. Der Mobilitätsexperte des ADAC in NRW hält die Antragsstellung für zu kompliziert:: „Wenn Sie nicht einen, sondern mehrere Ansprechpartner haben, ist das eine Riesenhürde.“ Anfang des Jahres kam der ADAC in einer Umfrage unter Immobilienverwaltern in Großstädten zu einem ernüchternden Ergebnis: Bei nur rund sieben Prozent der Mehrfamilienhäuser mit mehr als zehn Stellplätzen gab es Ladesäulen oder Wallboxen für die Bewohner.
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Dabei gibt es in NRW einen Zuschuss des Landes für die Errichtung von Netzanschlüssen für Stellplätze und Garagenkomplexe. Bis zu 10.000 Euro zahlt das Land aus dem Programm progres.nrw. Nur wird die Förderung kaum nachgefragt: Gerade einmal 479 Anträge sind seit Beginn der Förderung Mitte 2022 eingegangen, teilt die Bezirksregierung Arnsberg mit. Eine Million Garagenplätze soll es in NRW geben.
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