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Aus Teilen ihrer DDR-Biografie hat Angela Merkel immer ein Geheimnis gemacht. Aber wie kann man als Pfarrerstochter im Arbeiter- und Bauernstaat nicht nur klar, sondern auch noch voran kommen, um dann, begünstigt durch historische Umstände, zu einer der wichtigsten Frauen der Welt zu werden? Mitte der neunziger Jahre haben eine ganze Reihe von Reportern in Angela Merkels DDR-Biografie gesucht, auch nach Moskauer Akten. Durchaus ernsthafte Menschen haben in diskreten politischen Salons Verschwörungstheorien verbreitet: Diese Merkel sei ein vergiftetes Geschenk der Sowjets an die Bundesrepublik. Gefunden wurde nie etwas.

Eine Widerstandskämpferin war sie nicht

Das ist das eine. Das andere: Merkel hat früh gesagt, eine Widerstandskämpferin sei sie nicht gewesen. Es gab Mitte der fünfziger Jahre, als Heerscharen von Bürgern aus der DDR flüchteten, wohl höchstens eine Handvoll Menschen, die aus dem Westen, aus Hamburg, in diesen Staat umsiedelten, wie Merkels Vater, Horst Kasner. Es gab zu dieser Zeit linke protestantische Kreise, die Adenauers West-Integrationspolitik ablehnten, die nicht einverstanden waren, dass Moskaus Offerten für ein wiedervereinigtes, aber militärisch neutrales Deutschland von der Bonner Regierung so brüsk abgelehnt wurden, die sich wohl auch als Sozialisten verstanden. Ähnlich dachten damals andere wie Egon Bahr, der Adenauers Politik als spalterisch ansah und darum erst in die SPD ging.

Horst Kasner war für das DDR-Regime nützlich, weil er ihm half, dessen Kirchenpolitik – Kirche im Sozialismus – umzusetzen. Von dieser Systemnähe hat Tochter Angela profitiert, als sie mit ein paar Dumm-Mädchenstreichen sogar ihren Studienplatz aufs Spiel setzte und ihr Vater sie mit seinen Beziehungen raus haute. Merkel wollte ihren Weg machen, sie wählte die begrenzte Anpassung – in der Freien Deutschen Jugend (FdJ), und (das wusste man noch nicht), in der Leitung der Betriebsgewerkschaft. Biograf Ralf Georg Reuth bewertet den Vorgang so: Merkel sei „einfach nur mit der Zeit“ gegangen.

Reformkommunisten - das waren letztlich alle

Reuth schreibt, sie sei eine „Reformkommunistin“ gewesen. Aber das waren Im Herbst 1989 so gut wie alle, die sich in der DDR-Reformbewegung engagierten. Wohl kaum jemand hatte das Ende der DDR auf dem Schirm. Das war im Westen auch nicht viel anders, auch nicht in der CDU. Dass Merkel schließlich in die CDU kam und dort beispiellos aufstieg, ist eine seltene List der Geschichte. Von ihrer gesamten Biografie her hätte sie eher in eine linke Partei gepasst. Das mag erklären, mit welcher Nonchalance sie der CDU über die Jahre einen anderen, ausgesprochen nicht-konservativen, pragmatischen, zeitgeistigen Weg verordnet hat.

Muss Merkels Geschichte umgeschrieben werden? Eher nicht. Die bittersüße Pointe geht anders: Die Tugenden, die Menschen in der DDR ihren Weg machen ließen, waren in der Bundesrepublik auch nicht anders.