Witten. Seit kurzem hält freitagmorgens ein Verkaufswagen vor der Tagespflege an der Wiesenstraße in Witten. Klingelingeling, hier kommt die Eierfrau!

„Ich bin so schüchtern“, sagt Manuela Strunck dem Reporter, „bei Männern. Dann werde ich nervös.“ Die Umstehenden lachen. Die Kundschaft weiß: Das Gegenteil ist der Fall. Die blonde Münsterländerin ist ein geborenes Verkaufstalent. Seit vier Wochen macht sie mit ihrem rollenden Tante-Emma-Laden Station vor der Tagespflege der Stiftung Volmarstein. Die Kundschaft liebt sie für ihren Service und, mehr noch, für ihren Mutterwitz.

Manuela Strunck kündigt sich stets vorher telefonisch bei Sascha Lengnick (47) an. Er leitet die Tagespflege. Der rollende Verkaufswagen hat zwar in Witten, wie andernorts zwischen Ruhr und Emscher, feste Verkaufstage und feste Verkaufspunkte. Aber einen Fahrplan wie bei Bus und Bahn kann Manuela Strunck nicht anbieten.

Müllabfuhr bremst Eierfrau in Wittens Innenstadt

Tagespflegechef Sascha Lengnick (rechts) mit FSJler Ageeshan Samageethan.
Tagespflegechef Sascha Lengnick (rechts) mit FSJler Ageeshan Samageethan. © WAZ | jürgen overkott

Der Verkaufswagen hat einen natürlichen Feind, und der heißt Müllabfuhr. In Wittens engen Innenstadtstraßen kommen regelmäßig ungezählte Minuten Wartezeit hinzu. Manuela Strunck kriegt Puls, wenn sie davon erzählt. Ihre Kundschaft nimmt ihr das Warten aber nicht übel. Im Gegenteil: Das Ausharren steigert die Spannung aufs charakteristische Klingeln des Eierwagens.

Mit Verkäuferin schnell beim Du

Am Freitagmorgen ist es um Punkt elf so weit. Hartmut Hohlbein (83) gehört zu den Besuchern der Tagespflege. Maurer hat er gelernt, malocht hat er bei Thyssen in der Schmiede. Ein Kumpel-Typ. Mit Manuela Strunck ist er schnell beim Du. Eine kleine Tüte mit Deftigem gönnt er sich: sein Einkauf fürs Wochenende.

Eierfrau Manuela Strunck steuert seit kurzem Wittens Wiesenviertel an. Kunden kommen aus der Kurzzeitpflege - und, wie Michael Kapmeyer, aus der Nachbarschaft.
Eierfrau Manuela Strunck steuert seit kurzem Wittens Wiesenviertel an. Kunden kommen aus der Kurzzeitpflege - und, wie Michael Kapmeyer, aus der Nachbarschaft. © WAZ | jürgen overkott

In der kleinen Warteschlange fällt ein Mann mit gelbem Hut auf: Michael Kapmeyer. Der Naturstoffe-Händler ist im Wiesenviertel – nun ja – bekannt wie ein bunter Hund. „Ich bin glücklicher Kunde“, sagt der auch ehrenamtlich engagierte 45-Jährige aus dem Wiesenviertel. Sein Einkaufszettel ist kurz: „Zwei Brötchen, eine Bullette, in der Mitte durchgeschnitten. Das ist mein zweites Frühstück. Und vielleicht noch ein bisschen Obst fürs Wochenende.“ Michael Kapmeyer ist Überzeugungstäter: „Ich halte das für eine tolle Sache für die Tagespflege und fürs Wiesenviertel. Ich höre die typische Eiermannklingel in meinem Laden.“ Der Händler zahlt per Apple-Pay. Darauf gebracht hat ihn, kein Scherz, ausgerechnet seine Mutter.

Spiel, Spaß und Wochenendeinkauf

Sascha Lengnick hatte die Idee, Manuela Struncks rollenden Lebensmittelmarkt ins Wiesenviertel zu lotsen. Dem Chef der Tagespflege hatte ein Gast davon erzählt. Der Verkaufswagen ist für die Gäste der Tagespflege ein zusätzlicher Grund zu kommen, jenseits von Spiel, Spaß und Nachbarschaftskontakt. Unter der Woche bietet die Tagespflege Mittagessen, und der rollende Shop bietet die Chance zum schnellen Wochenendeinkauf.

Eierfrau Manuela Strunck steuert seit kurzem Wittens Wiesenviertel an. Nächste Station: Marienstraße.
Eierfrau Manuela Strunck steuert seit kurzem Wittens Wiesenviertel an. Nächste Station: Marienstraße. © WAZ | jürgen overkott

Mit Manuela Struncks Chef war Sascha Lengnick schnell handelseinig. Zudem sorgte Wittens Ordnungsamt für eine pragmatische Lösung, dem Verkaufswagen vom Hof Hörnemann in Raesfeld freitagmorgens vor der Tagespflege an der Wiesenstraße einen Kurzstopp zu erlauben. Das Team von Sascha Lengnick sorgt dafür, dass der Kleintransporter schnell von der eigentlich für die Feuerwehr reservierten Fläche im Einsatzfall wegfährt.

Eierfrau Manuela Strunck am Steuer.
Eierfrau Manuela Strunck am Steuer. © WAZ | jürgen overkott

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Um 11.17 Uhr ist die Kundschaft bestens bedient. Manuela Strunck wechselt vom Verkaufsraum zum Fahrersitz. Der Reporter darf mitfahren. „Witten“, sagt Manuela Strunck, „hat so viele Ampeln. Da kann man beim Fahren gut quatschen.“

Es geht zum Verkaufspunkt Marienstraße 12. Die Strecke ist 1800 Meter lang. Der Navi gibt die Fahrtzeit mit sechs Minuten an. Müllwagen sind diesmal kein Hindernis. Lediglich eine Seniorin geht bei reichlich Verkehr langsam über ein nicht-verampeltes Stück der Ruhrstraße. Manuela Strunck bleibt cool. Sie winkt die alte Dame über die Straße: „Lauf, Mädchen, lauf!“ Solche Manöver kennt die mobile Verkäuferin. Echter Zeitverlust sind sie nicht: „Ich bin gut in der Zeit.“

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Fünf Verkaufswagen hat Manuela Struncks „super lieber Chef“. Jede Tour durchs Ruhrgebiet steht einmal pro Woche auf dem Plan. Freitags ist die Verkäuferin mit 34 Jahren Berufserfahrung in Witten: „Ich habe zwischen 60 und 80 Haltepunkte.“

Hartmut Hohlbein ist mit Manuela Strunck per Du.
Hartmut Hohlbein ist mit Manuela Strunck per Du. © WAZ | jürgen overkott

Die 50-Jährige aus Dorsten kennt ihr Publikum, und ihr Publikum kennt sie: „Die Leuten wollen, wie damals in den Tante-Emma-Lädkes, quaken. Und das ist ja auch schön. Meine vorletzte Station ist Wetter-Wengern. Da wohnt eine Frau, die freut sich schon die ganze Woche auf meinen Besuch. Wenn ich komme, nehme ich erst mal die Frau in den Arm.“

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