Witten. 75 Jahre lang konnten LEG-Mieter aus Witten eine Abkürzung nutzen. Nun hat das Unternehmen die Treppe abreißen lassen - der Sicherheit wegen.
Eine kleine Treppe erhitzt die Gemüter in einer ehemaligen Bergbausiedlung in Witten-Herbede - oder vielmehr die Tatsache, dass sie nicht mehr da ist. Die wenigen Stufen führten zwischen zwei LEG-Wohnhäusern zum evangelischen Friedhof - 75 Jahre lang. Bis die LEG und die Ev. Gemeinde Herbede aus Gründen der Verkehrssicherung die Treppe entfernt haben, um das Gelände nun einzuzäunen. Die Folge ist ein langer Umweg für die Anwohner. Die laufen jetzt Sturm dagegen.
Gegenüber der einstigen Zeche Holland in Herbede stapeln sich Miethäuser einen steilen Hang hinauf. Von jeher gibt es etliche kleine Wege zwischen Knappensiedlung, Am Huchtert und Im Hauswinkel. Noch als die Mietwohnungen der Genossenschaft Ruhr Lippe gehörten, hat Rainer Krämer zum Beispiel eine Treppe gezimmert, die zwischen den Wohnblöcken Im Hauswinkel 12 und 14 auf den Friedhof führt.
Kinder kommen über Schleichweg in Witten-Herbede autofrei zu Schule
Dieser Verbindungsweg wird viel genutzt. Die Schulkinder kommen zu Fuß schnell (und fast autofrei) zur Herbeder Grundschule und zur Gesamtschule Hardenstein. In den Mietwohnungen wohnen viele ältere Menschen, die ihre Hinterbliebenen auf dem Friedhof besuchen wollen. Die kleine Abkürzung liegt praktisch vor der Haustür. Dagegen dauert der reguläre Fußweg bei unserem Test etwa 20 Minuten. Er führt über 1,2 serpentinenartige Kilometer.
Doch im März wurde die Treppe abgebaut und der Zugang mit einem Zaun versperrt. „Ohne Ankündigung und ohne jegliche Erläuterung“, klagen viele Anwohner, die gegen diese Entscheidung protestieren. 96 Unterschriften hat Mieterin Renate Teichmann binnen eines Tages gesammelt. Vor Ort treffen wir gleich 20 von ihnen.
Ihre Wut verstärkt die Tatsache, dass ein Schreiben an die LEG und die Kirchengemeinde seit März ohne Antwort geblieben sind. Einen „Hauswart“ gebe es zwar offiziell. Gesehen oder gesprochen habe ihn bislang niemand. „Es hat sich nie jemand auf unseren Brief oder unser Mails gemeldet“, sagt Renate Teichmann, die seit 64 Jahren in der Siedlung lebt. „Wir hätten die Entscheidung gern erklärt bekommen.“
LEG: Treppen und Wege sind abrutschgefährdet
Auf WAZ-Anfrage erläutert LEG-Sprecher Mischa Lenz: Die Treppe musste weichen, „um die Sicherheit unserer Mieter und Dritter nicht zu beeinträchtigen“. Denn die Treppen und Wege zum Friedhof seien allesamt in Hanglage und somit generell abrutschgefährdet angelegt sowie von den Mietern eigenmächtig errichtet worden – ohne Berücksichtigung gesetzlicher Vorgaben.
„Aufgrund der für uns und auch der für die Evangelische Kirchengemeinde Herbede als zuständige Grundstücksbesitzer verankerten Pflichten und daraus resultierender Haftung im Schadensfall sind wir in Absprache mit der Gemeinde tätig geworden. Denn auch der Kirche ist dies natürlich ein wichtiges Anliegen, hier die nötige Sicherheit zu gewährleisten“, so der LEG-Sprecher.
Die Anwohner verstehen diese Reaktion nicht. Die einstige Hauseigentümerin Ruhr-Lippe, erinnern sie sich, hatte die Materialien für den Bau der Treppe bereitgestellt. Die LEG hätte vor einige Jahren die Stufen sogar verstärken lassen. Warum wurde die Treppe nicht besser gesichert, etwa mit einem Handlauf? „Wir hätten dafür sogar gespendet“, sagen die Mieter. Erst vor Ort wird wirklich klar, wie sinnvoll die wenigen Stufen waren.
Auch interessant
- Wann erhöht Witten die Parkgebühren in der Innenstadt?
- Gefährliche Kreuzungen: Wie Radfahrer sicher rüberkommen
- Spitzenabi mit 1,0 auf der Gesamtschule: Felina macht‘s vor
Rentner kann nicht mehr allein auf den Friedhof gehen
Rudolf Anders (90), der seit 63 Jahren in seiner Wohnung lebt, ist enttäuscht. Vater und Bruder liegen nur wenige Meter weiter begraben. Doch für die Grabpflege kann er nicht mehr allein vorbeigehen. Nun muss ihn die Tochter mit dem Auto zum Friedhof fahren. Auch Gerald Hammer-Joswig, der in einem der neu gebauten Doppelhaushälften lebt, ärgert sich. Viele Kinder, die jahrzehntelang ohne Autoverkehr zur Schule laufen konnten, müssten nun mit dem Auto gefahren werden, weil die Strecke durch den Umweg zu lang wird.
Auch interessant
Keine guten Nachrichten für die Bewohner der Siedlung: Die LEG und die Gemeindeverwaltung wollen noch in diesen Tagen über einen zusätzlichen Zaun in dem Wohngebiet entscheiden. Konzernsprecher Mischa Lenz: „Nach den bisherigen Planungen werden wir voraussichtlich einen Zaun errichten lassen, um die Grundstücksgrenzen eindeutig festzulegen und damit der Verkehrssicherung Rechnung zu tragen.“ Die Anwohner kämpfen weiter.
Knappensiedlung für die Arbeiter auf Zeche Holland
In der Knappensiedlung wohnen noch heute Männer, die einst für die Herbeder Steinkohlenwerke - im Volksmund „Zeche Holland“ genannt - gearbeitet haben. Diese Schachanlage war die letzte Großzeche in Witten und wurde 1972 stillgelegt. Gefördert wurde ab 1913. An die Zeche erinnert heute der Name der „Zeche-Holland-Straße“, an der sich zum Beispiel das Autohaus Kogelheide befindet.
Die kleinen Schleichwege in der Knappensiedlung entstanden auch, damit die Bergleute in ihrer Mittagspause schnell zum Essen nach Hause flitzen konnten. So erzählt es zum Beispiel Rudolf Anders (90), der ebenfalls im Bergbau tätig war.
Mehr Nachrichten aus Witten lesen Sie hier.