Witten. . Die Wohnbebauung und Nachbarschaft am Huchtert sind gewachsen. Manche Familien leben in der dritten Generation im Quartier. Typisch sind die Treppen und Baustile.
Hoch über Herbede thronen das Wohnquartier Am Huchtert, Im Hauswinkel und die Knapppensiedlung. Hier gibt es eine über Jahrzehnte gewachsene Wohnstruktur: Etwas zersiedelt, mit kleinen Nebenstraßen und ebenso vielen Sackgassen. Viele führen als Fußweg hinauf zu den Friedhöfen oder hinunter ins Kämpen.
Richtige Bedeutung bekam die Siedlung durch die Zeche Lothringen – im Volksmund bekannt als Zeche Holland. Hier fanden viele Bergleute eine Heimat. Sie schufteten unter Tage, aber hatten nur einen kurzen Fußmarsch bis zum Arbeitsplatz.
Vom Dreck, Staub und der schlechten Luft können heute noch die „alteingesessenen“ Anwohner ein Lied singen. Im Jahre 1972 fuhr auf Zeche Holland die letze Schicht ein. Dann wurde der Pütt geschlossen. Aber viele Bergarbeiterfamilien leben noch heute hier – in der zweiten oder dritten Generation.
1972 schloss Zeche Holland
Es gibt die kleinen Kumpel-Häuser mit Platz für eine Familie plus Hühner und Schwein, Mietshäuser, das ehemalige „Ledigenheim“ für alleinstehende Männer und zahlreiche moderne Eigenheime. Heute ist die Wohnstruktur stark gemischt. Die Bergleute sind schon lange nicht mehr unter sich. Aber das verleiht der Siedlung auch seinen Charme – wie wir bei einem Bummel am „Vormholzer Berg“ erfahren konnten.
Ein alter Bergmann, der auf Zeche Holland malocht hat, ist Wolfgang Lipphaus (79). Er war bis zum letzten Tag „seiner“ Zeche treu. Unter Tage, versteht sich. Lipphaus ist vor sechzehn Jahren in die Siedlung zurückgekehrt und wohnt jetzt im Haus seiner Tochter Kerstin. Sie hat in unmittelbarer Nachbarschaft der kleinen Zechenhäuser neu gebaut.
„Ich bin mitgezogen. Da ist man nicht so einsam“, meint Lipphaus nachdenklich. „Aber vieles ist jetzt hier anders geworden.“ Lipphaus macht sich heute nützlich in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Kümmert sich um die Mülltonnen, das Laub, wintertags um den Schnee. „Früher waren die Bergleute eine große Familie. Heute grüßt man sich als Nachbar, weil man sich vom Sehen her kennt.“
Hier gearbeitet, gelebt, gewohnt
Lipphaus ist Herbeder Urgestein. „Ich habe hier gearbeitet, gelebt und gewohnt.“ Regelmäßig geht er ins hinunter ins „Dorf“. Dort trifft er immer andere Alt-Herbeder. Und Zeit für ein Pläuschken ist immer. Der kürzeste Weg führt am Friedhof vorbei und durch die Kirchstraße. Der Berg bereitet ihm keine Probleme.
Eine „Etage“ tiefer in der Knappensiedlung wohnt Claudia Pemöller (51). Sie ist in der Siedlung aufgewachsen. Und nach einem kurzen Intermezzo im Jahr 1999 wieder zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Damals haben sie eines der kleinen Häuser gekauft, ein paar Jahre später das Nachbarhaus. Jetzt wohnt mit den Söhnen Florian und Pascal samt Familie bereits die dritte Generation am Hang oberhalb der Wittener Straße. „Und Vater wohnt nur ein paar Schritte weiter“, lacht Claudia Pemöller. Die Nachbarschaft empfindet die Herbederin beinahe wie auf einem Campingplatz. „Total entspannt. Stress lassen wir gar nicht erst aufkommen. Wenn Not am Mann ist, springt einer für den anderen ein. Mein Mann Ralf hilft immer, niemand muss lange bitten.“
Viele Kinder im gleichen Alter
In der Herbeder Siedlung wohnen traditionell viele türkische Familien, viele bereits in zweiter oder dritter Generation. Auch das ist ein Erbe des Pütts, der eben Arbeitgeber war. Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft werden großgeschrieben. „Jeder akzeptiert den anderen, wie er ist. Da gibt es keine blöden Vorurteile“, so Claudia Pemöller.
Das versichert auch Familie Calbay. Vor acht Jahren ist sie in die Knappensiedlung gekommen. Mevlöt (30) und Derya (30) fühlen sich hier sehr wohl, weil auch ihre beiden Söhne sehr schnell Freunde gefunden haben. „Es gibt viele Kinder im gleichen Alter, Spielplätze und unten sogar einen Skaterplatz“, schwärmt Derya.
„Die älteren Nachbarinnen erzählen oft von früher“, ergänzt ihr Mann Mevlöt. „Da lauschen nicht nur die Kinder ganz gebannt. Wie es damals war, als vor der Tür noch die Zeche stand. Von den verrußten Fensterscheiben, der grauen Wäsche und der dicken Luft. Das kann man sich heute eigentlich gar nicht mehr vorstellen.“
Und seine Frau Derya ergänzt: „Für die Kinder hatten die Damen oft noch ein Bömsken. Leider werden die alten Nachbarn immer weniger. Und da ist es doch selbstverständlich, dass man mal einen Kasten Sprudel mitbringt oder eine Lampe repariert.“ Die Siedlung am Vormholzer Berg hat noch immer eine ganz besondere Atmosphäre – irgendwie sehr herzlich.