Witten. Eine Wittenerin versucht seit Wochen, einen Termin beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt zu bekommen. Ihre Tochter benötigt Paukenröhrchen. Woran hakt es?

Die 37-jährige Wittenerin ist verzweifelt: Seit Wochen sucht sie händeringend einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt (HNO), der ihrer kleinen Tochter möglichst schnell die dringend benötigten Paukenröhrchen einsetzt. Nur: Sie bekommt keinen Termin - oder müsste sehr lange warten. Dr. Klaus Tillmann kann diese Erfahrung nur bestätigen. Der Mediziner spricht gar von einer „Versorgungsmisere“ auf diesem Gebiet.

Dabei eilt die Sache aus Sicht der Eltern. Die Dreijährige hat - wie es häufig bei kleineren Kindern vorkommt - auf beiden Ohren Paukenergüsse, also Flüssigkeit im Mittelohr, dort wo das Trommelfell liegt. „Dadurch hört sie schlecht und kommt beim Sprechen einfach nicht weiter, weil sie nicht mitkriegt, wie etwas korrekt ausgesprochen wird“, so die Mutter, die ihren Namen nicht öffentlich lesen möchte. Das Kind habe inzwischen eine deutliche Sprachentwicklungsverzögerung. Paukenröhrchen könnten in diesem Fall Abhilfe schaffen: Sie werden ins Trommelfell eingesetzt, sollen Flüssigkeitsansammlungen und schmerzhafte Entzündungen verhindern.

Lange Warteliste auch in Wittener Praxis

Doch tatsächlich gibt es derzeit lange Wartelisten - auch in der Gemeinschafts-Praxis des Wittener HNO-Arztes, die über drei Sitze an der Bahnhofstraße sowie einen in Annen verfügt. Vor allem, wenn Paukenergüsse länger als drei Monate anhalten, sei eine OP ratsam. „Wir operieren zehn bis 15 Kinder pro Woche in der Praxisklinik an der Wiesenstraße“, so Tillmann. Man sei ausgebucht bis März/April 2025. In dringenden Fällen verschreibe man inzwischen Hörgeräte, um die Kinder bis zur OP zu versorgen.

Dr. Klaus-Peter Tillmann ist Hals-Nasen-Ohrenarzt in Witten und Landesvorsitzender Westfalen-Lippe des Berufsverbandes der HNO-Ärzte.
Dr. Klaus-Peter Tillmann ist Hals-Nasen-Ohrenarzt in Witten und Landesvorsitzender Westfalen-Lippe des Berufsverbandes der HNO-Ärzte. © Uwe Seifert

Es gibt zwei weitere HNO-Ärzte in der Ruhrstadt. Auch sie führen den kleinen Eingriff durch. Die Wartezeiten seien fast überall gleich. „Es liegt nicht daran, dass wir nicht wollen“, betont Tillmann, der außerdem Landesvorsitzender Westfalen-Lippe des Berufsverbandes der HNO-Ärzte ist.

Doch es würden Kapazitäten fehlen, nachdem viele Operateure aufgrund der Klinikreform und dem damit verbundenen Wegfall vieler Belegabteilungen das Handtuch geworfen hätten. Auch werde der Eingriff zu schlecht vergütet. 105 Euro zahlen die Kassen den Ärzten fürs Einsetzen der Paukenröhrchen.

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Dafür, so Tillmann, müsse sich der Arzt in ein OP-Zentrum einmieten, also Belegbetten in einer Klinik vorhalten. Man benötige einen Anästhesisten sowie eine Assistenz zur Nachbetreuung des Kindes, die zwei bis drei Stunden gewährleistet sein müsse. Zudem seien inzwischen die Hygienevorschriften sehr hoch.

Kliniken selbst würden solche Mini-OPs gar nicht mehr durchführen. „Für die rechnet sich das noch schlechter.“ Doch selbst wenn es mehr Geld gäbe: Den Stau der Wartenden bekäme man ohne die Kliniken jetzt nicht mehr in den Griff. „Wir haben dagegen protestiert, aber es passiert nichts.“

Mutter telefoniert 20 HNO-Praxen ab

Die Folge bekommt auch die Wittener Mutter zu spüren. Sie habe in den vergangenen Wochen mindestens 20 HNO-Kliniken und -Praxen abtelefoniert, auch übers Ruhrgebiet hinaus. Sie vermutet, Absagen zu kassieren, weil sie nur gesetzlich und nicht privat krankenversichert ist. „An einem Nachmittag habe ich sieben Anrufe getätigt, bei nur einem wurde ich nicht sofort gefragt, wie wir versichert sind.“ Tatsächlich hätte sie dort einen Termin bekommen - für November und nur zu einem Vorgespräch.

„Bei den anderen Telefonaten wurde mir entweder gesagt, dass es Termine erst wieder im neuen Jahr gibt oder diese Eingriffe nicht mehr gemacht werden.“ Oft sei ihr auch von „sehr kleinlauten Arzthelferinnen“ erklärt worden, dass sie eher einen Termin bekommen würde, wenn die Familie privat versichert wäre. Aus dem eigenen Bekanntenkreis kennt sie Fälle, wo das geholfen hat. „Das geht gar nicht“, sagt Mediziner Tillmann. „Das ist nicht legitim.“

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Inzwischen hat die Mutter für September einen Termin in Lüdenscheid ergattert, wo sie herkommt. Anders weiß sie sich nicht mehr zu helfen. Denn: „Meine Tochter erlebt täglich mehrere Situationen, in denen sie aufgrund ihrer Sprachentwicklungsverzögerung nicht verstanden wird. Jedes Mal weint sie dann bitterlich. Das zerreißt mir das Herz.“

Deshalb hat die Wittenerin ihr Glück erneut versucht - und in Bochum eine Praxis gefunden, die ihr einen Termin Mitte August angeboten hat. Doch auch dieser gilt nur für ein Vorgespräch. Auf die OP selbst wird die kleine Tochter also doch länger warten müssen.

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