Witten. Nanu, was kommt denn da vorbeigeradelt? Joachim sind zig erstaunte Blicke von Passanten in Witten sicher. Dabei ist sein Hochrad eine alte Möhre.

Ob Joachim schon immer hoch hinaus wollte? Das können wir an dieser Stelle nicht klären, wobei er beruflich gesehen nicht der Überflieger ist. Nein, es geht vielmehr um sein Hobby. Wobei Fahrrad fahren ja nichts Besonderes ist. Wenn man ihn einmal trampelnd gesehen hat, aber schon.

Die Menschen trauen kaum ihren Augen, wenn der schlanke Mann mit seinem „Hochrad“ ihren Weg kreuzt - wie jüngst im Wittener Zentrum geschehen, als der Wuppertaler gerade auf der Durchreise war. Er wollte nach Dortmund und suchte den Rheinischen Esel. Aber viel interessanter als sein Reiseziel ist der Drahtesel mit Aussicht.

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Wikipedia bezeichnet das, was Joachim da fährt, als Alternative zum einstigen Hochrad. Letzteres kennen wir von alten Fotos aus dem 19. Jahrhundert. Älterer Herr mit Zylinder sitzt auf einem Fortbewegungsmittel mit besonders großem Vorderrad. Eigentlich diente es dem Zweck, die Gaslaternen auf der Straße zu entzünden. Nun, um Laternen muss sich Joachim nicht kümmern. Es sei denn, er lehnt sich bei einem kurzen Stopp mal an.

Zwei Fahrradrahmen übereinandergeschweißt

Eigentlich hat der komische Kauz zwei ganz normale Fahrräder, solche ohne Firlefanz, die man - jedes für sich genommen - nur mal nimmt, um kurz in der Stadt was zu erledigen. Allerdings sind in seinem Falle die beiden Rahmen übereinandergeschweißt - der für Damen ist unten, der für Herren darüber, erkennbar an der Querstange und hinten abgeschnitten. Ganz oben thront Joachim.

Er sitzt auf einem Sattel in 1,60 Meter Höhe. Um mit den Füßen an die Pedalen zu kommen, sind die ebenfalls entsprechend hoch platziert. Die dazugehörende Kette verläuft schräg senkrecht nach unten, so dass die relativ kleinen 26er Reifen angetrieben werden. Aber was will der 1,70 Meter große Joachim nur da oben? Und vor allem: Wie kommt er da eigentlich rauf? Das möchte auch eine der beiden Passantinnen wissen, denen Joachim am Husemannsportplatz mit seinem „Tallbike“ begegnet.

Womit wir endlich bei dem richtigen Begriff für das angekommen wären, was er da eigentlich durch die Gegend kutschiert. Befragen wir noch mal Wikipedia: „Tallbikes werden vor allem von Fahrradclubs und Fahrrad-Selbsthilfewerkstätten zum Spaß gebaut. Dazu werden zwei Rahmen übereinandergesetzt und verschweißt sowie die Gabeln beider Räder verbunden.“

Joachim hat sich sein grünes Tallbike (tall = hoch) vor neun Jahren gebraucht für 500 Euro zugelegt. Gebaut habe es ein Fahrradmechanikermeister. „Ich fand‘s geil und wollte es mal ausprobieren. Zu Weihnachten habe ich mir dann geschenkt“, erinnert sich der Mann aus dem Bergischen Land. Der in seiner luftigen Höhe nie den Überblick über das Verkehrsgeschehen verliert. Und gut gesehen wird. „Ich sitze auf gleicher Höhe wie die Fahrer von 3,5- und Viertonnern.“ Das sind vor allem die vielen Transporter.

Bei der Pedelec-Version des Tallbikes passt sogar noch ein Kasten Bier auf das Brett, unter dem der Motor versteckt ist.
Bei der Pedelec-Version des Tallbikes passt sogar noch ein Kasten Bier auf das Brett, unter dem der Motor versteckt ist. © Jürgen Augstein | Jürgen Augstein

Allzuschnell ist Joachim nicht. Das Rad hat Rücktritt und eine Drei-Gang-Schaltung. Trotzdem war Joachim mit seinem Tallbike schon in Hamburg oder Amsterdam. Dafür hat er dann aber das „60 Kilo schwere“ Tallbike-Pedelec genommen, dessen unterer Rahmen von einem Tandem stammt. Aber zurück zu seinem alternativen Hochrad ohne Motor. Wie kommt er denn nun in den Sattel? Und wie wieder runter?

Nun, dafür braucht er ein Trittbrett, das er sich selbst drangemacht hat, und etwas Schwung. Er setzt seinen Fuß erst auf das silberfarbene Blech, dann auf eine Pedale und „rollert“ schließlich ein zwei, Meter, bevor er sich seitlich in den Sattel schwingt.

Wenn er einmal fährt, kippt das Rad nicht so schnell um. Denn das 16, 17 Kilo Tallbike „hält von selbst das Gleichgewicht“, wie Joachim erklärt. Fragen wir noch mal Wikipedia: „Ursache ist das Trägheitsmoment. (....). Ein stehender langer Stab kippt langsamer als ein kurzer.“ Aha. Apropos kippen.

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Das kann Joachim schnell passieren, wenn es steil nach oben geht. „Bergauf ist immer böse. Du kannst hinten runterfallen, weil das Gewicht auf der Hinterachse liegt.“ Also versucht er, sich möglichst weit nach vorne zu legen, um das Gewicht zu verlagern. Am empfindlichsten sei übrigens das lange Steuerrohr.

Ausgelöst durch die Vibration der Handbremse, ist entsprechend Druck darauf. „Über der Gabel liegt die Sollbruchstelle. Deshalb habe ich die Gabel doppelt verstärkt“, sagt Joachim. Bei dem Pedelec sei ihm die Gabel einmal gebrochen - „und ein paar Knochen“. Sonst noch Stürze? Joachim zählt sie nicht mehr.

Er ist ein kurioser Typ, der sich selbst als „anders“ bezeichnet. Das half ihm bei der Auswahl seines Gefährts. „Ich habe ein Rad gesucht, das zu mir passt.“ Er hat sogar schon mal darüber nachgedacht, das Tallbike noch um eine weitere „Etage“ aufzustocken. „Aber ich bin ja auch schon über 60.“

Dann verabschieden wir uns. Joachim radelt tiefenentspannt im Hochsitz über den ebenen Esel gen Dortmund weiter, zurück nimmt er den Zug. Da haben die eigentlich nur noch schwer zu beeindruckenden Bahngäste endlich mal was zu gucken.