Witten. Das Freizeitheim Wartenberg ist bald Geschichte. Die Hauseltern blicken auf viele Jahre zurück. Eine griechische Gruppe werden sie nie vergessen.
Die letzten Gäste sind seit der letzten Woche raus. Reinhard und Petra Rodtmann machen derzeit klar Schiff. Die Ära des Freizeitheims Wartenberg in Witten geht nach fast 100 Jahren zu Ende. Fast 30 davon waren die Rodtmanns die Hauseltern. Sie blicken auf eine bewegte Zeit zurück.
„Es ist Zeit und reicht jetzt langsam“, lässt Reinhard Rodtmann erst gar keine Wehmut aufkommen. Zumindest in den ersten Minuten unseres Gesprächs. Am Ende sagt er: „Das war kein Beruf, sondern eine Berufung. Ich habe das wirklich gerne gemacht“, so der 64-Jährige, der sich in die Rente verabschiedet.
Tag und Nacht waren seine Frau Petra (62) und er seit 1995 erreichbar und für das idyllisch zwischen Wiesen und Wäldern gelegene Freizeitheim zuständig. „So eine Aufgabe würde doch heute niemand mehr machen“, sagt der Hausvater. Auch das ist ein Grund, wieso der Eigentümer, der Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG), das Gebäude verkaufen will.
Wittener Hausvater war „Mädchen für alles“
Hausmeister, Installateur, Alleinunterhalter – Rodtmann war eigentlich so gut wie alles auf dem Wartenberg. Frau Petra, die das Reden lieber ihrem Mann überlässt, kümmerte sich hauptsächlich um die Küche. „Wenn mal eine Fliese kaputt war, habe ich das in die Hand genommen. Bei größeren Sachen mussten dann natürlich Spezialisten kommen“, sagt der Mann für alle Fälle. Auch der Kontakt zu den Gästen war ihm immer wichtig.
In den Anfängen hat er Nachtwanderungen organisiert oder mit den Reisegruppen am Lagerfeuer gesessen und Stockbrot gebacken. „Das waren schöne Zeiten, es hat sich zuletzt aber viel verändert.“
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Das gehe schon beim Essen los. „Heute muss man auf alles achten. Es gibt Veganer, Vegetarier und natürlich auch muslimische Kinder, die nicht alles essen können“, sagt Reinhard Rodtmann. Seine Frau hat deshalb schon lange auf Schweinefleisch verzichtet.
Zudem seien die Ansprüche der Gruppen gestiegen. „Früher haben zwei Lehrer zusammen in einem Zimmer gewohnt. Das ist heute undenkbar.“ Auch viele Kinder hätten sich zuletzt gewundert, dass es keine eigene Toilette in den Zimmern gab.
„Die Kinder sind heutzutage ja auch nichts anderes gewohnt, wenn sie zum Beispiel mit den Eltern nach Mallorca fliegen“, sagt der langjährige Gastgeber. Zum Freizeitheim Wartenberg und den Rodtmanns passt das aber nicht. So wie das Haus legen auch sie nicht viel Wert auf Extravaganz. Das sieht man schon an der Einrichtung. Die Holzstühle im Speisesaal sind Hinterlassenschaften einer Kneipenauflösung und passen wie die Faust aufs Auge einer Jugendherberge.
Griechische Austauschüler hinterließen viel Müll
Nicht zuletzt dieser Charme und natürlich die tolle Lage hatten es den Gästen in all den Jahren angetan. Wie viele Besucher gekommen sind, wissen die Rodtmanns nicht. Um so besser können sie sich an manche noch erinnern. Im positiven wie im negativen Sinne.
Im Frühjahr kamen stets die Kindergärten. „Da hatten wir immer guten Kontakt zu den Erzieherinnen“, sagt Gastvater Reinhard. So zählten etwa die Kinder der Diakonie-Kita an der Pferdebachstraße zu den Stammgästen. „Das waren immer schöne zwei Tage und Nächte.“ Insbesondere das Gelände sei immer gut angekommen. „Hier konnte man sich noch richtig austoben.“
Rodtmann erinnert sich aber auch an eine Gruppe griechischer Austauschschüler. Als die das Freizeitheim wieder verließen, fanden die Hauseltern die Zimmer in dem roten Gebäude völlig zugemüllt vor. „In einem Raum haben wir drei Müllsäcke an Zeug eingesammelt“, sagt der 64-Jährige. Was er nach all den Jahren in jedem Fall sagen kann: „Oft benehmen sich diejenigen aus vermeintlichen sozialen Brennpunkten besser als Gruppen aus gut situierten Verhältnissen.“
Zwischen dem 10. und 15. August ziehen die Rodtmanns die Türen des Freizeitheims endgültig hinter sich zu. Dann geht es nach Halle/Westfalen. Dort werden sie bei ihrem Sohn leben. Auf eines freut sich das Ehepaar dabei am meisten: „Wir werden nie mehr Spaghetti Bolognese essen müssen“, sagt Reinhard Rodtmann lachend. Den Jugendherbergsklassiker hat es einfach zu oft gegeben.
Zum Abschluss des Gesprächs wird der scheidende Herbergsvater noch einmal nachdenklich – wenn er beschreibt, wofür seine Frau und er das Ganze eigentlich gemacht haben. „Ich habe so viele kaputte Kinderseelen gesehen. Mir war es wichtig, ihnen einen Punkt zu geben, an dem sie mal zwei Tage waren und am Ende sagen konnten: „Ich hatte eine tolle Zeit im Freizeitheim Wartenberg.““ Einen Satz, den auch die Rodtmanns für sich unterschreiben können.
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