Witten. Seit einem halben Jahr gibt es das Projekt „Tausche Bildung für Wohnen“ in Witten. Wie läuft es inzwischen in der WG und bei der Lernförderung?

Eingeklemmt zwischen Blumengeschäft und Drogeriemarkt an der Bahnhofstraße befindet sich eine schmale Tür. Der Weg hindurch führt in den ersten Stock. Die Wände in den Räumen dort sind bunt dekoriert, überall stehen Bücher und Spiele herum. In dieser „Tauschbar“ geben junge Leute Wittener Grundschulkindern Nachhilfeunterricht. Dafür dürfen sie in einer WG nebenan kostenlos wohnen. Vor einem halben Jahr ist das Projekt gestartet.

„Wir freuen uns über noch mehr Kinder“, sagt Lisa Marie Wagner (31), die den Wittener Standort des Sozialprojekts „Tausche Bildung für Wohnen“ leitet. Maximal 50 Erst- bis Siebtklässler könnten herkommen. Aktuell seien knapp 20 Kinder angemeldet. Was sich offenbar noch nicht genug herumgesprochen hat: Die Angebote sind für Familien kostenlos, die staatliche Bezüge wie Wohngeld oder Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen.

Wittener Grundschüler lernen und spielen in der Tauschbar

Leitet den Standort Witten des Vereins „Tausche Bildung für Wohnen“: Lisa Marie Wagner. In der Tauschbar an der Bahnhofstraße erhalten Kinder aus sozial schwachen Familien Lernförderung.
Leitet den Standort Witten des Vereins „Tausche Bildung für Wohnen“: Lisa Marie Wagner. In der Tauschbar an der Bahnhofstraße erhalten Kinder aus sozial schwachen Familien Lernförderung. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

In den zweimal 90 Minuten, die pro Kind und Woche vorgesehen sind, geht es allerdings längst nicht nur um Mathe und Deutsch. „Da wird auch mal eine halbe Stunde auf dem Spielplatz getobt“, sagt Wagner. Oder nach den Hausaufgaben ein Spiel gemacht. „Die Kinder lieben Schach.“ Es gehe neben der Lernförderung vor allem ums Miteinander. Schließlich mangele es vielen Kindern in der Pandemie an Kontakten.

Dass das Konzept der Tauschbar bei den Jungen und Mädchen gut ankommt, zeigten deren Reaktionen. „Viele würden am liebsten hier schlafen“, freut sich Lisa Marie Wagner. Gut so, denn dieser Ort soll ihnen im Idealfall eine Art Zuhause sein. Auch die Rückmeldungen der Grundschulen, mit denen der Verein eng zusammenarbeitet, seien „großartig“. Das könnte nicht zuletzt an den sogenannten Bildungspatinnen und -paten liegen, also den WG-Bewohnerinnen und -bewohnern.

18-jähriger Wittener: Sammle selbst viele Erfahrungen

Mit drei jungen Männern und einer Frau ist die 115 m² große Wohnung über dem Café Leye gerade voll besetzt. Till Ahmann lebt hier zum Beispiel. Der 18-Jährige aus Witten wollte nach dem Abi gerne „was mit Kindern“ machen. In der Zeitung habe er von der Tauschbar erfahren. Nun absolviert er hier seinen Bundesfreiwilligendienst.

Viele Erfahrungen könne er dabei sammeln. Eine davon: Ausprobieren, wie es ist, nicht mehr zuhause zu wohnen. In der WG kochen sie zusammen, unternehmen gemeinsam etwas, doch jeder könne sich auch in sein Zimmer zurückziehen. Er sei inzwischen viel selbstständiger geworden, sagt Till. Nicht nur dank der notwendigen Haushaltsplanung. Auch seine Arbeit in der Tauschbar gestaltet er selbst, er wurde dafür zu Beginn zwei Wochen lang qualifiziert. Regelmäßig stehen Seminare an, etwa über Erste Hilfe oder Kinderrechte.

20-Jähriger kam direkt aus der Türkei nach Witten

Tuna Yurdusev absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr in Witten. Mit einem Koffer stand der 20-Jährige fünf Monate zuvor vor der Tür. Er ist direkt aus Istanbul nach Witten gekommen. In der Heimat studiert er Betriebswirtschaftslehre, in der Ruhrstadt will er sein Deutsch verbessern. „Dass er hier ist, ist toll für uns. Denn einige Familien sprechen vorwiegend Türkisch“, sagt Lisa Marie Wagner. Tuna sei da oft eine Art Dolmetscher.

Die Paten bleiben in der Regel ein Jahr, dann ist es Zeit für einen Wechsel. „Zum 1. August suchen wir neue Leute“, so die Standortleiterin. Die Bewerbung verlaufe nach einem ausgeklügelten Prozess. „Die wollten zum Beispiel wissen, was ich mit einer Million machen würde“, erinnert sich Till Ahmann. Solche Fragen – das habe ihm gefallen. Seine Antworten darauf sind offenbar ebenso gut angekommen.