Witten. Ein Gastronom schildert die dramatische Lage in seiner Branche. Sie hat nicht nur mit Corona zu tun. Auch auf Gäste in Witten kommt einiges zu.

Die Lage für die Gastronomie in der Corona-Pandemie wird immer dramatischer. Doch es kommt noch schlimmer, prophezeit Heinz Bruns (61). Denn Preiserhöhungen allerorten – beim Lohn, beim Sprit, bei Lebensmitteln – würden sich demnächst auf der Restaurantrechnung bemerkbar machen. „Essen gehen wird zum Luxus“, sagt der Chef von Haus Kemnade und Vize-Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Westfalen.

Herr Bruns, wie geht es Ihnen inzwischen, nachdem Haus Kemnade im Juli das Hochwasser erwischt hat?

Heinz Bruns: Mir geht es gut. Aber ich habe noch immer keine Gastronomie. Ich hoffe, dass die Baustelle bis März fertig wird. Dann können wir im April rein und im Mai wieder öffnen. Aber das ist von so vielen Faktoren abhängig. Wenn etwa die Kühltechnik nicht rechtzeitig geliefert wird, brauche ich nicht zu öffnen. Was mich außerdem schockiert: Bisher hat sich keiner hier um Hochwasserschutz bemüht. Die Flutbrücke der Wasserburg ist zugewachsen und wird wohl vor Herbst nicht zurückgeschnitten.

Sie haben als Gastronom fast zwei Jahre am Markt nicht existiert, keine Gewinne eingefahren. Wie blicken Sie in die Zukunft?

Ich hoffe jetzt erst mal darauf, dass die Hochzeitssaison mit entsprechenden Festen wieder anläuft. Aber hätte ich im Juli 2021 gewusst, was ich heute weiß, hätte ich aufgehört. Denn es wird sich ganz viel ändern.

Wie meinen Sie das?

Wir hatten gerade Dehoga-Sitzung. Zum 1. Mai greift die Tariferhöhung für Beschäftigte. Die ist auch längst überfällig, die Leute haben das verdient. Die genaue Summe steht noch nicht fest. Aber Geringverdiener bekommen mindestens 2,50 Euro mehr. Wenn allein zehn solcher Leute im Betrieb tätig sind, macht das eine ordentliche Summe an Mehrkosten für uns aus.

Viele Wirte greifen Eigenkapital an

In der aktuellen IHK-Umfrage gaben 70 Prozent der Gastronomen aus der Region an, dass ihre Geschäftslage schlecht sei.

Um Umsatzrückgänge zu kompensieren, greifen sechs von zehn Wirtinnen und Wirten ihr Eigenkapital an. Zwölf Prozent fürchten eine Insolvenz, 30 Prozent rechnen in Zukunft mit noch schlechteren Geschäften.

Aber das ist noch nicht alles...

Ich zahle zehn Cent mehr pro Kilowattstunde Strom. Sprit ist teurer. Und vor allem gibt es einen saftigen Preisanstieg bei Lebensmitteln, nicht nur beim Kaffee. Das schlägt sich alles auf unsere eigenen Preise nieder. Ich schätze, um gewinnorientiert wirtschaften zu können, müssen wir zwischen 25 und 30 Prozent aufschlagen. Das echte Wiener Kalbsschnitzel wird die 30-Euro-Marke knacken. Ein Bier in einer Innenstadt-Kneipe wird zwei Euro statt nur 1,50 kosten. Außerdem wissen wir nicht, ob die Mehrwertsteuer auf Speisen, die wegen Corona von 19 auf sieben Prozent gesenkt wurde, nicht wieder angehoben wird.

Was passiert, wenn Wirte ihre Preise nicht anpassen?

Dann können sie gleich zumachen. Aber wenn Getränke und Gerichte teurer werden, werden auch die Gäste das vermutlich nur eine Weile mitmachen. Viele verstehen nicht, warum wir Preise anheben müssen. Das war schon bei der Umstellung auf den Euro so, obwohl wir damals genau umgerechnet und nur gerundet haben. Trotzdem werden auch wir uns demnächst wieder intensiv mit der Gestaltung der Speisekarte auseinandersetzen müssen. Vermutlich erhalten einfache Lokale bald mehr Zulauf, weil der Preisanstieg im Vergleich zur gehobenen Gastronomie geringer ausfällt.

Was wird sich bei Ihnen noch ändern?

Vielleicht müssen wir überlegen, einen Tag mehr zu schließen. Und wir müssen notgedrungen auf manches verzichten, können zum Beispiel Senioren-Busgruppen auf Anfrage keinen günstigen Mittagstisch mehr anbieten. Vereine, die kein eigenes Vereinsheim haben und sich stattdessen in der Gaststätte treffen – das wird es nicht mehr geben. Da gehen ganze Sozialstrukturen kaputt – und eigentlich hat das schon begonnen.