Velbert. Das S.O.S. Gebrauchtwarenhaus an der Schwanenstraße muss schließen. Michael Adler gibt sein Herzensprojekt schweren Herzens auf. Das ist der Grund.

Der Regen trommelt leise und kontinuierlich auf das Dach der großen Halle – und der graue, wolkenverhangene Himmel taucht alles in eine triste Winterstimmung.

Eine Stimmung, die Michael Adlers Gefühlslage derzeit nur zu gut widerspiegelt. Der zweite Vorsitzende des Velberter Vereins S.O.S.-Team schüttelt betrübt den Kopf: „Aus, vorbei, Schluss“, sagt er. Seine Stimme ist leise, er sucht nach Worten und ergänzt. „Mein Kopf ist einfach voller Gedanken.“ Denn vor einigen Wochen haben das Vorstandsteam und die Mitglieder des Vereins beschlossen, das Gebrauchtwarenhaus an der Schwanenstraße zu schließen und den Verein im Anschluss aufzulösen.

S.O.S. Gebrauchtwarenhaus in Velbert schließt Ende März

„Hier steckt all mein Herzblut drin“, sagt Michael Adler und nickt nachdenklich, „aber es geht nicht mehr weiter, ich möchte keine Schulden machen“. Die Entscheidung, sein Lebenswerk aufzugeben, ist ihm spürbar nicht leicht gefallen und doch ist es die einzige Möglichkeit, die er sieht. Schon im Dezember stellte er fest, dass die Einnahmen bedeutend geringer als im Vorjahr waren. „Die Menschen sparen und wenn sie wenig Geld haben, dann geben sie es lieber für Lebensmittel als für Kleidung oder Gebrauchsgegenstände aus“, weiß er. Und dann erreichte den Verein die nächste schlechte Nachricht: Am 6. Januar teilte das Jobcenter mit, dass die AGH-Maßnahme nicht verlängert. „Wir haben zwei Standbeine, wenn eines dann wegbricht, dann geht es einfach nicht mehr.“

Auch neue Brautkleider gibt es noch im Gebrauchtwarenhaus, auf alles gibt es 50 Prozent
Auch neue Brautkleider gibt es noch im Gebrauchtwarenhaus, auf alles gibt es 50 Prozent © Isabel Nosbers | Isabel Nosbers

Denn das Gebrauchtwarenhaus wird nicht nur von den vier Festangestellten betrieben, die sogenannten AGH-Kräfte, wie die vom Jobcenter bisher geförderten Mitarbeiter (hinter der Abkürzung steckt der Begriff Arbeitsgelegenheiten) bezeichnet werden, unterstützen auch. Also begann Michael Adler zu rechnen, „aber zwei Angestellte entlassen, wie sollen wir das alles hier dann stemmen?“, fragt er. Und so entschieden schließlich die Mitglieder am 13. Januar, den Verein aufzulösen. Schon Ende März wird dann das S.O.S. Gebrauchtwarenhaus an der Schwanenstraße seine Türen für immer schließen. Dankbar ist der zweite Vorsitzende des Vereins dem Verwalter der Immobilie, denn der Mietvertrag, der eigentlich bis Oktober läuft, wurde vorzeitig aufgehoben.

Infos zum S.O.S. Gebrauchtwarenhaus

Das Gebrauchtwarenhaus an der Schwanenstraße ist von Neviges im November 2020 nach Velbert-Mitte gezogen. Der Verein hat sich 2007 gegründet. Aber das S.O.S. Team ist aus der Wirtschaftsförderung entstanden und besteht somit schon weitaus länger.

Das Kaufhaus für gebrauchte Gegenstände liegt an der Schwanenstraße 48a und hat montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr noch bis Ende März geöffnet.

Dennoch „kann ich nachts nicht schlafen“, berichtet der zweite Vorsitzende derweil weiter. „Zu viele Gedanken habe ich in meinem Kopf“, ob er an alles gedacht hat, jeden Vertrag gekündigt, jede notwendige Maßnahme ergriffen und auch ob er richtig gerechnet hat: „Wenn ich nichts vergessen habe, kommen wir finanziell bis Ende März hin.“ Und auch, ob er alle Dinge im Warenhaus rechtzeitig an den Mann oder die Frau bringt. „Denn das ist mir wichtig, ich denke nachhaltig, hier soll nichts verschrottet werden, das wäre wirklich schade, wenn wir nicht alles unter die Leute bekommen.“

Ausverkauf im Velberter Gebrauchtwarenhaus hat begonnen

Also hat er sich entschlossen, schon jetzt mit dem Ausverkauf zu beginnen. „Ist das früh oder aber schon zu spät?“, fragt er sich und zuckt mit den Schultern. „Und ist es richtig, direkt mit 50 Prozent auf alles anzufangen?“ Alleine 30.000 Bücher befinden sich derzeit noch im Gebrauchtwarenhaus, für die gibt es bei Mehrabnahme ein besonders gutes Angebot, denn Michael Adler weiß: „Wer kauft denn heutzutage noch Bücher?“ Einen Zettel für das Angebot hat der zweite Vorsitzende, der im März 62 wird, bereits auf seinem Schreibtisch liegen. Sowie zahlreiche andere Papiere und Ordner. „Hier“, zeigt er einen Ordner, sauber beschriftet mit dem Wort „Abschluss“: Dort „sammle ich alle Kündigungen“, erklärt er.

Spenden nimmt das Gebrauchtwarenhaus nicht mehr an, jetzt geht es darum, eben alles noch rechtzeitig loszuwerden. „Wieso schließen Sie denn?“, fragen die Kunden alle enttäuscht. „Wir sind ja noch zahlungsfähig“, sagt Adler. „Aber wie lange noch? Wir müssen jetzt Schluss machen, bevor die Insolvenz kommt oder wir Schulden machen.“ Und es klingt paradox, seine Kündigung hat er selbst geschrieben „und auch die für meine Frau“, ergänzt er. „Aber da geht es nur um uns, meine Mitarbeiter tun mir leid“, erklärt er bedrückt.

Tausende an CDs warten im Gebrauchtwarenhaus noch auf Kunden
Tausende an CDs warten im Gebrauchtwarenhaus noch auf Kunden © Isabel Nosbers | Isabel Nosbers

Dieser Satz zeichnet Michael Adler für das aus, wofür er die ganzen Jahre stand, seine Bescheidenheit, seine Fürsorge anderen gegenüber, die soziale Einstellung. „Ich habe hier mal angefangen, weil es Spaß gemacht hat.“ Der Spaß – er ist für Michael Adler vorbei. Sorgen, Gedanken, rund um die Uhr, das nagt an ihm. Dabei gibt es da noch ein ganz existenzielles Problem, das auf den zweiten Vorsitzenden wartet. „In Rente gehen kann ich noch nicht.“ Doch nach einem Job suchen, oder sich überhaupt Gedanken darüber zu machen, wie es für ihn weitergeht, dafür hat er gerade keine Kraft. Ob es etwas gibt, worauf er sich dennoch freut? „Wenn das alles hier geschafft ist“, sagt er – und seufzt: „Und ich vielleicht wieder schlafen kann.“