Velbert. Steigende Kosten für Energie und Lieferengpässe: Der Krieg in der Ukraine hat auch für die Wirtschaft in Niederberg teils drastische Folgen.
Dass die Preise für Energie in den vergangenen Wochen massiv angestiegen sind, merkt jeder. An der Tankstelle steht nach wie vor oft eine „2“ an erster Stelle, Vermieter erhöhen die Nebenkosten und Ende des Jahres haben viele Velberter Haushalte unliebsame Post von den Energieversorgern erhalten, in denen Preiserhöhungen angekündigt wurde. Neben den Verbrauchern, trifft das aber auch die Unternehmen – vor allem diejenigen, die viel Energie für die Produktion benötigen und/oder lange Transportwege haben.
Darüber reden wollen jedoch die wenigsten Unternehmen. Mehrere Anfragen der WAZ an Firmen aus dem Automobil-Zulieferer- und Gießerei-Bereich blieben gänzlich unbeantwortet – oder es gab eine knappe, recht allgemein gehaltene Antwort, wie dieses Statement von Huf: „Die durch den Ukraine-Krieg hervorgerufene Erhöhung der Energiekosten betrifft auch Huf und das Unternehmen führt konstruktive Gespräche mit den Kunden, um den zusätzlichen Aufwand gemeinsam zu bewältigen. Allerdings bezieht die Mehrzahl der Werke von Huf keine Energielieferungen aus Russland, so dass die Produktion nicht gefährdet ist.“
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Ausführlich äußerte sich hingegen Kersten Janik, Chief Operating Officer (COO) beim Velberter Automobilzulieferer Witte: „Der Krieg in der Ukraine ist ein weiterer Risikofaktor – neben den bisherigen, auch schon sehr schwierigen Entwicklungen wie Covid-19 sowie Engpässe mit Lieferabbrüchen für Halbleiter seit dem vergangenen Jahr – die WITTE bislang jedoch gut überstanden hat.“ Witte selbst habe zwar keine Zulieferer in der Ukraine oder in Russland, „jedoch kommen von dort viele Rohstoffe und Komponenten vieler Zulieferer und der Grundstoffindustrie“, so Kersten Janik. Hauptsächlich betroffen sei Witte, wie alle Automobilzulieferer, von nicht vorhersehbaren Produktionsstopps in den Werken von Kunden, weil diese andere Zulieferer haben, die ihrerseits nicht liefern können. „Im Moment sehen wir Abruf-Reduzierungen unserer Kunden, auf die wir flexibel reagieren“, so der Witte-COO.
Witte zahlt viermal mehr für Energie wie noch vor einem Jahr
„Für das Jahr 2022 erwarten wir durch den Krieg einen Dämpfer für das Geschäft, darüber hinaus könnte möglicherweise die Nachfrage leiden, die Auftragsbücher unserer Kunden sind jedoch derzeit noch voll. Schlimmer sind die stark erhöhten Materialkosten.“ Die Preise für Energie sind für Witte aktuell rund viermal so hoch wie noch vor einem Jahr. Sollten Gaslieferungen reduziert oder sogar ganz eingestellt werden, könnten bestimmte Produktionsarten nicht aufrechterhalten werden, sagt Kersten Janik. „Natürlich versuchen wir beispielsweise durch LNG-Speicher eigene Puffer aufzubauen, das dauert jedoch, weil viele Unternehmen genau dies tun und die Regierungen auch diese überwachen und gegebenenfalls priorisieren würden.“ In vielen Prozessen habe Witte Gas bereits ersetzt, so der COO weiter. „Und wir arbeiten weiter daran.“
IHK führt viele Gespräche mit Velberter Unternehmen
Auch bei Marcus Stimler, dem Zweigstellenleiter der Industrie- und Handelskammer in Velbert, sind die Sorgen der Unternehmen angekommen. Die Preissteigerungen bei Energie und Materialeinkauf seien derzeit Thema in vielen Gesprächen, die er mit Firmenvertretern führe. Je nach Branche sei die Betroffenheit unterschiedlich stark, so Stimler, der noch im Februar gemeinsam mit dem IHK-Konjunkturexperten Gerd Helmut Diesteler die recht optimistisch stimmenden Ergebnisse der Konjunkturumfrage vorgestellt hatte. Da hatten viele Unternehmen die aktuelle Lage als positiv bewertet – und auch bei den Erwartungen für das Jahr eher zuversichtlich nach vorn geschaut. Stimler fürchtet, dass das in der Herbst-Konjunkturumfrage schon ganz anders aussehen könnte – vor allem dann, wenn kein Gas aus Russland mehr geliefert wird.
Durch die Pandemie sind bereits 1500 Industriearbeitsplätze verloren gegangen
Noch deutlicher wird Hakan Civelek, Geschäftsführer der IG Metall Velbert. „Für einige Branchen ist die Lage schon jetzt dramatisch.“ Betroffen seien – anders als noch durch die Corona-Pandemie – nun aber nahezu alle Branchen durch hohe Einkaufspreise bei gleichzeitig sinkender Kaufkraft der Bürger. Wie sich die Lage entwickele, hänge auch von der staatlichen Förderung ab. Diese sei notwendig, sagt Civelek. Seit Beginn der Corona-Pandemie seien in Niederberg bereits 1500 Industrie-Arbeitsplätze verloren gegangen. „Personalabbau ist auch in der jetzigen Situation nicht der richtige Weg“, meint der Gewerkschafter. Zu einen verursache es Kosten durch Abfindungen, zum anderen fehle dann Personal, wenn es wieder aufwärts gehe.
„Und in Krisen ist es wichtiger denn je, ein Unternehmen stabil zu halten, sonst wird man abgehängt und kann nicht wieder durchstarten.“ Also einfach Ruhe bewahren? „Das hört sich gut an, ist aber in der Realität schwierig“, weiß Civelek. Dennoch: „Unternehmen sollten jetzt keine Schnellschüsse machen, sondern das Gespräch mit Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaften suchen.“ In Zeiten wie diesen müsse man zusammenrücken und gemeinsam Wege finden. Schließlich habe man ja ein gemeinsames Ziel: „Wenn ein Unternehmen kaputtgeht, werden wir die Arbeitsplätze in Deutschland nicht wiedersehen.“
>>> IHK-Konjunkturbefragung
Die Industrie- und Handelskammer befragt zweimal pro Jahr Unternehmen zu ihrer aktuellen Lage und ihren Erwartungen.
Nach einem Corona-Tief hatte sich der „Zufriedenheits-Index“ zuletzt erholt.
Bei den Konjunkturrisiken wurden von Firmen vor allem die Rohstoffpreise und die Energiekosten genannt. Letztere waren Anfang 2021 für nicht einmal 30 Prozent der Unternehmen ein Konjunkturrisiko, bis Februar dieser Wert auf 71 Prozent hochgeschnellt.