Coronabedingt musste die SGN, Anlaufstelle für psychisch kranke Velberter, monatelang schließen: Eine echte Bewährungsprobe für die 300 Klienten.
Kate Wessel erinnert sich noch genau an diesen einen Augenblick im Frühjahr als sie erfuhr, dass die Einrichtung der SGN von einem Tag auf den anderen geschlossen werden musste. „Ich dachte, mir sackt der Boden unter den Füßen weg“, beschreibt es die 38-Jährige, „niederschmetternd war das, ein Desaster, ich dachte echt, ich packe das nicht.“
SGN gibt Tagesstruktur
Kate Wessel besucht seit 2018 viermal wöchentlich ganztägig die Gemeinnützige sozialpsychiatrische Gesellschaft (SGN) in der Nordstraße. In dem ambulanten Zentrum für Menschen mit psychischen Problemen findet sie die Tagesstruktur, die sie so dringend benötigt, es gibt es eine Vielzahl von Angeboten: ein Café, unterschiedliche Gruppen, Arbeitstraining, Sportangebote, betreutes Wohnen, gemeinsames Mittagessen, Selbsthilfegruppen.
Negatives wird vergrößert wahrgenommen
Als dann Mitte März die Einrichtung schließen musste, stand Kate Wessel plötzlich ganz alleine da. „Es war schlimm, ich saß in meiner Wohnung, hatte kein Ziel mehr vor Augen, keinen Menschen bei mir. Selbst meine zwei Söhne, die bei ihrem Vater leben, durften mich nicht mehr besuchen.“ Die Langenbergerin leidet unter anderem unter schweren Depressionen, eine Krankheit, bei der alles Negative im Leben eh schon wie unter einer Lupe, also vergrößert, wahrgenommen wird – so auch die Ängste und Nöte rund um den Corona-Virus.
Sorgen um Klienten
„Wir hatten extreme Sorgen um unsere Klienten“, erinnert sich SGN-Mitarbeiter Sören Rafalski, „einmal, dass sie wieder in die totale Hoffnungslosigkeit geraten könnten und zum zweiten, dass wir das Vertrauen, das wir manchmal mühsam gemeinsam erarbeiten mussten, nun wieder verlieren und sich Klienten komplett einigeln würden, dass wir nicht mehr an sie herankommen würden – auf welchen Kanälen auch immer.“
Tägliches Skypen als festes Ziel
Daher war den Mitarbeitern klar: Mit der Schließung der Räume mussten sich neue Wege eröffnen - und zwar ohne jegliche Zeitverzögerung. „Das Erste, was eingeführt wurde, war das tägliche Telefonieren morgens um zehn Uhr per Skype“, erzählt Kate Wessel, „wir konnten uns sehen und reden, das hat schon geholfen.“ Sören Rafalski nickt. „Ganz wichtig ist für unsere Klienten, dass sie feste Ziele haben, dieser zehn Uhr-Termin war eins davon, sie hatten wenigstens einen Grund aufzustehen.“
Kurzer Besuch an der Haustür
Zudem wurden die rund 300 Klienten von den 30 Mitarbeitern während der monatelangen Schließung regelmäßig zu Hause aufgesucht. „Auch wenn wir nur kurz vorbeigefahren sind oder an der Haustür standen, es ging darum, zu signalisieren, dass niemand in Vergessenheit gerät und es uns nicht egal ist, wie es unseren Klienten geht“, informiert Sören Rafalski, „natürlich gab es auch vereinzelt Situationen, in denen uns nicht aufgemacht wurde, wir die Tür öffnen lassen mussten und vielleicht einen Krankenhausaufenthalt angeregt haben. Aber generell haben wir es auf diesem Wege geschafft, den Kontakt aufrecht zu halten.“ Außerdem konnten – Dank schneller und unbürokratischer finanzieller Unterstützung durch „Aktion Mensch“ – viele der Hilfebedürftigen auch weiterhin mit einer warmen Mahlzeit versorgt werden.
Kreativität in der Einsamkeit
Kate Wessel hat die schnellen Hilfsangebote dankend angenommen, sich außerdem eigene Wege aus der negativen Gedankenspirale und der Einsamkeit gesucht. „Ich habe mir auf der Streaming-Plattform Twitch.de einen eigenen Kanal eingerichtet („Katyez1707“) und habe mittlerweile schon 180 Follower“, erzählt sie erfreut, „und ich habe angefangen, ein Buch zu schreiben, eine Art Science Fiction-Roman, der sich indirekt mit psychischen Krankheiten beschäftigt.“ Sören Rafalski wundert das nicht besonders: „Wenn ich etwas aus der Krise gelernt habe, dann, dass unsere Klienten extrem kreativ damit umgegangen sind. Viele haben so wie Kate reagiert und machen plötzlich Sport, malen oder schreiben.“
Krisenerfahrenheit hilft durch Corona-Zeit
Natürlich gäbe es auch die, die vermehrt zu Alkohol, zu Drogen gegriffen hätten. Letztlich aber, glaubt der SGN-Mitarbeiter, hätten die schwierigen Lebenserfahrungen im Vorfeld der Coronakrise den meisten Klienten sehr dabei geholfen, die Zeit mehr oder weniger gut durchzustehen. „Ich denke, es liegt daran, dass sie so krisenerfahren sind und wissen, welche andere schwierige Zeiten sie schon gemeistert haben.“