Oberhausen. Der Ausstatterin am Theater Oberhausen blutet das Herz, wenn sie wunderschöne Kostüme ganz praktikabel zuschneiden muss - für fliegende Wechsel.
Mit dem Zauberland Oz macht die Ausstattungsleiterin des Theaters derzeit nicht nur tausenden Kindern strahlende Augen. Franziska Isensee dürfte auch der Crew im Malersaal eine große Freude bereitet haben: An den poppig-bunten Designs voller Details konnten sie ihre ganze Könnerschaft mit Pinseln und Farben beweisen. Eine Rarität an heutigen Bühnen, die eher blanke Flächen für die Projektion von Filmbildern brauchen? Nein, auch das liebevoll gemalte Bild „kommt zurück“, glaubt die gelernte Schneiderin und studierte Innenarchitektin.
Wenn Oberhausens Intendantin Kathrin Mädler mit dem ihr eigenen Elan davon schwärmt, mit „großen Bildern“ betören zu wollen - dann ist Franziska Isensee die Frau ihres Vertrauens, um diese Bildideen im Großen Haus oder auf kleinerer Studiobühne wahr werden zu lassen. So entstehen fast gleichzeitig - zunächst als Modelle im Puppenstubenformat - eine zauberische Märchenwelt, die mit schönster Selbstverständlichkeit selbst den Filmklassiker des „Zauberers von Oz“ übertrumpft.
Und für Kathrin Mädlers Regiearbeit „Grabeland“ ein gewaltiges Regal aus vielen Fächern, in dem sich keiner der Schauspieler aufrichten kann: Es bannt die ganze Bedrückung der NS-Tyrannei in ein Bild. „Konträrer könnte es nicht sein“, meint die Bühnen- und Kostümbildnerin, die übrigens am liebsten beide Aufgaben übernimmt.
Der Anlauf von den ersten Skizzen bis zum gespannt erwarteten Premierenabend ist lang, aber genau getaktet. „Wenn der Spielplan herauskommt“ macht sich Franziska Isensee ans Werk. Und schon beim ersten Modell auf einem runden Pappteller, wenig größer als eine Langspielplatte, muss der Maßstab stimmen: 1:33.
Den haben mit der Bühnenbildnerin auch die technischen Gewerke auf der Probenbühne verinnerlicht. Die Modelle zeige sie dem Regieteam, „wenn ich selber dran glaube - nicht wenn ich noch schwimme“. Skizzenhaft ist dann nichts mehr: Das Bühnenbild für „The Legend of Georgia McBride“ lässt sich auch 1:33 in vier Teilen auseinanderfahren, um die zuvor triste Drag-Show-Bude in einen Showpalast mit funkelndem Herzen zu verwandeln.
„Von der Kunst zum Handwerk - das mag ich total gerne.“
Der große Moment ist stets die „Bauprobe“ in Buschhausen: Die Techniker markieren alle Abmessungen auf der Probenbühne, die 1:1 jener im Großen Haus entspricht. Jedes Gewerk erklärt seine Ideen. „Was technisch relevant und optisch nicht sichtbar ist“, sagt Franziska Isensee, „weiß der Schlosser besser als ich: Von der Kunst zum Handwerk - das mag ich total gerne.“ Wie bei der klassischen Guckkastenbühne für „Oz“ fügen die Maler den schon sehr fein ausgearbeiteten Entwürfen eigene Details - sprich Schwalben-Silhouetten - hinzu.
Meist zehn Wochen vor der Premiere entwirft die gelernte Schneiderin die Kostüme. „Die Schneiderei hat unfassbar viele Stoffkataloge“. Beim „Zauberer von Oz“ mit dem berühmten Hollywood-Vorbild stellte sich für Franziska Isensee die Frage: „Bediene ich die Erwartungen oder unterlaufe ich sie?“ Sie tat beides.
Dorothys transparentes Kleid mit seinen Rüschen ist eine Reverenz an das Filmkostüm für Judy Garland. Doch darunter trägt Regina Leenders ein frecheres Pünktchenkleid. Und der Blechmann darf zwar metallisch glitzern, braucht als Tänzer aber alle Bewegungsfreiheit. Selbst die Vogelscheuche soll sich vor dem bunten Bühnenkarussell behaupten, trägt also mondäne „Knallfarben“ statt Jute.
Und für Klaus Zwick, der in staunenswerter Wandlungsfähigkeit mal als „Böse Hexe des Westens“, mal als so pompöser wie hilfloser „Zauberer von Oz“ auftritt, sind die extravaganten Gewänder mit großen Klett-Verschlüssen ausgestattet. „Das tut mir als Schneiderin fast weh“, meint die Ausstattungsleiterin: Aber beim fliegenden Kostümwechsel kommt es auf jede Sekunde an.
„Lieber mopse ich mir die besten Teile aller Epochen.“
Der „schönste Moment“ für die Kostümbildnerin ist die erste Anprobe, wenn Schauspielerinnen und Schauspieler sich prompt in ihren Rollen ausprobieren. Bei „Zeit für Freude“, deren Ausstattung für den Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ nominiert war, gab‘s Anproben, anders als üblich, schon vor dem Probenbeginn. Denn für Arne Lygres skeptische Ode an Familie und Freundschaft bestimmen die ausladenden Roben auch die Bewegungen des Ensembles.
Und die monumentalen Saurier-Masken? Franziska Isensee hatte ein Essay inspiriert, der auch die vorzeitlichen Dinos „als Herdentiere beschrieb, die einander brauchen“. Für solche Momente des Erstaunens legen sich alle Gewerke ins Zeug: „Der Maskenabteilung bin ich sehr dankbar.“
Die Ausstattungsleiterin bräuchte es nicht eigens betonen: Alltagsklamotten gehören für sie nicht auf die Bühne. „Lieber mopse ich mir die besten Teile aller Epochen.“ Nur „Milch und Kohle“ ist hier die bemerkenswerte Ausnahme. Denn wie es Ralf Rothmanns Roman beschreibt, trägt hier Susanne Burkhard als Liesel „Kleider aus den Burda-Heften“. Auch sie „würde gerne schneidern“, sagt Franziska Isensee mit leisem Bedauern, weiß ihre Figurinen aber bei Gewandmeisterin Daphne Kitschen in besten Händen. „Es ist der Zauber des Theaters, dass man diese Kostüme niemals bei H&M kaufen kann.“
Teure Stoffe? Zu unpraktisch für die Action im Scheinwerferlicht
Übrigens seien die Anfertigungen für das Theater günstiger als Einkäufe von der Stange. Und obwohl der neue Look am Theater Oberhausen geradezu nach Prachtentfaltung aussieht, betont Franziska Isensee: „Sehr teure Stoffe wie Seide oder Kaschmir würden wir nicht benutzen.“ Zu unpraktisch für die allabendliche Action im Scheinwerferlicht.
Die emsige Ausstattungsleiterin übernimmt neben vier neuen Produktionen in Oberhausen zum Ende der Spielzeit auch noch einen Gast-Auftrag in Konstanz. Und sie arbeitet derzeit mit Kathrin Mädler in der bulgarischen Hauptstadt Sofia an der Uraufführung von „Darkness on the Edge of Town“, ein kreatives Spin-off des Balkan-Festivals am Will-Quadflieg-Platz.
Beruhigt erkannte Franziska Isensee: „Unser Beruf ist doch ein internationaler.“ Im Nationaltheater sei „die Pracht der alten Zeit“ zwar mittlerweile angegraut. Doch für die beiden Gäste hat‘s den Charme einer Zeitreise. Das zeitgeschichtliche Drama mit dem Springsteen-Titel, das vom 1992 bis 1995 belagerten Sarajevo erzählt, kommt übrigens im Sommer als Gastspiel nach Oberhausen.