Oberhausen. Busticket, Bankgeschäft oder Arztbesuch: Überall geht es fast nur noch digital zu. Warum gerade ältere Menschen Ängste beschleichen.

Fit bleiben, auch und gerade, wenn man älter wird, daran ist Renate Meyer (65) sehr gelegen. Als sie dann eine Werbeanzeige für eine Smartwatch las, die Schritte zählt, Puls und Blutdruck misst, „wollte ich die unbedingt haben“, erzählt die Oberhausenerin. Doch dazu sollte es nicht kommen. Als der Verkäufer ihr erklärte, sie müsse dazu eine App auf ihr Handy laden, „war ich raus“. Die frühere Mitarbeiterin in einem Technikgeschäft sperrt sich dagegen, „weil man wieder einmal gezwungen wird, ein digitales Werkzeug zu nutzen“.

Die groß Sorge, abgehängt zu werden

Als sie ihre glasklaren Worte ausspricht, nicken alle in der Runde. Die Frauen und Männer, alle 60 plus*, sind der Einladung zum Digital-Café gefolgt, das der Paritätische Wohlfahrtsverband für Menschen anbietet, die einen Lotsen suchen: fürs Internet und alles was auch nur annährend damit zusammenhängt. Die Besucher eint das Unbehagen, wonach sie immer mehr von digitalen Anwendungen in Beschlag genommen werden, Ängste aufkommen und manch einer dabei auf der Strecke bleibt.

„Nehmen wir doch nur mal als Beispiel die Krankenkassen“, gibt Peter Thebrath (78) zu bedenken. „Die drängen doch uns als Versicherte immer mehr dazu, die jeweilige Kassen-App zu benutzen, weil es dann schneller und einfacher gehen soll“. Der einstige Mitarbeiter einer Firmenverwaltung weiß inzwischen, wie er auf diesem Weg Rechnungen einreicht. „Aber das musste ich mir auch erstmal aneignen.“ Er hat durchaus Verständnis dafür, wenn Menschen mit einer solchen Handhabe überfordert sind, gerade, wenn sie älter werden. „Junge Leute wachsen mit der Technik auf, tauschen Tipps untereinander aus. Senioren sind meist froh, wenn ihnen Enkelin oder Enkel hilft. Doch das kann es eigentlich nicht sein“.

In Oberhausener Bussen gibt es nur noch Einzeltickets zu kaufen

Thebrath und Ehefrau Brunhilde sehen aber noch eine weitere Hürde: Um den sogenannten Service in Anspruch nehmen zu können, brauchen die Leute nicht nur ein Handy, sondern meist auch einen Scanner und/oder Drucker, der dann mit dem Gerät auch verbunden werden muss. „Für diejenigen, die ständig damit umgehen, ist das Alltag, bei der älteren Generation fühlt man sich da auch schon mal ausgegrenzt.“

Noch ein Beispiel: Die Kassen verlangen eine sogenannte doppelte Authentifizierung, wenn man die App benutzt. Mal abgesehen davon, dass der Begriff schon manchen Leuten ein Fragezeichen ins Gesicht zaubert, hapert’s dann in der konkreten Umsetzung. Erst ein Passwort eingeben, dann noch mal eine Zahl oder Ähnliches anfordern, um nachzuweisen, dass man auch wirklich der Franz Müller ist, der die App nutzen darf: „Da steigen dann doch einige aus“.

Apropos Ein- und Ausstieg: Die Entscheidung, wonach es seit September nur noch Einzel- und Fahrradtickets in den Bussen der Stoag zu kaufen gibt, trifft auf Unverständnis. Die anderen Karten soll man dann am besten übers Handy buchen, meint eine Besucherin. „Doch viele Senioren haben entweder keines oder kennen sich nicht gut genug aus.“

Wer in einen Bus der Oberhausener Stoag einsteigt, kann dort nur noch Einzeltickets kaufen. Ältere Menschen bemängeln, dass sie sich gedrängt fühlen, für den Erwerb von Fahrkarten aufs Internet angewiesen zu sein.
Wer in einen Bus der Oberhausener Stoag einsteigt, kann dort nur noch Einzeltickets kaufen. Ältere Menschen bemängeln, dass sie sich gedrängt fühlen, für den Erwerb von Fahrkarten aufs Internet angewiesen zu sein. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Selbst in Praxen und Krankenhäusern sollen sich Patienten mit Apps und Internet auskennen

Wie sehr digitale Lösungen um sich greifen, zeige sich auch in Krankenhäusern und Arztpraxen, erklärt eine ältere Frau, die ihren Namen nicht so gerne nennen möchte. Neulich erst war sie zu einer Untersuchung und sollte über ein Tablet Fragen beantworten. Sie hat das noch geschafft, aber eine ältere Frau vor ihr kam damit überhaupt nicht zurecht. Erst als sich Mitarbeiterinnen Zeit nahmen, Punkt für Punkt die Liste durchzugehen und zu zeigen, wie man ein Kreuzchen setzt oder eben auch keins, wurde die Patientin entspannter. Gleichwohl habe sie einen sehr verunsicherten Eindruck hinterlassen, erinnert sich die Oberhausenerin. „Das Personal wiederum muss sich für solche Hilfen Zeit abzwacken, Zeit, die anderweitig fehlt, schließlich haben die Mitarbeiterinnen genug um die Ohren.“

Auf Hilfe ist auch nach wie vor eine Besucherin des Cafés angewiesen, um ihre Bankgeschäfte zu erledigen. Die Filiale in ihrem Ortsteil ist längst geschlossen. „Eigentlich ein Unding, denn dort waren immer viele Kunden.“ Mit Online-Banking hat sie nichts am Hut, ohne Internetanschluss schien das Thema ohnehin schnell erledigt zu sein. Also macht sie sich auf in die noch verbliebene Innenstadt-Geschäftsstelle. Die Angestellte dort ließ den Schilderungen zufolge freundlich, aber bestimmt nicht locker: „Sie meint, das mit dem Banking würde sie mir beibringen, funktioniere auch per Smartphone.“ Inzwischen taste sie sich bei der Kontoführung immer weiter vor, aber Überweisungen erledigt immer noch die Bank-Mitarbeiterin. Die Besucherin gibt sich ihren Schilderungen nach wirklich Mühe, überzeugt scheint sie indes nicht zu sein.

Digital-Café des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Oberhausen: v.l. Brundhilde und Peter Thebarth, Renate Meyer und Leiterin Sejla Badnjevic
Im Alltag funktioniert immer mehr nur noch online: Im Digital-Café des Oberhausener Paritätischen Wohlfahrtsverbandes sprachen die Besucher Brunhilde und Peter Thebrath sowie Renate Meyer mit Leiterin Sejla Badnjevic über die sich daraus ergebenden Probleme. © Theo Körner

Senioren mit schmaler Rente müssen sich Handys kaufen und Verträge abschließen

„Hinzu kommt noch, dass Banken das Online-Banking für den Kunden deutlich preiswerter anbieten als die analoge Variante“, ergänzt Peter Thebrath. In der Runde kommt schnell die Rede auf Geldinstitute, die sich Überweisungsformulare und Briefumschläge eigens bezahlen lassen. Je unattraktiver der herkömmliche Bezahlweg werde, umso mehr würden sich Kunden genötigt fühlen, davon Abstand zu nehmen. Dabei treffen sie in den Banken, so heißt es, aber nicht unbedingt auf hilfsbereite Angestellte, von der die Besucherin zuvor erzählt hat.

Um überhaupt für die digitale Welt von heute ausgestattet zu sein, „muss man durchaus tief in die Tasche greifen“, betont eine weitere Besucherin. „Man braucht passende Geräte und Verträge, das kostet alles Geld und das nicht zu knapp.“ Das können sich gerade ältere Menschen mit einer schmalen Rente nicht unbedingt leisten, bemängeln die Gäste.

Kritisch sehen sie zudem, dass Veranstaltungen wie Konzerte oder Kurse oftmals auch nur noch online buchbar sind. Entsprechende Geschäftsstellen sind abgeschafft. Immer und überall seine persönlichen Daten angeben zu müssen, hält die Runde durchaus für heikel und fragt sich, was damit passiert. Renate Meyer hat neulich wieder einmal einen Anruf erhalten, bei dem man ihr etwas andrehen wollte. „Woher haben die meine Daten? Ich gehe damit vorsichtig um.“ Dass sie sich gegen die App entschied, hat auch mit diesem Erlebnis zu tun.

Kontakt und Kurse

Wie stark der Bedarf an Hilfe und Beratung ist, zeigt sich auch daran, dass das Digital-Café bis Ende des Jahres ausgebucht ist. Wer aber trotzdem einen Termin buchen möchte, kann sich an Leiterin Sejla Badnjevic wenden: 0208/30 196 20, Mail: sejla.badnjevic@paritaet-nrw.org. Ort und Uhrzeit werden im Kontakt geklärt.

Eine Digitalwerkstatt bietet zudem das Ev. Familien- und Erwachsenenbildungswerk an, Marktstraße 154 (1. Etage), Kontakt: 0208/85008 52

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