Oberhausen. Beliebt wie Sauerbier: Kaum eine Arztpraxis in Oberhausen nutzt das elektronische Rezept. Dennoch wird es ab Januar 2024 zur Pflicht.

Die Zeit rennt. In wenigen Wochen wird das elektronische Rezept auch in Oberhausen zur Pflicht. Die Einführung wurde fast zwei Jahre lang immer wieder verschoben. Neuer Stichtag ist der 5. Januar 2024. Doch wie funktioniert es überhaupt? Und was kommt damit auf Patientinnen und Patienten zu?

Spätestens seit dem Sommer 2023 sind sämtliche Apotheken in Oberhausen startklar. Zu Gesicht bekommen sie das E-Rezept aber bisher nur selten. Der Oberhausener Sprecher der Apothekerkammer Nordrhein, Lukas Heuking, erzählt: „Von zehn Ärzten nutzt nur einer diese neue Technik.“ Die meisten setzen nach wie vor auf das allseits beliebte rosa Muster 16, wie das alte Papierrezept liebevoll genannt wird. Doch es hilft nichts, Muster 16 landet bald endgültig im Papierkorb. Zwar dürfen die Mediziner es auch nach dem offiziellen Start des E-Rezeptes weiterhin nutzen. Doch das könnte teuer werden. „Es drohen Budget-Strafen“, weiß Heuking.

Da insbesondere ältere Patientinnen und Patienten vor der auf dem Handy zu installierenden E-Rezept-App zurückschrecken, hat sich das Bundesgesundheitsministerium einen schrittweisen Übergang mit mehreren Möglichkeiten einfallen lassen. Bei der ersten Variante wird das elektronische Rezept, ähnlich wie das alte Formular auch, in den Praxen einfach auf Papier ausgedruckt. „Es enthält einen QR-Code, den wir in der Apotheke einscannen können“, erläutert Heuking. „Außerdem befindet sich gut sichtbar das Medikament darauf und die Dosierung, die der Arzt verordnet hat.“

Die zweite Variante des E-Rezeptes birgt die größten Unsicherheiten

Bei Variante zwei wird das Rezept auf dem Chip der Versichertenkarte gespeichert und in der Apotheke ausgelesen. Der größte Nachteil dabei: „Die Patienten sehen nicht, welches Medikament der Arzt ihnen verschrieben hat und können auch nicht überprüfen, ob die Dosierung stimmt.“ Ist es falsch verordnet worden, beginnt die Rennerei. „Wir können zwar versuchen, die Praxis telefonisch zu erreichen, damit der Fehler dort elektronisch korrigiert wird, doch wir wissen ja alle, wie schwierig es manchmal ist, dort durchzukommen.“ Nicht nur das: „Auch bei uns ist in der Erkältungszeit oft die Hölle los, da bleibt uns für so etwas kaum Luft.“ Variante zwei birgt außerdem diese Unsicherheit: „Weil eben nichts einsehbar ist, erfahren Patienten erst in der Apotheke, ob ihr Arzt versehentlich vergessen hat, das Rezept zu unterschreiben.“ Sei dies der Fall, taucht im Apothekensystem schlicht „gar nichts“ auf. Heuking weiß: „Jedes E-Rezept muss digital unterschrieben werden, aber dieser Ablauf sitzt oft noch nicht.“

Lukas Heuking, kommissarischer Sprecher der Oberhausener Apotheken.
Lukas Heuking, kommissarischer Sprecher der Oberhausener Apotheken. © WAZ | Martin Valk

Die dritte Variante gilt als Königsdisziplin. Durch die E-Rezept-App der Firma Gematik könnte die ganze Sache für alle Seiten tatsächlich durchaus komfortabel werden. Ist die App erst einmal aufs Handy heruntergeladen, bietet sie Service pur. „Hat der Arzt ein Rezept verschrieben, kann der Patient über die App nicht nur sofort überprüfen, ob Medikament und Dosierung stimmen und ob das Rezept unterschrieben wurde, sondern er kann es auch gleich selbst an die nächste Apotheke weiterleiten.“ Noch aber nutze nur eine Handvoll Kunden diese Möglichkeit. „Denn dafür benötigt man eine Krankenversicherungskarte mit Pin.“ Diese zusätzliche Hürde sei zum Schutz der sensiblen Gesundheitsdaten besonders wichtig.

Stress und Hektik durch die neue Technik in vielen Arztpraxen

Läuft dank der App alles rund, beginnt der bequeme Teil. Patienten müssen nur noch einmal im Quartal in die Praxis, um ihre Karte einlesen zu lassen. „Rezepte können sie dann telefonisch ordern und gleich per App weiterleiten.“ Lange Schlangen in den Wartezimmern sollen so künftig der Vergangenheit angehören.

Doch leider läuft insbesondere in den Praxen noch lange nicht alles rund. Von einer Ärztin, die ihren Namen nicht nennen möchte, heißt es etwa: „Wir kriegen die Krise.“ Pünktlich habe sie die notwendige Software installiert und dann „nichts als Ärger damit gehabt“. Fast drei Monate lang habe es gedauert, bis die schlimmsten Schwachstellen ausgebügelt worden seien. Auch eine Patientin erzählt: „Auf Nachfrage in meiner Praxis hieß es nur, sie wären noch nicht so weit.“ Auf Rückfrage dieser Redaktion bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein bestätigt KV-Sprecher Christopher Schneider: In der Vergangenheit funktionierten teils noch nicht alle Praxisverwaltungssysteme reibungslos, Nachbesserungen der Hersteller seien nötig gewesen. „Für den Fall von Störungen wird daher vorerst auch noch der bekannte Papierausdruck der Verordnungen möglich sein.“ Christopher Schneider fordert: „Praxen sollten gerade im Fall technischer Probleme, die sie nicht zu verantworten haben, keinesfalls sanktioniert werden.“ Immerhin: „Inzwischen ist ein Großteil der Praxen in Nordrhein und auch in Oberhausen – zuletzt bereits über 80 Prozent – aber nun bereit für den E-Rezept-Einsatz.“

Verschnupft reagieren die Ärzte außerdem auf die „von oben“ verordnete Änderung ihrer Praxisabläufe durch das E-Rezept. „Veränderungen sollten generell nicht im Zwang, sondern über den Weg sachlich-fachlicher Überzeugungsarbeit angegangen werden“, kritisiert der KV-Sprecher. Unterstützung findet er bei seinen Apotheker-Kollegen. „Auch wir haben nicht nach dem E-Rezept geschrien, es lief doch vorher alles“, sagt Lukas Heuking. Der Oberhausener Sprecher der Apothekerkammer Nordrhein hätte sich eine längere Übergangszeit für alle gewünscht. „Das System ist noch zu anfällig, beim kleinsten Fehler, den wir machen, bleiben wir auf den Kosten sitzen, dann erfolgt gar keine Bezahlung – dabei gehen auch Rezepte im Wert von rund 4000 Euro bei uns ein.“