Essen. Die „Ku‘damm-Raser“ waren die ersten, die wegen Mordes verurteilt wurden. Abgeschreckt hat das nicht. Die schlimmsten Unfälle bei illegalen Rennen.

Noch ist nichts bewiesen, der genaue Unfallhergang längst nicht geklärt. Aber die beiden Männer, die am Mittwochabend in ihrem brennenden Porsche auf der A44 bei Dortmund starben – sie wären nicht die ersten, die bei einem illegalen Autorennen ihr Leben ließen. Oft wurden sogar gänzlich Unbeteiligte Opfer der irren Fahrten auf öffentlichen Straßen.

Dabei macht sich strafbar, wer ein illegales Rennen fährt – übrigens auch: Wer dabei zuschaut oder es veranstaltet. Den Teilnehmenden – auch Alleinrasern – drohen Geld- und Freiheitsstrafen (von bis zu zehn Jahren). Sogar eine Verurteilung wegen Mordes ist möglich, wenn bei dem illegalen Rennen jemand stirbt. 2017 verabschiedete der Bundestag ein entsprechendes Gesetz, bis dahin galt die Teilnahme als Ordnungswidrigkeit, solange niemand zu Schaden kam.

Leider kommen Menschen bei Raser-Rennen zu Schaden. Immer wieder. Sechs Fälle aus den letzten acht Jahren

Berlin, 1. Februar 2016: Kurz vor Mitternacht liefern sich zwei junge Männer auf dem Berliner Ku‘damm, der Pracht- und Shoppingmeile der Bundeshauptstadt, spontan ein Rennen. Mit Tempo 160 passieren sie an einer Kreuzung eine Ampel, die rot zeigt. Einer der Raser kollidiert mit einem Fahrzeug, das aus einer Seitenstraße kommt. Für dessen Fahrer zeigt die Ampel grün. Der 69-Jährige stirbt noch am Unfallort.

Der Fall der „Ku‘damm-Raser“ ist einer der prominentesten Raser-Fälle – weil er der erste war, der nach Inkrafttreten des geänderten Paragrafen 315 entschieden wurde. Das Berliner Landgericht verurteilte in erster Instanz beide Raser wegen Mordes zu lebenslanger Haft – das hatte es bis dahin noch nie gegeben. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil aber wieder auf. Ein zweiter Prozess vor dem Landgericht endete erneut mit dem Urteil zweimal „Lebenslänglich wegen Mordes“. 2020 bestätigte der BGH die lebenslange Freiheitsstrafe (wegen Mordes in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung) – aber nur für einer der beiden Raser; der zweite wurde später wegen versuchten Mordes zu 13 Jahren Haft verurteilt. Seit 2022 ist das Verfahren abgeschlossen.

Der Fahrer des rosaroten Jeeps, ein 69 Jahre alter Mann, wollte bei Grün über diese Kreuzung in Berlin fahren. Der Raser fuhr bei Rot.
Der Fahrer des rosaroten Jeeps, ein 69 Jahre alter Mann, wollte bei Grün über diese Kreuzung in Berlin fahren. Der Raser fuhr bei Rot. © ABIX | Foto: ABIX

Moers, 22. April 2019: Kushtrim H., der die Führerscheinprüfung nie bestanden hat, tritt an diesem Ostermontag gegen 22 Uhr in einem Wohngebiet zum Duell gegen einen Freund an. Er beschleunigt in seinem vom Bruder ausgeliehenen Mercedes AMG in wenigen Sekunden auf bis auf 167 Stundenkilometer, gerät auf die Gegenfahrbahn. Als eine 43 Jahre alte unbeteiligte Frau in ihrem Kleinwagen auf die Straße einbiegen will, kann der 22-Jährige nicht mehr ausweichen oder stoppen. Die zweifache Mutter erleidet beim Aufprall schwere Verletzungen, denen sie im Krankenhaus erliegt. T. beteuert später unter Tränen, er würde sich wünschen, dass er selbst anstelle der Frau aus Moers gestorben sei.

Das Landgericht Kleve verurteilt ihn zunächst wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Dem Einspruch seiner Verteidigung folgen zwei weitere Prozesse, am 2. Oktober 2023 wird der junge Mann vom Landgericht Duisburg schließlich zu einer deutlich milderen Strafe von fünf Jahren Haft wegen unerlaubten Autorennens mit Todesfolge verurteilt. Der Vorsitzende Richter Mario Plein erklärt, man habe keinen „bedingten Todesvorsatz“ erkennen können, das Rennen sei zwar eine „höchst gefährliche Sache“ gewesen, habe aber nicht „von vornherein die Schädigung eines anderen Menschen zum Gegenstand“ gehabt. Auch dieses Urteil ist indes noch nicht rechtskräftig, Kushtrim T. noch auf freiem Fuß.

Blumen und Kerzen zum Andenken an das Opfer eines illegalen Rennens in Moers. Hier starb eine zweifache Mutter, unbeteiligt an der Raserei.
Blumen und Kerzen zum Andenken an das Opfer eines illegalen Rennens in Moers. Hier starb eine zweifache Mutter, unbeteiligt an der Raserei. © dpa | Marius Becker

25. Februar 2022, Hannover: Auf einer Landstraße in Barsinghausen bei Hannover rasen Marco S. und Ewa P. im Nieselregen mit bis zu 180 Stundenkilometern nebeneinander her. In einer langgezogenen Kurve will die Frau den Mann überholen. Der beschleunigt. P. verliert die Kontrolle über ihr Fahrzeug, ihr Audi A6 (252 PS) kollidiert im Gegenverkehr mit dem Wagen einer vierköpfigen Familie. Auf dem Rücksitz sitzen – angeschnallt in ihren Kindersitzen – die Brüder Deljon (6) und Ruhad (2). Der Jüngere ist sofort tot, der Ältere stirbt wenige Stunden später in der Klinik. Ihre Eltern und der Fahrer eines weiteren Pkw werden schwer verletzt.

In diesem Juli verurteilt das Landgericht Hannover die 42 Jahre alte Ewa P. (unter anderem wegen Mordes) zu lebenslanger Haft und den ein Jahr jüngeren Marco S. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Die Eltern der beiden Jungen tröstet es nicht. „Andere Kinder gehen zur Schule, meine sind im Grab“, sagt die Mutter nach der Urteilsverkündung.

Raser-Unfall im Nieselregen in Barsinghausen bei Hannover. Zwei kleine Jungen in einem unbeteiligten Auto starben, erstmals wurde eine Frau deswegen verurteilt.
Raser-Unfall im Nieselregen in Barsinghausen bei Hannover. Zwei kleine Jungen in einem unbeteiligten Auto starben, erstmals wurde eine Frau deswegen verurteilt. © DPA Images | Frank Tunnat

20. März 2022, Essen: Ein 23 Jahre alter Unternehmersohn aus Bredeney lädt die 18-jährige Gina aus Mülheim zu einer Spritztour in seinem zwei Tage zuvor neu geleasten Sportwagen ein. Das 570 PS-starke McLaren 570 S Coupé ist laut Zulassung 328 Stundenkilometer schnell. Nach wenigen Kilometern kommt der Wagen auf der A52 bei Kettwig auf gerader Strecke von der Fahrbahn ab, schießt eine Böschung herunter und prallt gegen einen Baum. Der Fahrer selbst wird kaum verletzt, die Schülerin auf dem Beifahrersitz stirbt noch am Unfallort. Ein erster von der Autobahnpolizei eingesetzter Gutachter errechnet, dass der McLaren mit Tempo 300 unterwegs war.

In erster Instanz wird der Raser vom Amtsgericht Essen zu einem Jahr und zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt – wegen fahrlässiger Tötung. Die XI. Strafkammer des Landgerichts Essen bestätigt das Urteil. Das Oberlandesgericht Hamm hebt es 2022 wieder auf. Die Richter rügen: Dass es dem Fahrer an Routine gefehlt habe, wie es im Urteil des Landgerichts hieß, müsse besser begründet werden. Zumal das Urteil an anderer Stelle dem Angeklagten „regelmäßige Fahrten mit Sportwagen wie Ferrari und Lamborghini“ bescheinigt habe.

Jetzt muss eine andere Kammer des Essener Landgerichts neu entscheiden. „Das Verfahren läuft noch, es wurden weitere Ermittlungen veranlasst“, bestätigte am Donnerstag (25.7.) ein Gerichtssprecher auf Anfrage.

Mit Tempo 300 soll dieser Sportwagen unterwegs gewesen sein. Eine 18-Jährige verlor bei dem Unfall 2019 ihr Leben. Das Verfahren gegen den Raser ist noch immer nicht beendet.
Mit Tempo 300 soll dieser Sportwagen unterwegs gewesen sein. Eine 18-Jährige verlor bei dem Unfall 2019 ihr Leben. Das Verfahren gegen den Raser ist noch immer nicht beendet. © WTVnews | WTVnews

7. März 2024, Mülheim: Ein 27-Jähriger in einem Cupra Leon kollidiert auf der Aktienstraße im Stadtteil Winkhausen mit einem Smart ForFour. Er war den Ermittlungen zufolge mit Tempo 120 unterwegs, erlaubt sind an der Stelle: 50. Die „Aufprallgeschwindigkeit“ habe bei 119 km/h gelegen, erklärt die Staatsanwaltschaft Duisburg. Sie gehe von einem „Alleinrennen“ aus. Im Smart sitzen Mutter (46), Vater (46) und Sohn (10). Die Frau wird noch notoperiert, erliegt aber ihren Verletzungen. Der Mann und das Kind überleben schwer verletzt. Auch der 27-Jährige muss stationär versorgt werden.

Ende Juni hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben, wegen „vollendeten und versuchten Mordes in Tateinheit mit verbotenem Straßenrennen und gefährlicher Körperverletzung“. Der Fall nun liegt beim Landgericht Duisburg, der Angeklagte sitzt in Untersuchungshaft. Vater und Sohn lagen Ende Juni noch immer im Krankenhaus.

Auch „Alleinrennen“ sind strafbar. Bei diesem Unfall in Mülheim geht die Staatsanwaltschaft von einem solchen Fall aus. Eine 46-jährige Mutter und Ehefrau starb.:
Auch „Alleinrennen“ sind strafbar. Bei diesem Unfall in Mülheim geht die Staatsanwaltschaft von einem solchen Fall aus. Eine 46-jährige Mutter und Ehefrau starb.: © Feuerwehr Mülheim an der Ruhr/dpa | Feuerwehr Mülheim an der Ruhr/dpa

24. Juli 2024, Essen: Das jüngste bekannte illegale Autorennen wurde womöglich an diesem Mittwochabend im Essener Süden ausgetragen. Zwei Essener – 20 und 25 Jahre alt – sollen gegen 17 Uhr auf der Laupendahler Landstraße in Werden in einem Mercedes C63 AMG und einem Lamborghini gegeneinander angetreten sein, berichtete die Polizei am Donnerstag. „Gefühlt mit 200 km/h“ seien die beiden an ihr „vorbeigebrettert“, berichtete eine Radfahrerin der Polizei. Sie stürzte, blieb aber unverletzt und informierte verärgert die Polizei.

Einer Streife gelang es kurz darauf tatsächlich, die beiden Wagen ausfindig zu machen – und sicherzustellen. Der Führerschein des 25-Jährigen wurde eingezogen, der 20-Jährige habe keine Papiere dabei gehabt, hieß es.

Drei Stunden später, um 20 Uhr, erwischten Beamten, die am Limbecker Platz routinemäßig Autos kontrollierten, den 25-Jährigen erneut am Steuer. Dieses Mal saß er in einem Mercedes GT 63 AMG.
mit Lokalredaktionen

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