Mülheim. Die Zeitzeugenbörse in Mülheim leistet einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen. Schulen scheinen das ehrenamtliche Angebot kaum zu nutzen.
Die Mülheimer Zeitzeugen leisten mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit einen wichtigen Beitrag. Durch ihre Erinnerung wird die Geschichte am Leben gehalten. Sie waren da, als damals die Nationalsozialisten die Synagoge in Mülheim anzündeten. Sie haben Adolf Hitler in Berlin marschieren sehen. Die 98-jährige Eva Timm und der 97-jährige Horst Heckmann arbeiten seit vielen Jahren bei der Zeitzeugenbörse in Mülheim. Für sie ist der Austausch mit jungen Menschen über die Geschichte eine wichtige Aufgabe, damit das Versprechen „Nie wieder!“ gehalten werden kann.
Es gibt nur ein Problem: Immer weniger Schulen fragen die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen an – auch in Mülheim. Manfred Zabelberg betreut seit etwa 10 Jahren die Zeitzeugen und ist selbst einer. Seine Bemühungen kommen kaum an. Und so beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Den sterben die Zeitzeugen, sterben auch ihre Geschichten.
Wie persönliche Geschichten die Nazi-Vergangenheit in Mülheim greifbar machen
Die Zeitzeugen kommen für etwa zwei Unterrichtsstunden an Schulen. Immer zu zweit erzählen sie jeweils eine halbe Stunde lang zu einem bestimmten Thema. Horst Heckmann spricht am liebsten frei aus der Erinnerung. Danach gibt es für die Schülerinnen und Schüler eine offene Fragerunde. „Im Grunde darf alles gefragt werden – wird es in der Regel auch“, so Manfred Zabelberg. „Ob ich immer eine Antwort geben kann, das weiß ich nicht“, sagt Eva Timm. Horst Heckmann stimmt ihr zu: „Gerade bei tieferen Fragen, die sehr unterschiedlich sind. Wie habe ich das empfunden? Dabei wird meistens vergessen, dass man die großen Antworten, die man erwartet, aus der Sicht eines Kindes nicht so geben kann.“
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Die Erlebnisse an den Schulen fallen unterschiedlich aus. Manchmal komme ein Fragenhagel, manchmal bleibe das Klassenzimmer stumm. Das alles hänge, so Manfred Zabelberg, vor allem von der Vorbereitung im Unterricht ab. Eine seit kurzem veröffentlichte Umfrage der Jewish Claims Conference kommt zu dem Schluss, dass gerade bei der jüngeren Generation das Wissen über den Holocaust schwindet. Das macht die Arbeit der Zeitzeugen an Schulen umso wichtiger. Doch es gibt ein Problem in Mülheim.
Mülheimer Zeitzeugen berichten aus erster Hand
Vor der Pandemie wurden die Ehrenamtlichen regelmäßig angefragt. Und jetzt? „Zu wenige Schulen nutzen die Möglichkeit“, findet Manfred Zabelberg. Immer wieder habe er selbst Schulen angefragt und Flyer verteilt. Zwei Stunden finden? Schwierig. Die Erklärung, die er von den Schulen bekommt: Der Lehrplan sei eng gestrickt und das würde die Planung erschweren. Ganz nachvollziehen kann er die Begründung aber nicht. Der persönliche Austausch sei eben eine Chance, die man nicht ungenutzt lassen dürfe, solange man sie noch habe, so Zabelberg.
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Damit die Erinnerungen nicht eines Tages doch verloren sind, ist die Mülheimer Zeitzeugenbörse bestrebt, die Geschichten zu sammeln und zu digitalisieren. Auf der Webseite finden sich Videos und Berichte der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Dennoch darf nicht unterschätzt werden: „Ein digitaler Beitrag wird niemals dieselbe Wirkung haben, wie der persönliche Kontakt“, gibt Horst Heckmann zu bedenken. „Den das gesprochene Wort hat immer noch die meiste Wirkung.“
Appelle an die Schulen: Möglichkeiten nutzen, solange es noch geht
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Die Arbeit der Zeitzeugen ist keine einfache Aufgabe, sondern eine Herzensangelegenheit. Sie erzählen von schmerzhaften Erlebnissen, beantworten kritische Fragen und konfrontieren sich immer wieder mit ihrer eigenen Vergangenheit. Doch sie tun es, weil sie wissen, wie wichtig ihre Botschaft ist: „Nie wieder.“ Durch ihre Berichte schaffen sie eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie geben der Geschichte Gesichter und Stimmen – und appellieren an die nächste Generation, tolerant und wachsam zu bleiben. Denn, wie Horst Heckmann sagt: „Geschichte wiederholt sich nicht – wenn wir aus ihr lernen.“
Die Zeitzeugen Mülheim treffen sich jeden dritten Mittwoch im Monat von 10 bis 13 Uhr im Sommerhof, Tourainer Ring 12, 45468 Mülheim. Kontakt via E-Mail: zeitzeugen-muelheim@t-online.de. Webseite: zeitzeugen-muelheim.jimdofree.com.
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