Mülheim. Die Chemikaliengruppe PFAS ist verdächtig, krebserregend zu sein, und fast überall zu finden. Mülheims Umweltamt geht bei der Aufklärung voran.
Noch vor gut einem Jahr ging der Zungenbrecher „per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen“ urplötzlich ganz leicht über die Lippen, wenn auch freilich oft als Akronym: PFAS. Der Grund: Journalisten deckten 2022 diese als möglicherweise krebserregende Chemikalien auf, die praktisch überall und auch noch über lange Zeiträume zu finden sind – in der Beschichtung von Regenjacken, Autopflegemitteln, im Boden und auch in Flüssen wie der Ruhr. Aktuell scheint es zwar still um PFAS zu sein, in Mülheim will man aber genauer hinschauen.
Und ist bislang zumindest verdachtsweise fündig geworden: 67 Orte konnte die Untere Bodenschutzbehörde im Amt für Umweltschutz identifizieren, an denen es sich lohnen würde, genauer nachzuschauen. In einigen Fällen konnte man im Umfeld der Verdachtsflächen auch erhöhte PFAS-Werte an den Grundwasser-Messstellen ermitteln.
Bislang nur Verdachtsflächen in Mülheim
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„Es sind aber bisher nur Verdachtsflächen“, betont Umweltamtsleiterin Ulrike Bresa und will alle Vorsicht walten lassen, um bei betroffenen Eigentümern wie auch der Nachbarschaft nicht fälschlicherweise Sorgen zu schüren. Denn eine konkrete Auswertung dieser Flächen steht noch aus. Und: Eine unmittelbare Gefahr gehe von den Gebieten nicht aus, sagt die Umweltamtsleiterin, denn diese seien in der Regel versiegelt.
Wie aber kommt man den besonderen Konzentrationen der Ewigkeitschemikalie auf die Spur, die laut Landesamt für Naturschutz (Lanuv) von Gegenständen des täglichen Gebrauchs bis hin zu Industrie- und Landwirtschaftsflächen und im Grundwasser überall zu finden ist?
Welche Orte das Umweltamt ins Auge fasst
Drei Bereiche fassten Umweltamt und Bodenschutzbehörde ins Auge: Deponien – in Mülheim liegen zwei für Boden und Klärschlamm im Styrumer Norden –, Industriegebäude, die mit Öl, Lacken, Reinigungsmitteln, Textilien und Papier zu tun haben. Besonders aber ging man Brandereignissen nach, die besonders heftig ausfielen und auch länger zurückliegen. Warum?
„Bis 2011 wurden bei Bränden und Übungen besondere Feuerschaumlöschmittel mit PFOS verwendet“, erläutert Umweltamtsleiterin Ulrike Bresa. PFOS – auch sie gehören zur Stoffgruppe der perfluorierten Alkylsubstanzen – seien zwar seit 2011 nicht mehr zulässig, „wurden aber in der Vergangenheit in zahlreichen Brandschutzanlagen eingesetzt, dementsprechend muss zunächst von einer PFAS-Relevanz ausgegangen werden“. Als klassisches Beispiel für einen PFAS-Hotspot etwa gilt der Düsseldorfer Flughafen. Bei dem katastrophalen Brand von 1996 gelangten PFAS über das Löschwasser bis in den Rhein.
Bedenklich: Löschschaum vor 2011
Um sie zu identifizieren, half neben der Berufsfeuerwehr eine wichtige Informationsquelle: die Zeitung. In den Archiven fand man etwa den Brand einer Spachtelfabrik am Hingberg im Juni 1985. Kniehoch stand die Feuerwehr damals im Löschschaum, wie ein Foto zeigt. Auch der dicke Löschschaum auf den Autoreifen bei einem Großbrand (1983) in einem Selbecker Reifenlager an der Kölner Straße ist dokumentiert. Und nicht zuletzt der Tag der offenen Tür der Feuerwehr, bei dem Kinder bei einer Löschdemonstration „entzückt auf Schaumteppich umhertollten“.
234 solcher Brandereignisse hat die Behörde aufgetan und davon 46 Fälle als PFAS-relevant eingestuft. Immerhin sieben aus diesem Kreis hat sie sogar unter „hoher Relevanz“ klassifiziert.
Brandereignisse machen den Großteil der Verdachtsflächen aus
Insgesamt machen Brandereignisse den Großteil der 67 Flächen aus, die Mülheim künftig näher betrachten will. Doch ebenso hat man verschiedene Industrieflächen im Mülheimer Norden – am Rhein-Ruhr-Hafen – im Blick. Vor allem auch deshalb, weil in der Nähe eine Wasserschutzzone liegt.
Seit Jahren schaut man über zahlreiche Grundwassermessstellen genau hin, ob Grenzwerte etwa von Zink, Blei oder Cadmium überschritten werden. Per- und polyfluoride Alkylsubstanzen sind seit 2019 ebenfalls in den Fokus der Messstellen gerückt.
PFAS im Grundwasser – Gefahr für die Trinkwasserversorgung?
0,1 Mikrogramm an PFAS-Substanzen pro Liter darf im Trinkwasser maximal vorhanden sein – so die Bestimmung der Trinkwasserverordnung, die ab dem 12. Januar 2026 nach Vorgaben der EU umgesetzt werden soll. Bislang hat der Mülheimer Trinkwasserversorger RWW lediglich zwei Nanogramm, also 0,002 Mikrogramm, nachweisen können. Das liegt also weit unter den Grenzwerten.
Doch an einigen Grundwassermessstellen im Hafen und nahe der Wasserschutzzone konnte das Mülheimer Umweltamt Werte finden, die mit Sorge betrachtet werden. Dort werden Werte von mehr als 0,1 Mikrogramm, vereinzelt sogar zehn- bis fünfzigfache Überschreitungen ausgelesen.
Und diese liegen gerade im Umfeld von Industrieflächen, die PFAS-verdächtig sind. Was noch nicht ermittelt ist, ist zum einen die Konzentration von PFAS auf den Flächen und deren Ursprung. Zum anderen die Frage, ob und wie PFAS über diese nahen Flächen ins Grundwasser gelangt. Denn zum Teil fließe das Grundwasser aus einer ganz anderen Richtung, sagt Umweltamtsleiterin Bresa. Die Werte könnten also auch von ganz anderen Flächen stammen.
Das sind die nächsten Untersuchungsschritte in Mülheim
Die nächsten Schritte stehen daher schon fest: In Abstimmung mit der RWW müssen weitere Messstellen im Hafengebiet errichtet werden, um Ursachen lokalisieren zu können. Die bisher bekannten Verdachtsflächen sollen schließlich geprüft werden.
Außerdem will man auch das Gebiet rechts der Ruhr, wo die Friedrich-Wilhelms-Hütte, Siemens Technikpark, Mannesmann und Vallourec liegen, ebenfalls in Augenschein nehmen und Grundwassermessstellen einrichten. Denn Grundwasser muss auch außerhalb der Wasserschutzzonen überwacht werden.
Neben Grundwasser und Boden – etwa über Klärschlamm – ist auch die Verbreitung von PFAS über die Luft möglich, wie das Umweltbundesamt deutlich macht. Das Landesamt für Natur und Umwelt empfiehlt gar, weniger als fünfmal im Jahr Rotauge und Barsch (300 Gramm pro Mahlzeit) zu verzehren, der aus der Ruhrmündung gefangen wurde. Bis in die Arktis konnte man bislang hohe Konzentrationen von PFAS in Fischen und sogar in der Leber von Eisbären finden. Biologisch wird der Stoff im Körper kaum abgebaut.
Mit der Aufklärung wächst die Sorge: Wie umgehen mit kontaminierten Bereichen?
Die Aufklärung der Gefahr von PFAS hat aber gerade erst begonnen, weiß auch Bresa, „Mülheim ist im Ruhrgebiet aber eine der Vorreiterstädte bei der Aufklärung“. Dafür gibt es auch Förderung, rund 40.000 Euro.
Doch mit der Aufklärung wächst auch die Sorge in den Kommunen: Was ist, wenn man schwerwiegend fündig wird? Klar sei, „dass die Beseitigung von PFAS im Boden sehr aufwendig und teuer ist“, sagt Bresa. Falls man eine hundertprozentige Entfernung überhaupt schaffe. Böden etwa müssten mittels Hochtemperaturen gereinigt werden oder PFAS ausgewaschen und anschließend verbrannt werden.
Auch eine Lagerung kontaminierter Böden auf Deponien würde schnell vorhandene Kapazitäten erreichen. Noch aufwendiger wäre es, das Trinkwasser zu reinigen, so Bresa. Dafür brauche es Aktivkohlefilter, die womöglich oft ausgetauscht werden müssen. Die Kosten? Derzeit wagt sie niemand abzuschätzen.
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