Mülheim. Eine vergewaltigte Mülheimerin erfährt erst aus der Zeitung vom Prozessausgang gegen ihren Ex-Mann. Das Gericht hatte eine veraltete Adresse.

Wie von dieser Redaktion bereits berichtet, kam es im November am Mülheimer Amtsgericht zu einer Hauptverhandlung gegen einen Mann, der seine eigene Frau in der gemeinsamen Wohnung in der Stadtmitte verprügelt, gefesselt und vergewaltigt hatte. In der Verhandlung, in der er sich als treusorgender Familienvater darstellte, dem Gewalt eigentlich fremd sei, erhielt er eine Freiheitsstrafe mit zwei Jahren auf Bewährung. Kam er damit zu gut weg?

Denn nun hat sich herausgestellt, dass das Opfer keine Vorladung zum Gerichtstermin erhalten hatte. In der Verhandlung vor Gericht war dem 36-Jährigen zugutegehalten worden, dass er offensichtlich zuvor noch nicht gewalttätig geworden war, dass er durch die Tat seine Familie verloren habe und dass er seiner (mittlerweile Ex-)Frau mit seinem Geständnis eine Aussage vor Gericht erspart habe.

Wie die Geschädigte nun gegenüber der Redaktion schilderte, soll der Mann sich damit, taktisch klug und von seinem Verteidiger gut beraten, in ein deutlich besseres Licht gestellt haben, als es den Tatsachen entsprochen habe.

Prozess am Mülheimer Amtsgericht: Kein intaktes Familienleben

Wie die heute 36 Jahre alt Frau berichtet, soll ihr damaliger Mann und Vater ihrer Kinder schon vor der Tat gewalttätig geworden sein. Zwei Jahre vor der angezeigten Tat sei es bereits zu einem Vorfall gekommen, bei dem er die weinende kleine Tochter im Kinderzimmer angeschrien habe. Als sie hinzugekommen sei und gefragt habe, was los sei, habe er ihr ohne jede Vorwarnung einen heftigen Schlag ins Gesicht versetzt.

Auch der Verlust eines intakten Familienlebens, der ihm strafmildernd angerechnet worden sei, sei eine Fantasievorstellung gewesen und habe überhaupt nicht mehr den Tatsachen entsprochen. Er habe bereits seit längerer Zeit eine Geliebte gehabt, mit der er seine Zeit verbracht habe. Zu Hause habe er teils wochenlang nicht gesprochen und sei aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ausgezogen. Den treusorgenden Ehemann habe es schon lange vor der Tat nicht mehr gegeben.

Vergewaltigung in Mülheim: Das sagt das Opfer

Das eigentliche Tatgeschehen schilderte die Frau so, dass er am Tatabend wieder einmal schlechte Laune gehabt habe und sich lautstark über ihr Essen beschwert habe, das sie zubereitet hatte. Als sie ebenfalls laut geworden sei, habe er sie mit den Fäusten zu Boden geschlagen und wie ein Rasender immer wieder auf ihren Körper und ihren Kopf eingetreten. Den Kopf habe sie mit ihren Händen und Armen schützen können, der Rest des Körpers sei von Blutergüssen übersät gewesen.

Als sie sich in die Diele geflüchtet habe, sei die Tür verschlossen gewesen. „Warte, bis ich die Kinder ins Bett gebracht habe, dann wirst du sehen, was passiert“, habe er hier gedroht. Sie habe in diesem Augenblick mit ihrem Leben abgeschlossen und den Gedanken gehabt, aus einem Fenster im zweiten Stock zu springen. „Wenn ich springe, bin ich vielleicht tot, wenn ich nicht springe, mit Sicherheit“, sei ihr durch den Kopf gegangen. Er habe sie angeschrien, dass sie als Frau einen Mann zu respektieren habe.

Verhandelt wurde der Fall am Amtsgericht in Mülheim.
Verhandelt wurde der Fall am Amtsgericht in Mülheim. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Dann habe er ein Seil geholt und ihr befohlen, sich auf den Boden zu legen. Dort habe er ihre Hände gefesselt. Danach sei sie an den Haaren ins Kinderzimmer geschleift worden, wo er sie, nachdem ihr Nachthemd zerrissen war, zwei Stunden lang halb nackt auf dem kalten Fußboden habe liegen lassen. Im Kinderzimmer habe er auch noch ihre Beine gefesselt.

Sie habe vor Kälte und Schmerzen gezittert, während er die ganze Zeit über ungerührt dabei gesessen und Bier getrunken habe. Danach habe er sie vergewaltigt. Das Ganze habe sich wie Folter angefühlt. Ihre kleinen Kinder von drei und sechs Jahren seien währenddessen in der Wohnung gewesen und hätten fast alles mitbekommen und große Angst gehabt.

Opfer erfuhr erst aus der Zeitung von der Gerichtsverhandlung

„Dass ich vom Gericht keine Vorladung bekommen habe und erst aus der Zeitung von der Gerichtsverhandlung erfahren habe, hat mich völlig fertig gemacht. Ich hätte gerne ausgesagt, was mir passiert ist“, sagt die Frau, die seit dem Gewaltakt in psychotherapeutischer Behandlung ist. Sie habe die Wohnung, die sich nach der Tat wie ein „Geisterhaus“ angefühlt habe, am Tag nach der Tat mit den Kindern verlassen und sei nie mehr dorthin zurückgekehrt.

Der Staatsanwaltschaft habe sie schon im November 2023, also ein Jahr vor der Gerichtsverhandlung, ihre neue Adresse mitgeteilt und sich auch sofort umgemeldet. „Da muss ein schlimmer Fehler gemacht worden sein. Die Staatsanwaltschaft wusste meine neue Anschrift. Man hätte mich ohne weiteres vorladen können.“ Von unentschuldigtem Fernbleiben vom Gerichtstermin könne, anders als das Gericht angenommen habe, überhaupt keine Rede sein.

Amtsgericht Mülheim hat eine Vorladung verschickt

Hierzu teilte das Amtsgericht Mülheim auf Anfrage der Redaktion mit, dass durchaus eine Vorladung an die Geschädigte ergangen sei. Die neue Anschrift sei allerdings nicht aktenkundig gewesen. Dass die Vorladung nicht als unzustellbar ans Gericht zurückgeschickt worden sei, habe den Schluss zugelassen, dass die Frau die Post erhalten habe und nicht aussagen wollte.

Dass die Strafe gegen den Ehemann zur Bewährung ausgesetzt worden sei, habe auch damit zu tun, dass man ihn, da er berufstätig sei und seinen Unterhaltspflichten nachkomme, nicht für längere Zeit als Zahler ausfallen lassen wollte. Dies wäre zum Schaden der Geschädigten und ihrer Kinder gewesen, so die Pressesprecherin des Gerichts.

So ordnet ein Strafrechtler den Mülheimer Gerichtsprozess ein

Volker Schröder, Strafverteidiger und Fachanwalt für Strafrecht aus Essen, ordnet das Vorgehen des Gerichts in diesem Fall auf Anfrage der Redaktion ein – er selbst war in dem Prozess nicht involviert. So erklärt er zunächst, dass die Ladungen vom Gericht in der Regel nicht als Einschreiben, sondern als einfache Briefsendungen verschickt werden.

Eine Aussage der Geschädigten ist für die Urteilsfindung nicht verpflichtend. „Grundsätzlich hat ein Zeuge keinen Anspruch darauf, vor Gericht gehört zu werden“, so Schröder. Bei Opfern bestimmter Straftaten gebe es allerdings eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Wenn jemand seine Teilnahme am Verfahren als Nebenkläger beantragt und der Antrag bewilligt wird, hat er Rechte, die denen des Staatsanwalts ähnlich sind. Die Frau hatte allerdings keinen Antrag gestellt, obwohl das als Vergewaltigungsopfer möglich gewesen wäre.

Rechtsanwalt Volker Schröder bei einem Gerichtstermin. In den aktuellen Fall ist er nicht involviert gewesen, ordnet das Vorgehen des Gerichts aber für die Redaktion ein.
Rechtsanwalt Volker Schröder bei einem Gerichtstermin. In den aktuellen Fall ist er nicht involviert gewesen, ordnet das Vorgehen des Gerichts aber für die Redaktion ein. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Auch bei schweren Straftaten müssen Opfer nicht zwingend angehört werden. „Wenn der Eindruck besteht, dass ein Fall auch schon mit den vorhandenen Beweisen aufgeklärt werden kann, kann darauf verzichtet werden“, erklärt Schröder. Es sei aus mitmenschlichen Gründen jedoch gut, wenn ein Zeuge, das zugleich Opfer ist, am Verfahren beteiligt ist und seine Sicht der Dinge schildern kann. „Aber einen Anspruch darauf gibt es – von der Nebenklage abgesehen – nicht.“ Das Gericht hat ihr die Möglichkeit zur Aussage nach eigenem Bekunden ja eingeräumt, indem es die Vorladung verschickt hat – nur kam die eben niemals bei der Mülheimerin an.

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