Mülheim. Typischer Altbau in Mülheim: Das Haus der Eheleute L. hat viele Baustellen. Wie es aber gelingen kann, zeigt die städtische Energieberatung auf.

Am Ende stehen Otto L. und seine Frau Gabriela nachdenklich vor dem Schaubild, das anzeigt, ab welchem Kalendertag welcher Staat durch seinen Konsum die natürlichen Ressourcen der Erde verbraucht hätte, wenn die ganze Welt ebenso handeln würde. „Deutschland im Juni“, mutmaßt Otto L. erst, doch „wir“ gehen schon am 2. Mai über die Ziellinie. China und England dagegen erst Anfang Juni. Als letztes Ecuador am 24. November. „Wir müssen was tun“, sagt Gabriela L. entschlossen. Und darum sind die Speldorfer Eheleute hier.

„Hier“, das ist die neue Beratungsstelle der städtischen Klimamanager. Im Technischen Rathaus am Hans-Böckler-Platz 5 geben städtische Mitarbeiter und weitere Experten Tipps, wie man eine energetische Sanierung der eigenen vier Wände angehen sollte, wie man beim Heizen auf erneuerbare Energien umsteigen kann, ob sich Photovoltaik lohnt.

Die Ausgangslage: 30 Jahre alte Fenster, leichte Dämmung, Gasheizung

Einen kurzen Fragebogen haben die Eheleute vor der Beratung ausgefüllt: Die Fenster des Speldorfer Mehrparteienhauses sind von 1994, das Dach wurde zwar 1999 leicht gedämmt, die Fassade aber ist seit dem Hausbau in den 1960er Jahren nicht mehr angefasst worden - „die Fenster lüften auch dann, wenn man sie gar nicht aufgemacht hat“, meint Gabriela L. im halben Ernst. Bei dem Speldorfer Ehepaar steht damit eigentlich die Rundumerneuerung auf der Agenda, bis auf vielleicht die Heizung.

Die ist zwar erst von 2010, heizt aber noch mit Gas und „der Monteur war von der Heizung nicht begeistert“, schildert Otto L. seinen ersten Versuch, das Thema mal anzupacken. Warum eigentlich, ist ihn dabei nicht ganz klar geworden.

Energieeffizienzberater und Architekt Dirk Wedemann (l.) und Simon Temmesfeld entfädeln das Knäul an möglichen Sanierungsmaßnahmen und schaffen Klarheit für Mülheimer Hausbesitzer.
Energieeffizienzberater und Architekt Dirk Wedemann (l.) und Simon Temmesfeld entfädeln das Knäul an möglichen Sanierungsmaßnahmen und schaffen Klarheit für Mülheimer Hausbesitzer. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Worauf man achten sollte: der „Energieeffizienzberater“

Deshalb wollen sie die Sache nochmal von Grund auf angehen - „wir haben viel gehört“, meint Otto L., aber die Haken und Ösen im Zusammenspiel von Maßnahmen zeigen sich meist im Detail. Berater Simon Temmesfeld und der Architekt und Energieeffizienzberater Dirk Wedemann stehen ihnen zur Seite, um bei der ersten Abwägung möglicher Maßnahmen zu helfen.

Am Ende sollte aber die Analyse des Hauses und ein Sanierungsfahrplan durch einen „Energieeffizienzberater“ stehen, rät Temmesfeld. Der sei nicht nur - im Gegensatz zum „Energieberater“ ein geschützter Begriff - er werde auch anteilig gefördert und sei Voraussetzung für einen Kredit der KFW oder für Zuschüsse durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa).

Sanieren ja, aber wo fängt man an? Das Ehepaar Otto und Gabriela L. besitzen ein Haus aus den 1960er Jahren. Ein bisschen haben sie schon erneuert. Berater Simon Temmesfeld zeigt Möglichkeiten auf.
Sanieren ja, aber wo fängt man an? Das Ehepaar Otto und Gabriela L. besitzen ein Haus aus den 1960er Jahren. Ein bisschen haben sie schon erneuert. Berater Simon Temmesfeld zeigt Möglichkeiten auf. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Marke schnell und billig: Mülheim hat viele schlecht gedämmte Häuser aus den 1960er Jahren

Nützlich für eine erste Klärung ist die städtische Beratung aber allemal, so wird hier eine Sache schnell deutlich: Mit dem Austausch der Gasheizung sollten die Eheleute erst im zweiten Schritt starten.

Dafür gibt es gute Gründe: Rund 32.000 Wohngebäude hat Mülheim, aufgeteilt in etwa 22.000 Ein- und Zweifamilienhäuser sowie 10.000 Mehrfamilienhäuser. Der größte Teil dieser Häuser - mehr als 6000 - ist in den 1960er Jahren entstanden. So wie das der Eheleute L. „Bis Ende der 1960er-Jahre wurde der Materialeinsatz aus wirtschaftlichen Gründen meist so gering wie möglich gehalten, da die in dieser Zeit besonders niedrigen Energiekosten eine Investition in Wärmeschutzmaßnahmen als nebensächlich erscheinen ließen“, heißt es in einer städtischen Analyse des Mülheimer Bestandes.

Die Energieberatungsstelle der Stadt Mülheim an der Ruhr liegt im Erdgeschoss des Technischen Rathauses am Hans-Böckler-Platz 5.
Die Energieberatungsstelle der Stadt Mülheim an der Ruhr liegt im Erdgeschoss des Technischen Rathauses am Hans-Böckler-Platz 5. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Der Handlungsbedarf ist aus städtischer Sicht genau bei diesem Alterstyp am höchsten, weil diese Gebäude die meiste Nutzwärme aller Mülheimer Baualtersklassen benötigen - insgesamt rund 294 Gigawattstunden. Kurzum: Wer hier einfach nur eine neue Heizung einbaut, heizt wortwörtlich zum Fenster raus, oder zum Dach oder Keller.

„Jede eingesparte Kilowattstunde ist eine gute Kilowattstunde“

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Die Heizkörper sind hier zumindest schon in Teilen durch Flächenheizkörper erneuert worden. Otto L. ist recht sicher, dass die Vorlauftemperatur schon jetzt 50 Grad beträgt. „Das wäre schon sehr gut“, sagt der städtische Berater Simon Temmesfeld, denn „jede eingesparte Kilowattstunde ist eine gute Kilowattstunde“.

Um eine Dämmung dürften die Speldorfer Hausbesitzer dennoch nicht herum kommen. Den Keller stellt Architekt Wedemann schon einmal in Aussicht. Bei einer Deckenhöhe von 2,50 Meter sind die Voraussetzung schon einmal gut, allerdings, überlegt Otto L. verlaufen so einige Rohre unter der Kellerdecke. Auch das Dach, die Fenster und die Fassade wären Pflicht. „Erst die Gebäudehülle“, rät Wedemann, dann spare man schon einmal Heizkosten. Und später müsste auch eine Wärmepumpe nicht so groß werden.

Wärmepumpe: zu teuer, zu laut, zu hässlich?

Denn auch bei einer Luft-Wasser-Wärmepumpe sollte im Bereich zwischen 40 und 50 Grad Vorlauftemperatur liegen. Um dann nicht nur weniger Strom für die gewünschte Temperatur zu benötigen. Eine zu große Wärmepumpe käme auch „ins Takten“, sprich: Sie schaltet sich aus und ein - das kann die Effizienz und Lebenszeit verringern, warnt Temmesfeld.

Apropos: Eine geothermische Wärmepumpe könnte konstant hohe Temperaturen aus der Erde nutzen, so Temmesfeld, und wäre daher effizienter. Sie ist allerdings wegen der Bohrung in bis zu 140 Meter Tiefe auch gut zehn- bis zwölftausend Euro teurer.

Nicht lauter als ein konspiratives Gespräch

Gegen eine günstigere Luft-Wasser-Wärmepumpe spricht zumindest weniger als noch vor Jahren: Der früher notwendige Abstand zum Nachbargrundstück ist gefallen, „dennoch muss man die Bestimmung der Lärmschutzordnung einhalten“, sagt Berater Temmesfeld. Die Lautstärke der Wärmepumpen sei aber geringer geworden und Verkleidungen könnten nicht nur die Optik, sondern auch Geräusche verbessern.

Für Gabriela L. ist das ein Faktor: „Ich finde es nicht schön, wenn sie genau vor dem Haus steht - das ist kein schöner Anblick.“ „Es wird nicht lauter als wir gerade sprechen“, erklärt Architekt und Energieeffizienzberater Dirk Wedemann so leise wie in einem konspirativen Gespräch mit dem Sitznachbarn.

Und wer soll das bezahlen?

Am Ende steht für die Eheleute natürlich auch die wichtige Frage: Wer soll das bezahlen? Beide haben die 60 Jahre überschritten - gibt‘s da noch gute Kredite? Was wird eine neue Bundesregierung noch fördern? Auch das ist eine Frage, wie umfassend die Maßnahmen werden. Für eine Effizienzhausstufe 70 - ein gut erreichbarer Standard gibt die KfW aktuell Kredite (effektiver Jahreszins nach Laufzeit von 1,16 bis 2,03 Prozent) von bis zu 150.000 Euro pro Wohneinheit und einen Tilgungszuschuss von je bis zu 15 Prozent, sprich 22.500 Euro weniger.

Immer noch eine Menge Geld, auch wenn das die Immobilie wertvoller macht und der Sohn das Haus in guter Lage einmal bekommen soll. Kann man das noch abbezahlen oder vererbt man Schulden? Otto L. klopft seiner Frau Gabriela ermutigend auf die Schulter: „Komm, das erleben wir beide noch.“ Gabriela muss dabei schmunzeln und schaut entschlossen auf das Schaubild zum Erdüberlastungstag: „Dann fangen wir mal an.“

Die nächste freie Energiesprechstunde der Stadt ist am 6. Februar 2025. Um eine Terminvereinbarung wird gebeten: per E-Mail unter energiewende@muelheim-ruhr.de oder telefonisch unter 0208 455-6831.

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