Mülheim. Nach einer Schock-Diagnose und Rückschlägen: Ihre Lebenserwartung will die Mülheimer Krebspatientin Jutta P. nicht wissen. Was ihr Kraft gibt.

Erst kam der Schock. Dann ein Sprint. Jetzt ist es die Langstrecke, die Jutta P. durchstehen muss - „mein Marathonlauf“, sagt die Krebspatientin aus Mülheim. Sie beschreibt die verschiedenen Phasen ihrer Krankheit, die nie mehr verschwinden wird. „Ich gelte als ,unheilbar‘. Aber ,chronisch‘ hört sich besser an.“

Jutta P. ist 62 Jahre alt. Die erste Krebsdiagnose bekam sie 2019, nach einer Unterleibsoperation in der Mülheimer Frauenklinik, der sie keine übergroße Bedeutung beigemessen hatte. „Ich wurde als geheilt entlassen. Doch zwei Wochen später erfuhr ich, dass es bösartig war.“ Die erste unheilvolle Überraschung. Nicht die letzte.

Bei Mülheimerin wurden Metastasen entdeckt - ein schwerer Schock

Nach der OP habe sie vier Jahre als gesund gegolten, erzählt die Mülheimerin. Dann bekam sie Atemprobleme, keine Luft mehr, Beschwerden, die sie auf eine Corona-Infektion zurückführte. Doch es waren Metastasen in ihrer Lunge. Für die Patientin ein schwerer Schock. Dass sie jetzt nicht nur medizinische, sondern auch auch psychologische Hilfe braucht, war ihr schnell klar.

Im Krankenhaus, das im Frühjahr 2023 die Diagnose stellte, habe man ihr eine Adressenliste ausgehändigt, sagt Jutta P., „mit den vielen Psychologen, die keine Zeit haben“. Über private Kontakte hörte sie von der Krebsberatung Mülheim, die im Gesundheitsamt in der Innenstadt sitzt und den Anspruch hat, innerhalb von zehn bis 14 Tagen ein Erstgespräch möglich zu machen. Jutta P. meldete sich dort, während sie zu Hause saß und auf ihre erste Chemotherapie wartete. „Der Rückruf kam innerhalb weniger Tage. Schon das erste Telefonat war lang und ausführlich.“

Krebsberatung Mülheim unterstützt Betroffene seit fünf Jahren - kostenlos

Viele persönliche Gespräche mit Anne Rillig, Diplom-Sozialarbeiterin und Leiterin der Mülheimer Krebsberatung, folgten. Seit nunmehr anderthalb Jahren holt sich Jutta P. dort Unterstützung. „Ich bin sehr ängstlich“, sagt sie, „und ich lebe alleine. Zwei Dinge, die bei Krebspatienten sehr schwierig sein können.“ Sie habe sich sofort einen Hausnotruf organisiert. Und obwohl ihre Familie sich sehr kümmere, speziell ihre Geschwister, sei ihre Krankheit auch für die Angehörigen eine schwere Belastung.

Das fünfjährige Bestehen der Krebsberatung in Mülheim feierten jetzt: (v.li.) Leiterin Anne Rillig, ihre Stellvertreterin Andrea Arlt und Mülheims Gesundheitsdezernentin Dr. Daniela Grobe.
Das fünfjährige Bestehen der Krebsberatung in Mülheim feierten jetzt: (v.li.) Leiterin Anne Rillig, ihre Stellvertreterin Andrea Arlt und Mülheims Gesundheitsdezernentin Dr. Daniela Grobe. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Bei all dem will die Krebsberatung helfen, die jetzt in Mülheim ihr fünfjähriges Bestehen gefeiert hat. Sie ist ein Ableger der Krebsberatung Essen und wird getragen von der Parisozial Essen gGmbH, einer Tochter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes NRW. Am meisten gefragt sei die psychoonkologische Beratung, sagte Leiterin Anne Rillig jetzt im Rahmen einer kleinen Geburtstagsfeier in den Mülheimer Räumen. „Viele Psychotherapeuten schicken Leute zu uns.“ Sie und ihr kleines Team bieten darüber hinaus Sozialberatung an, Hilfestellungen etwa, wenn es um Anträge oder finanzielle Unterstützung geht. Und auch Angehörige können zu ihnen kommen. All das ist kostenlos.

Alle drei Wochen Chemotherapie in einer Mülheimer Praxis

Zurück zu Jutta P. Was sie als „Sprint“ bezeichnet, war der erste Zyklus ihrer Chemotherapie, bis Juli 2023. Die Behandlung schien zunächst gut anzuschlagen, am Ende des Jahres hatte sich ihr Zustand gebessert. Leider gab es dann einen Rückschlag. Sie muss sich nun dauerhaft alle drei Wochen einer Chemotherapie unterziehen, wird ambulant durch eine onkologische Praxis betreut. Der „Marathonlauf“ hat begonnen, aus dem sie kaum als Siegerin hervorgehen kann.

In den Tagen direkt nach der Chemo geht es ihr elend. An anderen Tagen habe sie Energie und Lebensqualität, sagt Jutta P., „wenn es mir gut geht, kann ich zur Krankengymnastik gehen, einkaufen und abends ein Konzert besuchen. Ich habe zum Glück keine Schmerzen und keine Atemnot. Aber manchmal kommt die Angst hoch. Man weiß nicht, wie es weitergehen soll.“

Mülheimerin kommt teilweise wöchentlich in die Krebsberatung

Über diese Angst spricht Jutta P. mit der Beraterin Anne Rillig. Gemeinsam bereden sie auch, wie es für die Krebspatientin beruflich weitergehen kann, ob überhaupt. Ob eine Wiedereingliederung möglich ist. Jutta P. war in der kirchlichen Verwaltung tätig, in einer großen Ruhrgebietsstadt, und hat ihre Arbeit immer gerne gemacht, wie sie versichert. Aber sie stellt auch fest, dass die Medikamente ihre Konzentrationsfähigkeit stark beeinträchtigen.

Die 62-Jährige ist eine von insgesamt 101 Klientinnen und Klienten, die die Anlaufstelle in diesem Jahr - bis einschließlich November 2024 - aufgesucht haben. Tendenz: stetig steigend. Der Altersschnitt liegt in der Mülheimer Beratungsstelle aktuell bei 58 Jahren, Tendenz auch hier: klar steigend.

Anteil der männlichen Klienten ist auch in Mülheim gering

Was man außerdem deutlich sieht: Kaum mehr als ein Viertel der Ratsuchenden in Mülheim sind Männer. Eine Beobachtung, die die Krebsberatung etwa auch in Essen macht. „Männer sind genauso belastet“, sagt Beraterin Anne Rillig. Doch sie fänden viel seltener den Weg zum persönlichen Beratungsgespräch.

Die Krebsberatung hat daher spezielle Angebote entwickelt, etwa Segelkurse auf dem Baldeneysee „gegen Kopfkino“. Außerdem gibt es - deutschlandweit - einen Online-Männertreff, der einmal monatlich stattfindet (Info: gutgegenkopfkino.de). Gerne würden sie auch männliche Berater einstellen, ergänzt Anne Rillig, hätten nur noch keine entsprechend qualifizierten Kollegen gefunden.

Mülheimer Krebspatientin nimmt sich vor, weniger ängstlich zu sein

Krebspatientin Jutta P. will über den Jahreswechsel zur Kur fahren, drei Wochen. „Ich hoffe, dass ich dort Kraft finde“, sagt sie, „und dann muss man sehen.“ Für die Zukunft, die ihr noch bleibt, habe sie sich vorgenommen, „etwas weniger ängstlich zu sein“, öfter mal einen Tagesausflug zu unternehmen oder eine kleine Reise.

Wie lange sie voraussichtlich noch zu leben hat, habe sie ihren Arzt nie gefragt. Sie sieht keinen Grund dafür. „Was nutzt mir das? Das Ende ist klar“, sagt Jutta P., „irgendwann stirbt man. Ob an der Krankheit oder an Nebenwirkungen der Medikamente. Aber das kann noch Jahre dauern.“ Sie ist dankbar, dass sie bei der Krebsberatung immer eine Anlaufstelle hat, wenn sie es braucht.

Krebsberatung Mülheim, Heinrich-Melzer-Str. 3 (Gesundheitsamt), 0208-455 53 96, Öffnungszeiten: Dienstag und Freitag 10 bis 15 Uhr, tel. Abendsprechstunde: Dienstag 17 bis 19 Uhr, krebsberatung-muelheim.de.

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