Mülheim. Es sei „eine neue Ordnung zu schaffen, in der sich der Mensch als Mensch fühlen kann“. Eine Forderung zur ersten Bundestagswahl. Ein Rückblick.
14. August 1949. Vor 75 Jahren sind 102.000 Mülheimerinnen und Mülheimer aufgerufen, ihren ersten Bundestagsabgeordneten zu wählen. In der Lokalpresse stellen sich sechs Kandidaten vor, sechs Männer, aber keine Frau.
Die Sozialdemokraten, die seit November 1948 mit Heinrich Thöne den Oberbürgermeister stellen, schicken ihren Stadtverordneten Otto Striebeck ins Rennen. Der damals 55-jährige Lokalredakteur, der als Sozialdemokrat während der NS-Diktatur zeitweise im Gefängnis gesessen hat, sagt in seiner Vorstellung: „Ich glaube, dass alle produktiven Kräfte Anlass dazu haben, in gegenseitiger Achtung und Toleranz eine neue Ordnung zu schaffen, in der sich der Mensch als Mensch fühlen kann.“
„Ich glaube, dass alle produktiven Kräfte Anlass dazu haben, in gegenseitiger Achtung und Toleranz eine neue Ordnung zu schaffen, in der sich der Mensch als Mensch fühlen kann.“
Mülheim bei der Bundestagswahl 1949: CDU kämpft für konfessionelle Schulen
Für die Christdemokraten tritt der 34-jährige Heinz Langner an. Der gelernte Kaufmann leitet damals das Hilfswerk des Evangelischen Kirchenkreises „An der Ruhr“. Er sagt über seine Agenda: „Meine Arbeit gilt vor allem der Beseitigung politischer Spannungen und der Bewahrung der Menschenwürde und der Gewissensfreiheit, zu der auch der Schutz des Elternrechtes gehört.“ Hinter dem Begriff Elternrecht steht der Kampf um die Wiedererrichtung und Beibehaltung der von den Nationalsozialisten abgeschafften konfessionellen Schulen.
Ausgesprochen national gibt sich der Bundestagskandidat der Liberalen, Wilhelm Dörnhaus, wenn der FDP-Stadtverordnete und Landtagsabgeordnete betont: „Meine gesamte politische Betätigung darf nur meinem Vaterland nützen.“ Die Mülheimerinnen und Mülheimer kennen den als Betriebswirt bei den Röhrenwerken tätigen Dörnhaus vor allem als Vorsitzenden der Vereinigung heimatkundlicher Vereine, der sich unter anderem für den Wiederaufbau des Tersteegenhauses, der Stadthalle und der Petrikirche stark macht.
Eisenbahn-Ingenieur tritt in Mülheim für die Radikalsoziale Freiheitspartei an
Für die Radikalsoziale Freiheitspartei kandidiert der 37-jährige Eisenbahn-Ingenieur Helmut König. Als sein politisches Ziel formuliert er: „Ich trete für eine Geld- und Bodenreform und für die Stabilisierung der Kaufkraft ein.“
Für die Kommunisten bewirbt sich der 44-jährige Schlosser und Betriebsratsvorsitzende des Eisenbahnausbesserungswerkes Speldorf, Friedrich Müllerstein. Als das wichtigste Ziel seiner politischen Arbeit nennt er „die Wiederherstellung der nationalen Einheit und die Bildung einer aus allen Parteien und Gewerkschaften gebildeten deutschen Zentralregierung.“ Damit spielt Müllerstein darauf an, dass es sich beim ersten Deutschen Bundestag nur um ein westdeutsches und kein gesamtdeutsches Parlament handelt.
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Deutsche Konservative Partei will „das unabhängige staatliche Denken und Handeln fördern“
Der für die Deutsche Konservative Partei kandidierende und aus Pommern stammende, aber seit 1945 in Mülheim lebende Rechtsanwalt Günter Kujath sieht seine politische Agenda „in dem Notwehrakt, der Aufrichtung einer nationalen Rechten, um das unabhängige staatliche Denken und Handeln zu fördern.“ Damit weist er auf die Tatsache hin, dass die entstehende Bundesrepublik Deutschland nur eingeschränkt politisch souverän ist und unter der Aufsicht der alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkrieges steht.
Marktwirtschaft contra Sozialisierung und Planwirtschaft und nationale Einheit contra Westbindung: Das sind die politischen Konfliktlinien, die während des ersten Bundestagswahlkampfes vor allem zwischen Christ- und Freidemokraten auf der einen Seite und den Sozialdemokraten und Kommunisten auf der anderen Seite des parlamentarischen Spektrums verlaufen. Die Wahlberechtigten haben bei der ersten Bundestagswahl nur eine Stimme, die sie nur persönlich in ihrem Wahllokal abgeben können. Zweitstimme und Briefwahl werden erst für die nachfolgenden Bundestagswahlen 1953 und 1957 eingeführt.
Sozialdemokraten liegen bei erster Bundestagswahl in Mülheim vorne
Am Ende des ersten Bundestagswahltages, an dem 77 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben, zeigt sich, dass Mülheim gegen den Bundestrend die Sozialdemokraten auf Platz 1 und die Christdemokraten auf Platz 2 gewählt hat. Damit zieht der Sozialdemokrat Otto Striebeck als erster Mülheimer Abgeordneter in den ersten Deutschen Bundestag ein, der damals 402 Mitglieder hat.
Mülheimer Bundestagswahlergebnis am 14. August 1949
- Otto Striebeck (SPD): 26.543 Stimmen (34,9 Prozent)
- Heinz Langner (CDU): 21.441 Stimmen (28,2 Prozent)
- Wilhelm Dörnhaus (FDP): 9975 Stimmen (13,1 Prozent)
- Friedrich Müllerstein (KPD): 7681 Stimmen (10,1 Prozent)
- Günter Kujath (DKP): 5408 Stimmen (7,1 Prozent)
- Helmut König (RSF): 1681 Stimmen (2,2 Prozent)
- Deutsche Zentrumspartei: 2400 Stimmen (3,2 Prozent)
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