Mülheim. Die Mülheimerin Elvira Sauerwald hat ihren 102. Geburtstag gefeiert und lebt noch alleine. Kürzlich verlor sie ihren wichtigsten Menschen.
Ihren 102. Geburtstag hat Elvira Sauerwald gerade gefeiert. Es war schön für sie, aber auch schwer. Nicht in erster Linie wegen ihres Alters, des Trubels, der vielen Gäste, sondern wegen eines Verlustes, der sie hart getroffen hat. Ende Mai ist ihr einziger Sohn gestorben, ganz überraschend, im Alter von 74 Jahren. „Ich bin in tiefer Trauer“, sagt die Frau, die so viel und gerne lacht. „Das Feiern ist mir sehr schwergefallen.“
Ihr Haus ist voller Blumen, überall auf Tischen und Kommoden stehen prachtvolle Sträuße, die sie in den vergangenen Tagen geschenkt bekam. Vor dem Fenster eine Riege bildschöner Orchideen. Eine überreichte ihr Mülheims Oberbürgermeister. An den Wänden hängen Fotos ihres Ehemannes Heinz, der seit 19 Jahren nicht mehr lebt, und von Sohn Lothar, den Elvira Sauerwald im Frühsommer auf dem Mülheimer Altstadtfriedhof beerdigen lassen musste, neben seinem Vater. Ihre Liebsten zu überleben, das ist der Preis, den sie für ihr gesegnetes Alter zahlt.
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Mülheimerin (102) lebt im Haus ihrer Eltern und Großeltern
Sie ist Mülheimerin, kam hier in der Stadt am 31. Juli 1922 zur Welt, trug den Mädchennamen Frieg. Elvira Sauerwald lebt immer noch im Haus nahe der Kluse, das ihre Großeltern 1905 gebaut haben, das auch ihr Elternhaus war. Mit ihrer eigenen Familie wohnte sie in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren in Saarn und Broich, dann zogen sie zurück.
Elvira Sauerwald hat einen Lieblingsplatz am Tisch, mit direktem Blick über die Terrasse in den Garten, auf das Sommergrün, die Hortensiensträucher voller schwerer Blüten. Mithilfe eines Rollators kann sie selbstständig ins Freie gehen. Es würde auch mit einem Stock noch funktionieren, meint sie, „aber ich möchte nicht fallen, ich schütze mich, so gut ich kann“. Sie habe intensive Hilfe im Alltag, berichtet die 102-Jährige: eine Freundin, die vieles im Haushalt erledige, die anstelle ihres Sohnes nun eingesprungen sei. Unterstützung durch einen Pflegedienst braucht sie nicht.
Im Krieg geheiratet - während der Hochzeitsreise wurde Mülheim zerbombt
Sehr lebhaft und detailreich erzählt die 102-Jährige aus ihrem langen Leben. Immer wieder kommt das Gespräch auf ihren Mann, den sie als 17-jähriges Mädchen kennenlernte und Anfang Juni 1943 heiratete - mitten im Krieg. Ihr Mann sei damals zunächst bei der Flak-Division in Köln stationiert gewesen, berichtet sie. Über Kontakte zu österreichischen Kameraden hätten sie sogar eine Hochzeitsreise ins Fritztal unternehmen können.
Während sie verreist waren, fand am 23. Juni 1943 der größte Luftangriff auf Mülheim statt, bei dem die Innenstadt weitgehend zerstört wurde. Ihr Haus wurde nicht getroffen. Elvira Sauerwalds Mann erlebte das Kriegsende als Wehrmachtssoldat in Italien und kehrte einige Monate danach zurück. Später studierte er und arbeitete als Ingenieur bei Mannesmann in Duisburg. Das Paar war 62 Jahre lang verheiratet. Sie hat schöne Erinnerungen an gemeinsame Reisen, Wanderurlaube mit ihren Hunden, lustige Kegelabende, spontane Feiern mit Nachbarn und Freunden.
102-jährige Mülheimerin: „Ich hatte ein wunderbares Leben“
Elvira Sauerwald war nur kurz berufstätig: Nach dem Besuch der kaufmännischen Privatschule Schwenzer in Mülheim arbeitete sie eine Zeitlang als Angestellte bei der Dresdener Bank, kümmerte sich dann um Haushalt und Familie. „Damals war es nicht üblich, dass die Frauen arbeiteten“, sagt sie. „Ich war auch glücklich zu Hause. Ich hatte überhaupt ein wunderbares Leben.“ Obwohl sie schon etliche Operationen verkraften musste, unter anderem an beiden Knien, und auch eine Krebserkrankung hinter sich hat.
Sie sei immer zufrieden gewesen, meint die 102-Jährige, auch in der Nachkriegszeit, als sie und ihr Mann nur wenig hatten, ganz klein und bescheiden anfangen mussten. „Wir haben nie gejammert. Das ist etwas, das ich bei jüngeren Leuten oft vermisse. Ich bin auch jetzt zufrieden, dass ich noch da bin, dass es mir relativ gut geht.“
102-Jährige Mülheimerin liest Zeitung als E-Paper auf dem Tablet
Elvira Sauerwald liest noch Illustrierte und Romane, sie ist stolz auf ihr Tablet, auf dem sie WhatsApp-Nachrichten empfängt und die Zeitung als E-Paper liest: „Gewöhnungssache.“ Selber etwas googeln? Für sie kein Problem, sagt die 102-Jährige. Bis vor wenigen Monaten hat ihr Sohn, der in Baden-Württemberg lebte, sie einmal im Monat für eine ganze Woche besucht, den Garten in Ordnung gehalten, etliche Dinge für sie erledigt. „Er hat sich viele Jahre ganz rührend um mich gekümmert.“ Ihre Stimme zittert etwas. Jeden Morgen zur selben Zeit habe er angerufen, erzählt die 102-Jährige. Zwei Mal im Jahr seien sie gemeinsam nach Bad Pyrmont gefahren. Die nächste Reise sollte im Herbst stattfinden.
Jetzt helfen ihr andere Menschen, eine gute Freundin meldet sich jeden Abend per Telefon, ein Bekannter übernimmt das Rasenmähen. Zu ihrer Geburtstagsfeier sei Besuch gekommen aus der Schweiz und von der Ostsee, der einzige Enkelsohn reiste aus München an. Ihre Nichte brachte jede Menge Familie mit, der jüngste Nachwuchs gerade zehn Wochen alt. „Fünf von dem kleinen Gemüse hatte ich hier im Garten“, sagt die 102-Jährige. Jetzt lacht sie schon wieder. „Ich bin wirklich gut vernetzt.“ Viel Freude hat sie an den Fotos von ihrem Geburtstag, die gerade massenhaft bei ihr ankommen. Per WhatsApp.
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