Mülheim. Viel Ärger entlud sich bei der Bürgerbeteiligung zum Neubaugebiet nahe der denkmalgeschützten Mülheimer Siedlung. Doch ist der immer berechtigt?
Der Ärger in der denkmalgeschützten Papenbusch-Siedlung scheint enorm, denn direkt nebenan soll eine Neubausiedlung entstehen mit bis zu 100 Wohnungen. Das wirkt sich auf die Nachbarschaft aus: Rückstau, Kleinkrieg um Parkplätze, zu hohe Gebäude, Ghettobildung - „man belügt uns“, so ein Vorwurf in einer langen Liste von Kritikpunkten, mit denen Anwohner zur Bürgerversammlung am Dienstagabend auf Verwaltung und Investor anstürmen. Was stimmt und was ist Taktik der Kritiker?
Denn am Tisch mit den gut 70 Bürgerinnen und Bürgern sitzt nicht ein auswärtiger Investor oder eine Wohnungsbau-Heuschrecke mit exorbitanter Renditeerwartung, sondern die Mülheimer Wohnungsbau-Genossenschaft (MWB). Ihre Erwirtschaftung kommt den Mitgliedern zugute, die in der Regel die Mieter sind.
Neubau ist Teil eines „Deals“ mit der Stadt Mülheim, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen
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Ihr Auftrag im Sinne von Stadt und Politik: Wohnungen schaffen, die zum einen sozial gefördert sind und gerade auch von Familien in der Stadt benötigt werden. Und zum anderen Angebote für den frei finanzierten Markt.
Das ist Teil eines größeren „Deals“ zwischen Kommune und Genossenschaft, der nicht nur Wohnungen für Geflüchtete am Hauptfriedhof in Holthausen schaffen wird, sondern ebenso bezahlbare Angebote für die gesamte Mülheimer Bevölkerung. Das soll auch für gesellschaftlichen Frieden sorgen.
Doch ersteres prangert mancher sogar an: An der Düsseldorfer Straße in Broich/Saarn habe man sozialen Wohnungsbau eingeschränkt - so die Anspielung auf das dortige Lindgensareal -, „aber mit uns in Dümpten und Styrum kann man es ja machen“, sieht ein Anwohner den sozialen Wohnungsbau ungerecht in der Stadt verteilt.
Vorwurf einer Bürgerin: „Gebäude wie die Iduna-Hochhäuser“
Und wieder andere glauben an ein entstehendes „Ghetto“, malen ein Bild von „Iduna-Hochhäusern in Dümpten“ angesichts der auf dem vorgestellten Plan gezeichneten Flachdachgebäude, die teils bis zu vier Stockwerke hoch ausfallen könnten. Und dennoch weit von den Bauten in der Mülheimer Innenstadt mit 20 Stockwerken entfernt sind. Oder von den möglichen der Parkstadt in Speldorf. Vielmehr sollen Gründächer, Versorgung mit erneuerbarer Energie, eine Passivhaus-Bauweise und eine eher aufgelockerte Bebauung einem „Ghetto“-Eindruck entgegenwirken.
Doch so überzogen manche Sorgen vielleicht gezeichnet werden: Dass sich 100 zusätzliche Wohnungen plus Kita und wahrscheinlich einhergehend 200 Fahrzeuge, die sich künftig im Neubaugebiet auf der aufgegebenen Sportplatzfläche tummeln könnten, problematisch auswirken würden, ist nicht unberechtigt. Selbst wenn ein Verkehrsgutachten, das solche Effekte berechnen wird, noch aussteht.
Und ein reales Mülheimer Problem: zu viele Autos
Denn nach bisherigen Plänen müssen alle an einer Stelle rein und raus: in einer engen Kurve an der Papenbuschstraße, kurz vor der Kreuzung zur Mühlen- und Boverstraße. Die soll, den Schilderungen der Anwohner zufolge, bereits jetzt ein schwieriger Knotenpunkt sein. Morgens und abends im Berufsverkehr komme man nur zäh aus dem Viertel. Mit dem Verkehr der „Neuen“ und zusätzlichen Elterntaxis zur ebenfalls geplanten neuen Kita befürchten viele den „Kollaps in unserer Siedlung“. Und: „Kleinkrieg um Parkplätze - das ist nicht verantwortlich. Um das zu sehen, brauche ich kein Gutachten“, mahnt ein Anwohner.
Dass die Mülheimer Wohnungsbaugenossenschaft an dieser Stelle den Autoverkehr reduzieren kann mit fortschrittlichem Carsharing- und Fahrrad-Angeboten oder gar der fünf Gehminuten entfernten Straßenbahn, daran scheint niemand zu glauben. Noch scheint die Transformation des Verkehrs nicht in der gesellschaftlichen Mitte angekommen.
Filip Fischer (SPD), dessen Wahlkreis noch die Papenbuschsiedlung beinhaltet, setzte die Schrauben noch etwas fester an: Derzeit sei das Verhältnis der Stellplätze zu den Wohnungen nur knapp 1 zu 1. Er könne sich aber ein Verhältnis vorstellen, bei dem für eine Wohnung sogar zwei Stellplätze vorgehalten werden müssen. In der übrigen Papenbuschsiedlung indes gilt das nicht, und für Mülheim wäre es wohl ein Präzedenzfall.
„Wir nehmen das mit“: So kann es weitergehen in der Planung
In Stein gemeißelt ist das Wohnprojekt allerdings auch nicht. Weder in der Zahl der Wohnungen, der Gebäudehöhe noch in ihrer genauen Anordnung. Es gibt lediglich eine schematische Zeichnung, die ungefähre Lagen zeigt. Möglich also wäre es, die Zahl der Wohnungen zu reduzieren, was wiederum zulasten der Wohnungslage in der Stadt ginge. „Wir nehmen das ernst“ und „wir nehmen das mit“, sind daher Sätze, die MWB-Architekt Carsten Czaika und Stadtplaner Helmut Hardt in den zweieinhalb Stunden Bürgerbeteiligung mantrisch wiederholen.
Nach unter anderem dem Verkehrsgutachten wird die MWB ihre Planungen weiter anpassen. In der Politik werden diese weiter besprochen. Um den Verkehr besser ableiten zu können, sind ein Kreisverkehr an der Mühlenstraße (Vorschlag der Grünen und CDU), aber auch ein Direktzugang der Neubausiedlung zur Mellinghofer Straße im Gespräch. Damit wäre die Belastung der Papenbuschstraße vermutlich ganz vom Tisch.
Ein Jahr wird es wohl noch dauern, bis das Bebauungsplanverfahren mit vielen Gutachten zu Verkehr und Umweltverträglichkeit beendet ist. Der Gestaltungsbeirat wird in Kürze ebenfalls zu diesem Projekt tagen. Auch die Politik wird den Prozess begleiten. Man will alle Bedenken und Anregungen in Ruhe besprechen, sichert MWB-Planer Czaika zu. Und auch nach Ende des Verfahrens soll es eine weitere Beteiligung geben.
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