Mülheim. Luis (20) liebte Fitness und Fußball. Die Krankheit ME/CFS nahm ihm alles. Seine Familie führt eine Gaststätte in Mülheim. Und hofft auf Heilung.

Blass und schmal liegt Luis in den Kissen. Eine dunkle Schlafmaske bedeckt seine Augen. Plötzlich ziehen Krämpfe den schmächtigen Körper zusammen, er ringt keuchend nach Luft. Luis‘ Mutter, Corinna Heitmann, hat die Szene mit dem Handy gefilmt, als sie mal wieder miterleben musste, wie ihr Sohn sich quält.

Kurz zuvor hat der 20-Jährige den Weg zum Badezimmer bewältigt, wenige Meter. Nun zahlt er für diese Anstrengung den Preis, mit Atemnot, Schmerzen, Erschöpfung, die ihn über Stunden, Tage komplett lähmt. Luis hat einen „Crash“ erlitten, nach leichtester Belastung, typisch für die Krankheit ME/CFS, die den jungen Mülheimer erwischt hat. Auslöser war offenbar eine Corona-Infektion im Oktober 2022. Luis leidet an Post-Covid in der extremsten Form. ME/CFS kann jedoch auch durch andere Virusinfektionen verursacht werden, wie Grippe oder Pfeiffersches Drüsenfieber.

Familie betreibt die Bahnhofsgaststätte in Mülheim-Styrum

Bei Luis, dessen Familie die Styrumer Gaststätte „Zum alten Bahnhof“ betreibt, verlief Corona zunächst mild. „Doch nach dem dritten, vierten Tag wurde er immer schwächer“, erinnert sich seine Mutter, „er lag nur noch im Bett.“ Da sei ihnen klar geworden, dass etwas nicht stimmt. Nach der ersten Krankschreibung durch den damaligen Hausarzt ist Luis nicht mehr zur Schule gegangen. Er hat keinen Abschluss. Sein früheres Leben - er liebte Fitness, Fußball, Kartfahren - ist vorbei.

Luis war vor seiner Erkrankung ein sportlicher Junge. Dieses Foto stammt aus dem letzten Urlaub, den er machen konnte. Da war er 18.
Luis war vor seiner Erkrankung ein sportlicher Junge. Dieses Foto stammt aus dem letzten Urlaub, den er machen konnte. Da war er 18. © privat | Heitmann

Sein bester Freund meldet sich weiterhin. „Luis hat auch eine Freundin, die immer noch zu ihm hält und immer noch kommt“, sagt die Mutter. „Leider darf sie nicht zu ihm, weil ihn das emotional zu sehr anstrengen würde.“ Gleiches gilt für die Großeltern. Luis wird ausschließlich von seinen Eltern betreut, in deren Schlafzimmer auch sein Bett steht. Ein Pflegedienst, den Heitmanns engagiert haben, steht nur beratend zur Seite. „Sobald eine andere Person kommt als mein Mann oder ich, fängt es sofort wieder an: Atemnot, Schmerzen - das ist das große Problem.“

Schwerkranker Luis schläft tagsüber - in guten Phasen kann er alleine essen

Außerdem sei der Tag-Nacht-Rhythmus bei Luis verschoben. Er schläft tagsüber. Corinna Heitmann arbeitet vormittags als Erzieherin in der Lernwerkstatt Natur im Witthausbusch. Ihr Mann Thomas ist dann zu Hause, die Gaststätte öffnet unter der Woche erst um 17 Uhr. Luis ruht mit Schlafmaske, er ist extrem lichtempfindlich, und mit Ohrstöpseln. „Anders hält er es nicht aus.“

Nachmittags ist seine Mutter zu Hause, bereitet Essen vor, das er nachts zu sich nimmt. In guten Phasen schafft er es alleine, im Liegen, vom Tablett. Corinna Heitmann wacht dann neben ihm, falls er sich verschluckt. Danach legt sie sich selber zur Ruhe. Brothäppchen, Plätzchen, Gemüsestücke nehmen und in den Mund stecken - „diese eine Bewegung kann er noch machen, mehr nicht. Laufen, sitzen, das geht alles nicht mehr.“ An guten Tagen schaltet Luis den Fernseher an, ganz leise, dass es nur leicht flimmert.

Viel Geld für Therapien bezahlt, Blutwäsche half nicht

Die Familie hat für Therapien, Medikamente, spezielle Blutuntersuchungen schon an die 8000 Euro bezahlt. Unter anderem versuchte es Luis Anfang 2023 mit Blutwäschen (Help Apheresen) bei der Mülheimer Internistin Dr. Beate Jaeger. Die Behandlung habe nicht geholfen, „die dritte hat ihn sogar komplett in die Bettlägerigkeit gebracht“, sagt Corinna Heitmann. Der Ärztin, die mittlerweile nicht mehr in Mülheim tätig ist, nehme sie es nicht übel, so die Mutter. Sie habe vorher deutlich kommuniziert: Entweder es hilft, oder wir haben Geld in den Sand gesetzt.

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Dr. Jaeger habe auch richtige Hinweise gegeben, etwa zur Medikation oder, indem sie von einer aktivierenden Reha dringend abgeraten habe. Typisch für ME/CFS-Erkrankte ist, dass sich ihr Zustand nach Überanstrengung drastisch verschlimmert (Fachleute nennen dies: PEM, Post-Exertional Malaise). Klinisch nachweisbar ist die Krankheit (noch) nicht, nur Ausschlussdiagnosen sind möglich.

Mülheimer Mutter: Krankheit ist ein Kampf

Corinna Heitmann hat sich unter der ständigen Belastung zur Aktivistin entwickelt. Sie sagt: „Diese Krankheit ist für uns Angehörige ein einziger Kampf. Ich habe nicht nur mein Kind zu Hause liegen, das in manchen Situationen wirklich mit dem Tod ringt, sondern ich muss mich auch noch mit Krankenkassen, Ärzten und allem anderen auseinandersetzen.“ So habe man Luis eine Schwerbehinderung von 50 Prozent bescheinigt, mehr aber nicht. Der Widerspruch sei abgeschmettert worden, nun zögen sie vor das Sozialgericht.

Luis bei einem kurzen Krankenhausaufenthalt, begleitet von seiner Mutter Corinna Heitmann. Auf medizinische Hilfe hofft die Mülheimer Familie bislang vergeblich.
Luis bei einem kurzen Krankenhausaufenthalt, begleitet von seiner Mutter Corinna Heitmann. Auf medizinische Hilfe hofft die Mülheimer Familie bislang vergeblich. © privat | Heitmann

Die Familie ist bereit, noch mehr Geld zu investieren, um Luis zu helfen. Sie will es jetzt mit einer Sauerstoff-Hochdrucktherapie versuchen - die Miete für ein Spezialgerät koste allerdings 1500 Euro im Monat, so Corinna Heitmann. Auch über eine spezielle Blutwäsche (Immunadsorption) dächten sie nach. Doch dafür müsste ihr Sohn stabiler sein, um die Fahrt zu Spezialkliniken in Berlin oder Flensburg zu schaffen.

Luis‘ Schicksal bewegt auch viele Besucher der Gaststätte „Zum alten Bahnhof“, die ihn seit Kindertagen kennen. Ein langjähriger Stammgast des Lokals hat sich bei dieser Redaktion gemeldet, besorgt und betrübt. Er sagt: „Die Familie ist in einer teuflischen Situation.“ Er bewundere Thomas Heitmann, der weiterhin tapfer in der Küche stehe und immer freundlich zu den Gästen sei, „ungeachtet der furchtbaren Lage“.

Aktionstag für ME/CFS-Erkrankte am 12. Mai

Corinna Heitmann geht bewusst jetzt, in diesen Tagen, an die Öffentlichkeit. Für 12. Mai ist der internationale ME/CFS-Tag ausgerufen. Öffentliche Gebäude, Sehenswürdigkeiten oder Fenster von Betroffenen sollen blau erleuchtet werden - in der Farbe der Hoffnung. #LightUpTheNight4ME heißt die Aktion. Nicht nur die Erkrankung an sich, auch die Versorgungssituation der Betroffenen sei „katastrophal“, schreiben die Aktivisten auf ihrer Homepage, ihr Leid unvorstellbar.

Laut Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS e.V. ging man vor der Pandemie von bis zu 300.000 betroffenen Erwachsenen und rund 90.000 erkrankten Kindern und Jugendlichen deutschlandweit aus. „Infolge der Covid-19-Pandemie könnte sich die Zahl der Betroffenen verdoppelt haben.“ Für sie soll am 12. Mai nicht nur die Bahnhofsgaststätte in Styrum blau erstrahlen, sondern auch Schloß Broich. „Wir wurden auf den Aktionstag angesprochen und haben uns schnell dazu entschieden, mit Schloß Broich, dem wichtigsten Baudenkmal in unserer Stadt, teilzunehmen“, erklärt Anna Stark, Sprecherin der MST. Das illuminierte Schloss mit seiner imposanten Erscheinung sei besonders wirkungsvoll, um ein Zeichen für mehr Verständnis für ME/CFS-Betroffene zu setzen.

Hoffnung auf Fortschritte in der medizinischen Forschung

Corinna Heitmann hofft, dass die Forschung vorangeht, und dass Kliniken die Schwerstkranken künftig stationär aufnehmen und versorgen. „Denn Ambulanzen können diese Patienten nicht aufsuchen.“ Einen Termin im Uniklinikum Marburg hätten sie absagen müssen, weil es dort nur ambulant ging.

Die Mülheimerin sagt: „Ich bin eine Löwenmutter.“ Eine Whatsapp-Gruppe gebe ihr viel Halt, in der sich betroffene Eltern aus ganz Deutschland austauschen. Gegründet habe sie eine Frau, deren Tochter nach einer Grippe an ME/CFS erkrankte. „Sie liegt mittlerweile seit 13 Jahren...“ Kraft gebe ihr aber auch ihr Sohn, „denn er sagt immer: ,Mama, wir schaffen das schon.‘“ Aussprechen könne er es nicht. „Aber er zeigt es mir.“

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