Mülheim. Der fortdauernde Lockdown und ausbleibende Hilfen machen Mülheimer Einzelhändlern Sorgen. Was soll nur aus Innenstadt, Dorf Saarn und Co. werden?

Je länger die Geschäfte des Einzelhandels geschlossen bleiben, desto größer wird die Sorge, dass nach Corona nichts mehr so sein könnte, wie es noch im März 2020 war. Eine Händlerin aus Saarn beteiligt sich nun an einer PR-Aktion, die auf die Not des deutschen Einzelhandels aufmerksam machen will.

Nicole Pietschmann heißt sie. Sie betreibt an der Düsseldorfer Straße in Saarn den Damenmodeladen "Lieblingsstücke" - und hat tatsächlich Anfang Januar den Winterschlussverkauf ausgerufen. Trotz verordneter Schließung der Geschäfte: Click & Collect hilft der Saarnerin, zumindest einen Teil ihrer verbliebenen Wintermode noch an die Frau zu bringen.

Immerhin halten die Lieferanten die Sommerware noch zurück

"Ich habe noch Glück", sagt die Geschäftsfrau, die ihren Laden in Saarn seit sieben Jahren hat. Ihre Restbestände an Winterware lägen bei 25 bis 30 Prozent, aber Pietschmann weiß aus Gesprächen mit anderen Händlern im Dorf Saarn, dass diese noch auf weitaus mehr Wintermode sitzen. Ein Problem für Händler, die längst nicht mehr auf Kommission einkaufen und nicht verkaufte Waren an Lieferanten zurückgeben können.

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Immerhin halten Pietschmanns Lieferanten die bestellte Sommerware noch zurück und liefern sie erst im Februar aus. So bleibt der Händlerin Zeit, durch Verkäufe noch etwas Platz zu machen für Neues. Pietschmann ist da ganz rege unterwegs.

Händlerin als Model: Mode-Selfies preisen die Winterware an

Sie hat zwar keinen Online-Shop, nutzt aber Instagram und Facebook, um ihre reduzierte Winterware anzupreisen. Dabei mimt sie nicht selten selbst das Model: Rein in die Klamotten, ein Selfie und dann raus mit dem Bild in das World Wide Web. Das funktioniert tatsächlich: Pietschmann berichtet, dass nicht nur ihre Stammkunden dadurch animiert sind, sich zu festen Zeiten die Ware am Laden abzuholen. "Es geht auch mal was nach Dresden, nach Frankfurt oder in die Eifel", sagt sie. "Das ist sehr mühsam und zeitintensiv", aber es funktioniere noch ganz gut. Sie werde nicht von Retouren überhäuft.

Es bleibe "die tägliche Grundanspannung", wie es mit dem stationären Handel vor Ort weitergehen könne. Ihre eigene Existenz sieht Pietschmann aktuell nicht gefährdet, von Kollegen sei mitunter aber anderes zu hören. Mit ihnen gelte es solidarisch zu sein, "wir müssen zueinanderstehen".

Kampagne fordert Ladenöffnung - oder angemessene Entschädigungen

So hat sich Pietschmann zu Beginn dieses Jahres entschlossen, an der Kampagne "Wir machen auf___merksam" teilzunehmen. Die Initiative von zwei PR-Agenturen aus Frankfurt und Aichach will Druck auf die Bundesregierung erzeugen mit dem Ziel, dass lokale Einzelhändler ihre Läden unter Beachtung der Hygiene-Vorschriften wieder öffnen dürfen - oder angemessen entschädigt werden. Deutschlandweit sind Händler aufgerufen, sich mit Plakaten zur Aktion fotografisch zu inszenieren.

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Nicole Pietschmann hat sich beteiligt. Weil sie die große Befürchtung hat, dass selbst das vor Corona florierende Dorf Saarn nach Ende der Pandemie "nicht mehr das sein wird, was es mal war". Bei weiter andauerndem Lockdown seien Existenzen gefährdet. Auch das Dorf Saarn brauche absehbar wieder die Möglichkeit, dass Händler ihre "bunte Vielfalt" präsentieren könnten. "Wenn der Lockdown noch länger andauert, könnte es auch hier veröden wie andernorts", fürchtet die Geschäftsfrau.

Kreativ-Laden in Broich setzt auf das "Window-Shopping"

Lebensmittel-Einzelhandel ist unter Hygiene-Auflagen möglich, selbst Floristen dürfen öffnen. Pietschmann hofft auf baldige Gleichbehandlung. Das sei der Grundtenor, der auf der Düsseldorfer Straße zu vernehmen sei: Alle sehnten eine baldige Wiedereröffnung ihrer Geschäfte herbei.

Click & Collect haben viele Händler in Mülheim für sich entdeckt. Aktiv geworden ist auch Anja Schellberg vom Laden "Vielfach-Creativ" an der Kirchstraße in Broich. Im Geschäft, das Regale an Künstler und Kreative vermietet, damit diese dort ihr "Handgemachtes und Handverlesenes" präsentieren können, ist ab sofort ein "Window-Shopping" möglich: In den Schaufenstern wird die Ware mit Nummern präsentiert. Kunden können dann anrufen und einen Abholtermin vereinbaren.

Innenstadt-Händler wartet seit Oktober auf versprochene Landeshilfe

Derweil hat Jörn Gedig, Inhaber des mittlerweile nur noch an der Delle präsenten Innenstadt-Labels "4330 Mülheim", in einem in den sozialen Medien verbreiteten Video Kritik an der öffentlichen Hand geäußert. "Wo bleibt unser Zuschuss?", fragt er mit Blick auf beantragte Mittel im Rahmen des NRW-Programms "Digitalen und stationären Einzelhandel zusammendenken".

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Mit dem Sonderprogramm wollte das Land kurzfristige Projekte von Kleinunternehmen fördern, die sich erstmalig digital aufstellen oder den Auf- oder Ausbau der digitalen Technologien für ihr Unternehmen voranbringen wollten. Anträge waren bis zum 15. September 2020 zu stellen, die geförderten Projekte sollten die Händler noch 2020 realisieren.

4330-Inhaber sieht sich mit Rechnungen konfrontiert, doch Hilfe bleibt aus

So hatte Gedig nach eigener Aussage auch ein umfangreiches Konzept erstellt. "Wir warten nun seit Oktober auf eine Bewilligung", klagt er nun, da der Kalender Mitte Januar anzeigt. Für Dienstleister, die er engagiert habe, müsse er zahlen, ohne den versprochenen Benefit zu haben. Die schnelle, unbürokratische Hilfe, die das Land versprochen habe, sei das nicht, zeigt sich Gedig enttäuscht. Schon 2020 war der Händler an den Rand einer Pleite geraten.