Mülheim. . Regina Bollinger, Christoph Pfeiffer, Heinrich Weyers, Bernd Heßeler widmen sich als freie oder christliche Trauerredner der letzten Würdigung.
- Freie Trauerredner, Pfarrer oder ehrenamtliche Beerdigungsleiter kümmern sich um das Abschiednehmen
- Rituale für den Abschied sind für die trauernden Hinterbliebenen ungemein wichtig
- Musik ist sehr bedeutsam und individuell, oft werden dann erst die Gefühle angesprochen
Wenn der November beginnt, bricht die Zeit des Gedenkens an. Viele Tage dieses Monats sind den Toten und der Trauer der Hinterbliebenen gewidmet. Doch wie findet man tröstende Worte, wenn es eigentlich nichts mehr und doch noch so viel zu sagen gibt? Regina Bollinger, Christoph Pfeiffer, Bernd Heßeler und Heinrich Weyers befassen sich als freie Trauerredner, Pfarrer oder ehrenamtliche Beerdigungsleiter das ganze Jahr über mit dem Abschiednehmen. Im Gespräch tauschen sie sich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Arbeit aus und erklären, warum Rituale für den Abschied so wichtig sind.
Was unterscheidet eine katholische von einer evangelischen und von einer freien Beerdigung?
Christoph Pfeiffer: Früher gab es ein klares protestantisches oder ein katholisches Profil einer Beerdigung. In den letzten Jahren haben wir uns sehr angenähert. Unterschiede zur freien Trauerfeier gibt es inhaltlich: Ich beziehe die Biografie des Verstorbenen zwar in meine Rede ein, schlage aber immer den Bogen zu Gott – zur Führung Gottes und der Auferstehung.
Heinrich Weyers: Zur katholischen Beerdigung gehört eine Messfeier, die heute aber immer seltener gewünscht wird. In dieser steht neben der frohen Botschaft auch der Verstorbene im Mittelpunkt. Beim Begräbnis richtet sich der Blick dann mehr auf die Hinterbliebenen. Entsprechend ist die Ansprache stärker von der Verkündigung des Auferstehungsglaubens geprägt. Das Leben des Verstorbenen spielt dabei weniger eine Rolle. Das hat sich mittlerweile etwas geändert. Wir wollen zwar nicht die Lebensgeschichte erzählen, den Verstorbenen mit seinem Charakter aber einbeziehen.
Bernd Heßeler: Was es bei christlichen im Gegensatz zu freien Beerdigungen nicht gibt, sind Verstreuungen, See- oder anonyme Beerdigungen. Gott hat mich beim Namen gerufen, und deswegen wird nur mit Namen bestattet.
Freie Trauerfeier ist keine Konkurrenz zur kirchlichen
Regina Bollinger: Die freie Trauerfeier ist keine Konkurrenz zur kirchlichen. Sie ist in ihrer Struktur frei, hat keine liturgischen Vorgaben und orientiert sich an den Wünschen der Angehörigen. Die Würdigung des Verstorbenen, seine Biografie, nimmt mehr Raum ein. Die Zahl der nichtkirchlichen Bestattungen nimmt meines Erachtens zu, etwa 35 Prozent aller bundesweiten Bestattungen sind frei. Trotzdem wünschen sich die Leute ein würdevolles weltliches Übergangsritual.
Welche Rituale spielen übergreifend eine Rolle?
Regina Bollinger: Musik ist sehr wichtig und individuell. Es gibt Beerdigungen, da läuft sogar Heavy Metal. Ich erlebe oft, dass das gesprochene Wort nur die Vorbereitung ist und dann bei der Musik alle Dämme brechen. Ganz häufig wird „Einmal seh’n wir uns wieder“ von Andreas Gabalier gewünscht oder „Niemals geht man so ganz“ von Trude Herr.
Christoph Pfeiffer: Das gilt auch für christliche Trauerfeiern. Der einzige Musikwunsch, den ich mal abgelehnt habe, war „Highway to hell“.
Es gibt viele weltliche Lieder, die in die Tiefe gehen, die eine Sehnsucht ausdrücken – auch das ist religiös.
Trend geht zu individualisierten Bestattungen
Wie hat sich die Beerdigungskultur aus Ihrer Sicht verändert?
Christoph Pfeiffer: Der Trend geht zu individualisierten Bestattungen: Wenn die Satzungen der Friedhöfe nicht so streng wären, würde das noch stärker ausgelebt. Gleichzeitig nimmt die Verbindung zu religiösen Ritualen ab. Dafür spielt die individuelle Befindlichkeit in Trauerprozessen eine größere Rolle. Ein weiterer Trend ist, dass sich Leute im engsten Familienkreis beerdigen lassen. Wir erleben, dass die Trauerhalle nicht mehr gebucht wird, alles nur noch kurz und schmerzlos im engsten Kreis stattfindet und es manchmal nicht mal einen Ort zum Trauern für die Hinterbliebenen gibt – das ist schwierig, wenn jemand zurückfinden will ins Leben.
Daher ist es wichtig, dass überhaupt ein Übergangsritual stattfindet – in welcher Form auch immer.
Heinrich Weyers: Beerdigungen werden immer mehr zu etwas Privatem, zu dem nur die Familie eingeladen ist und nicht die Gemeinde.
Bernd Heßeler: Dabei beerdigt ja eigentlich die Gemeinde ihre Toten. Diese wird aber immer öfter ausgeschlossen. Zu sehen ist das an Todesanzeigen, die häufig erst nach der Beerdigung aufgegeben werden.
Hat sich denn auch die Art zu trauern verändert?
Christoph Pfeiffer: Die Menschen sind extremer im Ausdruck ihrer Trauer geworden. Weil sie sich nicht mehr in Ritualen auffangen, sondern individuell versuchen, es rauszuschreien. Da können extreme Situationen entstehen. Ich habe einmal erlebt, wie sich jemand ins offene Grab stürzen wollte. Das passiert nicht oft, aber man muss auf vieles gefasst sein. Es ist auch neu, dass wir in einem solchen Ausmaß Trauerbegleitung anbieten.
Am Grab entstehen oft extreme Situationen
Wie reagieren Sie auf extreme Formen der Trauer?
Regina Bollinger: Es hilft, die Menschen anzusprechen. Bis zuletzt am Grab stehen zu bleiben und zu signalisieren: Ich bin bei Ihnen.
Bernd Heßeler: Oder sie in den Arm zu nehmen. Man kann auffangen, indem man einfach da ist.
Kommt es vor, dass Menschen zu Ihnen kommen, um ihre eigene Beerdigung zu planen?
Christoph Pfeiffer: Ja, sogar immer häufiger. Natürlich sollte man darüber reden, aber eigentlich bin ich kein Freund davon. Denn durch vorgegebene Wünsche fühlen sich die Angehörigen daran gebunden. Viele kommen aber mit Kolumbarien oder einer Seebestattung nicht zurecht.
Regina Bollinger: Es kann helfen, Dinge vorher festzulegen. Denn viele Hinterbliebene sind mit dem Organisieren einer Beerdigung oft überfordert. Deswegen werden wohl mehr Urnenbestattungen gebucht, weil man mehr Zeit hat.
Heinrich Weyers: Zumal Urnenbestattungen günstiger sind, auch was die Pflegekosten angeht.
Christoph Pfeiffer: Früher hatte die Oma eine Sterbekasse. Die Endabrechnungen heute liegen zwischen 5 und 10 000 Euro plus Folgekosten – da ist kaum einer drauf eingestellt.
Bernd Heßeler: Daher ist es wichtig, dass die Gemeinde aufklärt. Bei der Ökumenischen Trauerbegleitung wollen wir Abende anbieten, um über solche Themen zu sprechen.
Jede Beerdigung kostet auch die Profis Kraft
Wie erleben Sie selbst eine Beerdigung?
Alle: Als unheimlich anstrengend.
Christoph Pfeiffer: Jede Beerdigung nimmt mir den Strom. Danach bin ich erledigt. Nicht, dass ich immer mitweine, aber ich fühle mit.
Regina Bollinger: Man verströmt sich selber. Es gibt auch Beerdigungen, da kommen mir die Tränen. Etwa bei weinenden Kindern. Da muss ich gezielt neutral bleiben.
Wie schaffen Sie das?
Alle: Tief ein- und ausatmen.