Mülheim. . Es gibt wenig Ähnliches im Leben von Jesus von Nazareth und dem Mülheimer Jesús. Doch leicht ist es nicht, den Namen mit dem Messias zu teilen.

Jesus ward vor 2020 Jahren in Bethlehem geboren, Jesús kam 1974 in einem Krankenhaus in Duisburg-Rheinhausen zur Welt. Jesus lebte in Nazareth, Jesús wohnt auf der Saarner Kuppe. Eigentlich ist alles ganz klar: Außer fünf (fast) gleichen Buchstaben, gibt es wenig Ähnliches im Leben der Männer. Doch gerade die fünf Lettern haben es in sich. Es ist nicht leicht, sich den Namen mit einem Messias zu teilen.

"Als Kind habe ich das oft richtig gehasst", erzählt Jesús (46) im weihnachtlich geschmückten Wohnzimmer, zwischen Adventskalender, Weihnachtsbaum und Krippe. Gerade, wenn sich der Junge irgendwo vorstellen musste, wurde es blöd. Ohne doofe Sprüche, unlustige Witze ging es fast nie.

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Den kleinen Jesús machte es unglücklich, immer anders zu sein

"Hast du Löcher in den Händen?", fragten die Kinder reflexartig und lachten, "Kannst du übers Wasser gehen?". Selbst die nette, neue Religionslehrerin nahm kein Blatt vor den Mund: "Willst du mich verarschen?". Den kleinen Jesús machte es unglücklich, immer anders zu sein, nie einfach nur Teil der anonymen Masse. Es löste Stress aus, kratzte am Selbstbewusstsein.

Vom Vater, der den Namen ausgesucht hatte, wollte er wissen, wieso es ausgerechnet dieser sein musste. Die Erklärung war eine traurige und eine frohe zugleich: Sein Bruder José war 1972 gesund zur Welt gekommen, eine Schwester, mit der die Mutter kurz darauf schwanger war, kam zu früh zur Welt und starb nach wenigen Tagen.

"So etwas Trauriges wollte mein Vater auf keinen Fall nochmal erleben; er wollte kein Kind mehr", erzählt der Mülheimer. Seine Frau aber wurde wieder schwanger - und wurde nach José von einem zweiten gesunden Jungen entbunden. "Unter dem Eindruck dieser starken Emotionen hat er für mich den Namen Jesús ausgewählt."

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Name Jesús ist in Spanien nicht ungewöhnlich

Zumal dieser in Spanien, woher die Eltern stammten, nichts Ungewöhnliches war. "Er ist heute zwar nicht mehr modern", doch wenn der junge Jesús dort zu Besuch war, fand ihn niemand seltsam. Das war schön, da fühlte er sich normal.

In Deutschland hingegen ging es weiter mit den lästigen Kommentaren, auch als Jugendlicher und Erwachsener. Mit Freunden bestellte der Teenager Pizza an einem Wagen auf dem Markt. Als diese fertig war, rief einer überlaut über den ganzen Platz: "Jesus, das ist doch deine Pizza." Wieder gibbelten alle, "das war echt unangenehm". Selbst Jahre später, als er längst im Beruf stand, fragte noch jemand: "Sag mal, ist dein Name nicht Gotteslästerung?!" "Nein, ist er nicht", antwortete Jesús klar, längst mit gutem Selbstbewusstsein ausgestattet.

Mülheimer Jesús: "Habe meinen Frieden mit dem Namen gemacht"

Mit vollem Namen heißt der 46-Jährige übrigens Jesús Santos Conde, übersetzt "Jesus, heiliger Graf". "Das klingt gut", findet er. Und dass es außergewöhnlich ist, stört ihn nicht mehr. "Ich freue mich darüber. Ich habe meinen Frieden damit gemacht."

Zumal das Vorbild ja nicht das schlechteste ist: "Ich kenne die Geschichte von Jesus, all die guten Dinge, der er gemacht hat, sind mir bewusst." Er sei zwar "nicht streng gläubig", sagt der Katholik, gehe in Mülheim auch kaum in die Kirche. Doch in Galizien, wo die Eltern, die Anfang der 60er als Gastarbeiter zu Krupp nach Duisburg gekommen waren, heute wieder leben, macht er das gern.

Im Ausland stellt Jesús sich lieber mit seinem Nachnamen Santos vor

Ein klein wenig Vermeidungsverhalten aber ist Jesús Santos Conde geblieben, ganz abschütteln lässt sich die Kindheit nicht. Der zweifache Familienvater arbeitet als kaufmännischer Projektdirektor beim Mischkonzern Hitachi, ist zuständig für Kohlekraftwerke und oft weltweit unterwegs.

Im Ausland nennt er seinen Vornamen eher nicht, "ich stelle mich lieber als Santos vor". Da spiele das Unterbewusstsein wohl eine Rolle, aber vor allem falle die Aussprache des Nachnamens vielen Menschen einfacher. "Das bringen sie schneller über die Lippen." Und Berührungsängste gebe es keine.

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In Indien leben sogar Menschen, die ähnlich heißen, erzählt der 46-Jährige: "Der Name Santosh ist aus der Kolonialzeit der Portugiesen übrig geblieben." Stelle er als Deutscher sich so vor, seien ihm fröhliche Lacher sicher, "die denken, ich will sie auf den Arm nehmen".

Eltern von Jesús heißen José und Maria

Noch heute denkt er in Seminaren manchmal kurz darüber nach, wie er sich vorstellen soll. "Das Entree ist mir wichtig. Da kann man anderen schon den Wind aus den Segeln nehmen." Doch eigentlich macht Jesús Santos Conde überwiegend gute Erfahrungen. Und kann sich mittlerweile sogar freuen über Spitznamen, die Klischees bedienen. Eine Kollegin nannte ihn immer "mein Jesuskind" und es machte ihm rein gar nichts aus.

Apropos, zum Gottessohn gibt es doch noch eine Verbindung, die über die fünf (fast) gleichen Buchstaben hinausgeht: Der Jesus aus Nazareth wuchs mit Maria und Josef auf. Der Jesús von der Saarner Kuppe hat einen Vater der José heißt, was auf Deutsch Josef bedeutet. Und eine Mutter, die den passenden Zweitnamen trägt: Maria.