Moers. Eine Moerser Politesse berichtet Grausiges: Im Dienst wird sie von zahlreichen Passanten beleidigt. Welche Konsequenzen die Stadt jetzt zog.

Tränen schießen Sabine in die Augen. Die Erinnerungen an den Tag machen was mit ihr. Sie sitzt ruhig auf einem Stuhl im Büro des Moerser Bürgermeisters Christoph Fleischhauer, hat die Hände gefaltet im Schoß liegen. Auch wenn es Sabine sichtlich schwerfällt, über das Erlebte öffentlich zu sprechen, ist es eine Herzensangelegenheit für sie. Sabine, die als Politesse bei der Moerser Verkehrsüberwachung arbeitet, heißt nicht Sabine. Wir haben ihren Namen für diesen Bericht geändert. Was ist ihr passiert?

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Es war an einem Sonntag. Sabine war im Dienst. Wie so oft ging es vom Rathaus aus Richtung Neumarkt. Die Sonne schien, „es war ein schöner Tag“, erinnert sie sich. Und: Es war voll. Der Weihnachtsmarkt lief bereits und lockte zahlreiche Besucherinnen und Besucher in die City. Sabine tat das, wofür sie angestellt ist. Sie schrieb eine Verwarnung, ein Auto stand in einer Sperrzone. Alltag für die Politessen. Was dann passierte, versteht sie bis heute nicht. Aus der Menschenmasse heraus schossen ihr Beleidigungen der übelsten Art entgegen. „Hund der Stadt“, „Verpiss dich“ und „Fotze“ musste sie über sich ergehen lassen. „Das waren nicht die Fahrzeughalter, das kam einfach aus der Menge“, erzählt sie.

Moerser City: Immer wieder beleidigten Menschen eine städtische Mitarbeiterin

Es riss nicht ab. Den ganzen Weg durch die City hörten die Beleidigungen nicht auf. Es war keine feste Gruppe, die gegen sie hetzte. Es waren augenscheinlich wahllos unterschiedliche Menschen. Immer aus der Anonymität der Masse heraus, die Konfrontation mit Sabine hat keiner gesucht. „Das war wie ein Mob“, schildert sie die üble Situation. „Am Ende meines Dienstes hat ein Autofahrer beim Vorbeifahren gerufen, ich sollte mal richtig durchgebumst werden.“

„Am Ende meines Dienstes hat ein Autofahrer beim Vorbeifahren gerufen, ich sollte mal richtig durchgebumst werden.“

Sabine (Name geändert)

Ein Tag, der nicht spurlos an Sabine vorbeizog. Die Masse an Beleidigungen hat sie überrumpelt. „Man kriegt Angst, man denkt, dass man verfolgt wird“, sagt sie. Was sie bis heute am meisten verwundert, ist die augenscheinliche Anlasslosigkeit. „Das lag wohl einfach nur an meiner Uniform.“ Und: Obwohl zahlreiche Passantinnen und Passanten die Situation mitbekommen hätten, habe keiner was gesagt. Eine Situation, die hilflos macht. Zwar sind auch die Mitarbeitenden des Verkehrsüberwachungsdienstes mit Bodycams ausgestattet, diese helfen jedoch nicht, wenn die Urheber der Beleidigungen nicht ersichtlich sind.

Moerser Bürgermeister findet den Vorfall „erschreckend“

Am nächsten Tag brach es aus Sabine heraus. Sie vertraute sich ihrem Team an. Es bestärkte sie, die Angelegenheit oben zu melden. Eine richtige Entscheidung, findet Bürgermeister Christoph Fleischhauer. Dass Sabine bereit war, über das Erlebte offen vor Vertreterinnen und Vertretern der Presse zu sprechen, findet er wichtig. „Die Angelegenheit hat eine ganz andere Qualität“, betont er. Dass beliebig im Kollektiv gegen eine städtische Mitarbeiterin gehetzt wurde, geht auch nicht spurlos am ersten Bürger der Stadt vorbei. Er findet deutliche Worte, besteht darauf, wortwörtlich so zitiert zu werden: „Mich kotzt dieses Verhalten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger an. Das macht mich richtig zornig.“ Der Vorfall sei „erschreckend“; es sei zudem wichtig, die Geschichte publik zu machen.

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Die Stadt hat Konsequenzen gezogen. Seit dem beispiellosen Vorfall laufen die Mitarbeitenden des Verkehrsüberwachungsdienstes nicht mehr alleine durch die Straßen, sondern werden von Kolleginnen und Kollegen des Ordnungsamtes begleitet. Dies habe in den vergangenen Tagen gut geklappt, heißt es aus dem Rathaus. Und wie geht es für Sabine weiter? „Ich habe das Glück, dass mein Mann und mein Team mich danach auffingen“, schildert sie. Verstecken kommt für sie nicht infrage - „deswegen bin ich ja auch hier.“ Sie möchte ihre eigenen Erlebnisse nutzen, um für das Thema zu sensibilisieren. Das Phänomen betreffe nicht nur Politessen, auch andere Bereiche, etwa Polizisten und Rettungskräfte, erlebten tagtäglich solche Situationen. „Es geht allen Menschen in Uniform so“, sagt sie und betont: „Wir sind auch Menschen.“