Herne. Für Unternehmen ist es fast das böse B-Wort: Bürokratie. Die Herner Firma schildert, was sie beachten muss und wie viel Bürokratie kostet.
Wenn Frank Eilers, Werkleiter des Wanner Chemie-Unternehmens Innospec, in diesen Tagen zur Arbeit fährt, kommt er regelmäßig an Großplakaten zur Bundestagswahl vorbei, die Bürokratieabbau versprechen. Doch da kommt Eilers ins Grübeln, denn die Bürokratie bereitet ihm in seiner täglichen Arbeit in vielen Bereichen eine Last. Sie koste Zeit und Geld. Erleichterungen? Ungewiss.
Gerade die Chemiebranche ist streng reguliert, es gibt eine Vielzahl von Vorschriften. Bundesimmissionsgesetz mit insgesamt 44 Einzelverordnungen, Betriebssicherheitsverordnung, Gefahrstoffverordnung und vieles mehr. Eilers muss jede Menge Dinge beachten. Im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion betont er, dass die Idee und Ziele der Gesetzgebung gut und richtig seien, doch er frage sich, ob es nicht einfacher ginge.
„Viele Dinge müssen doppelt erledigt werden - ohne umfassende Digitalisierung“
Als Beispiel nennt er die Industrie-Emissionsdirektive, eine EU-Verordnung. Darin wird beschrieben, welche Maßnahmen für potenziell mögliche Emissionen zu ergreifen sind. Doch über die EU-Vorgaben sei noch die deutsche Gesetzgebung gestülpt worden. „Das ist alles sehr kompliziert.“ Manchmal müssten noch weitere Nachweise erbracht werden, manchmal gebe es Diskussionen mit Behörden über Details. Das koste alles viel Zeit. „Das Ziel, die Umwelt zu schützen ist gut, das sollte nie durch Bürokratieabbau abgeschwächt werden, doch man muss sich fragen, was man tun kann, damit es nicht schlimmer wird“, so Eilers. Der Gesetzgeber solle versuchen, immer eine Handvoll Einzelvorschriften zu streichen, wenn eine neue Vorschrift eingeführt oder überarbeitet wird. Viele Dinge müssten auch doppelt erledigt werden - und das Ganze ohne eine umfassende Digitalisierung, die dabei hilfreich wäre. „Häufig sind öffentlich Behörden technisch und personell schlechter ausgestattet als Unternehmen“, so Eilers.
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Hinzu komme: Gesetzestexte sind lang und in komplizierter Juristensprache formuliert. „All das muss man lesen und verstehen, aber wir haben hier am Standort keine Stabsstelle dafür, in der sich Experten den ganzen Tag damit beschäftigen, die Gesetzessprache zu verstehen und fürs Unternehmen umzusetzen“, so Eilers. Diesen Sachverstand müsse man extern „einkaufen“. Das sei zeit- und kostenintensiv.
Im Personalbereich wächst die Zahl der Vorgaben
Die bürokratische Belastung findet auch an anderer Stelle statt. Gerade im Personalbereich gebe es anstatt einer Verschlankung ein Wachstum von Vorgaben, so Prokuristin und Personalleiterin Susanne Friesen. Als Beispiel nennt sie die sogenannte A1-Bescheinigung. Seit 2019 müsse für alle Mitarbeitenden, die Dienstreisen unternehmen, die „A1“ elektronisch beantragt werden. Damit versichere Innospec, dass der jeweilige Mitarbeitende in Deutschland weiterhin sozialversichert ist. Aber nicht nur das: Es müsse auch angegeben werden, wo der Mitarbeitende hinfährt, inklusive genauer Adresse seiner Wirkungsortes. „Für jede Reise füllen unsere Mitarbeiterinnen dieses elektronische Formular aus, das ist ein enormer zusätzlicher Aufwand“, so Friesen. Dabei sei die Idee hinter dieser EU-Vorgabe gut: So soll unter anderem Schwarzarbeit eingedämmt werden. In der Umsetzung habe die Personalabteilung einen deutlich höheren Aufwand. „Das macht man nicht mal eben nebenbei.“ Denn die Vertriebsmitarbeitenden von Innospec seien dauernd unterwegs - an rund 150 Tagen im Jahr.
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Sie nennt ein weiteres Beispiel: „Wir haben begrenzte Zoll-Expertise am Standort, doch die Vorschriften haben sich deutlich verändert.“ Bislang habe man Sachverstand von außen dazu geholt, nun werde dafür eine zusätzliche Stelle geschaffen - nur für die Abwicklung der Zollregularien. Das koste Geld und Zeit für die Ausbildung in diesem speziellen Gebiet.
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Vorgaben des Unternehmens sind teilweise strenger als die Gesetzgebung
Eilers: „Wir beschäftigen uns inzwischen mit einer Fülle von Pflichten, diese Zeit fehlt, um weitere Innovationen und Verbesserungen im Unternehmen voranzubringen. Das tut weh.“ Er bezweifelt, dass es die Politik innerhalb einer Legislaturperiode schafft, den Unternehmen einen Teil dieser Bürokratielast wieder zu nehmen. Zumal Parteien in Koalitionszwängen gefangen seien. Friesen weist zudem auf die verschiedenen Interessenverbände hin, die bei der Gesetzgebung - also der Bürokratie - mitwirken. So würden die Dinge immer weiter aufgebläht und die Produktion verteuert. Es sei sehr aufwändig, den Wald an Vorschriften wieder zu lichten, weiß Eilers aus seiner Erfahrung am Standort in Wanne. Wobei er darauf hinweist, dass auch Behörden daran gelegen sei, Dinge schnell zu regeln. „Alle wollen das Beste, aber gerade für Chemieunternehmen ist es sehr komplex.“ Es seien sehr viel Vorschriften zu beachten - und die seien nicht immer aufeinander abgestimmt. Eilers und Friesen betonen an dieser Stelle, dass die Vorgaben des eigenen Unternehmens teilweise strenger seien als die Gesetzgebung. „Wir geben alles dafür, dass wir hier sicher arbeiten und Umwelt und Nachbarschaft geschützt werden.“
Die Erwartung an die Politik sei, dass sie die Landschaft der Vorschriften ausdünnt, ohne Schutzziele aufzuweichen. „Das würde uns mittelfristig sehr helfen“, so Eilers. Wie sehr? Dazu nennt Friesen eine Zahl: Der finanzielle Aufwand für die Bürokratie liege jenseits von 100.000 Euro pro Jahr.
>>> Werk produziert Zusatzstoffe für Kraftstoffe
Das Werk in Wanne hieß früher Pluto-Chemie. 1904 gegründet, gehörte es lange zur Veba-Gruppe. Vor gut 27 Jahren übernahm die Firma Innospec - die ihren Hauptsitz in den USA hat - das Gelände an der Thiesstraße. Zurzeit sind etwa 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Sie produzieren Zusatzstoffe für Kraftstoffe für Fahrzeuge, Flugzeuge, Schiffe und Eisenbahnen. „Unsere Zusatzstoffe sorgen dafür, dass die Emissionen und der Verbrauch von Motoren sinken“, so Eilers. Dies werde auch stetig überprüft und nachgewiesen. Der Standort Herne gehöre bei der Produktion der Kraftstoff-Additive zu den wichtigsten innerhalb des Innospec-Konzerns.
Umfrage der Arbeitgeberverbände bestätigt die Erfahrungen von Innospec
Die Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen haben eine Umfrage unter ihren 425 Mitgliedsunternehmen gemacht. Daraus gehe hervor, dass immer mehr unter bürokratischen Vorschriften, zusätzlichen Regelungen und verschärften Gesetzen ächzten. Ein Drittel der befragten Unternehmen gibt Kosten von über 100.000 Euro pro Jahr an, ein Fünftel 50.000 bis 100.000,ein weiteres Drittel 20.000 bis 50.000 Euro.„ Wenn Unternehmer vor immer weiter steigender Bürokratie warnen und zu langsame Genehmigungsverfahren kritisieren meinen sie genau das, was die Ergebnisse unserer Umfrage im Detail widerspiegeln“, so Lars Bergmann, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände.