Herne. Zwei neue Impfungen werden für Säuglinge und Kleinkinder empfohlen. Die Kinderärzte würden sich mehr Unterstützung von den Kliniken wünschen.

Zwei neue Impf-Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) stellen Herner Kinderärztinnen und -ärzte vor organisatorische Probleme. Seit diesem Jahr gibt es eine offizielle Empfehlung für eine Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe B für Kinder bis zum fünften Geburtstag und für eine Prophylaxe gegen das RS-Virus für Säuglinge. Die Ärzte würden sich bei der zusätzlichen Arbeit mehr Unterstützung von den Herner Geburtskliniken wünschen.

Meningokokken sind Bakterien, die sich im Nasen-Rachen-Raum des Menschen ansiedeln. Binnen kürzester Zeit könne sich daraus eine Hirnhautentzündung entwickeln. „Es ist eine schwerwiegende und häufig tödlich verlaufende Erkrankung“, warnen die Obfrauen der Herner Kinderärztinnen und Kinderärzte, Dr. Özlem Aksünger und Dr. Anna den Brave. Durch die Impfung solle ein schwerer Verlauf verhindert werden. Sie empfehle die Impfung schon länger; dass es nun auch eine offizielle Empfehlung der Stiko gebe, habe einige Vorteile, sagt Dr. Özlem Aksünger. So müssten Eltern zwar weiterhin zunächst in Vorleistung für den knapp 120 Euro teuren Impfstoff sowie die Impfleistung in der Praxis gehen und ihn selbst in der Apotheke kaufen. Das Geld könnten sie sich aber von der Krankenkasse erstatten lassen.

Zahl der Meningokokken-Erkrankungen steigt

In Deutschland seien bis Ende Oktober bereits 284 Meningokokken-Erkrankungen gemeldet worden, davon 79 Meningokokken B, so die Zahlen, die Dr. Anna den Brave vorliegen. Genaue Angaben für Herne haben die Kinderärztinnen nicht, aber es gebe immer wieder Kinder auch aus Herne, die daran erkrankten. Insgesamt steige die Zahl der Erkrankungen deutschlandweit. Dabei sei die Erkrankung so schlimm, dass „man froh sein kann, wenn man sein Kind wieder mit nach Hause bekommt, wenn es das hatte“, so den Brave. „Je früher man impft, umso besser, da vor allem die Kleinen gefährdet sind“ so Dr. Aksünger weiter. Die Stiko empfiehlt eine Impfung im Alter von zwei Monaten, die gegebenenfalls bis zum fünften Geburtstag nachgeholt werden kann.

Kinderarztpraxen in Herne sind durch die neuen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zusätzlich belastet: Obfrau Dr. Anna den Brave freut sich dennoch über die offizielle Empfehlung.
Kinderarztpraxen in Herne sind durch die neuen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zusätzlich belastet: Obfrau Dr. Anna den Brave freut sich dennoch über die offizielle Empfehlung. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Die zweite, neu von der Stiko empfohlene Impfung, ist eine Immunisierung zum Schutz vor schweren Atemwegsinfektionen durch das RS-Virus. Diese sollen Säuglinge vor ihrer ersten RSV-Saison zwischen Oktober und März erhalten, um so einen schweren Verlauf der Erkrankung zu verhindern. „Bei Säuglingen im ersten Lebensjahr kann es zu Krankenhausaufenthalten und langwierigen Folgen im Lungenbereich führen wie Asthma“, erläutert Kinderärztin Dr. den Brave.

Aufgrund der Schwere der Erkrankung bis hin um Tod begrüßen die Sprecherinnen der Herner Kinderärzte die Stiko-Empfehlung zur Immunisierung gegen RSV ausdrücklich. Sie würden sich aber mehr Unterstützung der Herner Krankenhäuser wünschen. „Eigentlich sind die Geburtskliniken dafür da, Kinder bei der U2 zu impfen“, sagt Dr. Özlem Aksünger. In Nachbarstädten werde das häufig auch gemacht, nur leider nicht in Herne. „Hier impft keiner, das sollte anders sein.“

Würde sich bei den zusätzlichen Impfungen mehr Unterstützung der Krankenhäuser wünschen: Kinderärztin und Obfrau Dr. Özlem Aksünger.
Würde sich bei den zusätzlichen Impfungen mehr Unterstützung der Krankenhäuser wünschen: Kinderärztin und Obfrau Dr. Özlem Aksünger. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Denn so seien viele Arztkontakte nötig, die nicht sein müssten, wenn die Immunisierung in der Klinik erfolge, betont Dr. Aksünger. Für die Immunisierung, die ähnlich wie eine Impfung sei, müssten Eltern erst das Baby beim Kinderarzt vorstellen, erhielten dann ein Rezept, mit dem sie sich selbst den Immunisierungsstoff in der Apotheke abholen müssten, um dann zur Verabreichung wieder zum Kinderarzt zu gehen.

Und das Besorgen der Substanz kann durchaus schwierig sein. So erzählt den Brave von zwischenzeitlichen Lieferengpässen. Zum Teil helfe die Praxis Eltern, die es nicht selbst schafften, dabei, verschiedene Apotheken abzutelefonieren, wo derzeit der Immunisierungsstoff vorrätig sei. All das belaste nicht nur die Kinderarztpraxen, die in dieser Jahreszeit sowieso bereits am Limit arbeiteten, sondern koste wertvolle Zeit, in der das Kind sich bereits mit dem RS-Virus infizieren könne.

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Auf die Anfrage dieser Redaktion an die Geburtskliniken der St. Elisabeth-Gruppe, ob sie die Immunisierung gegen das RS-Virus durchführen und warum sie dies laut der Obfrauen der Kinderärzte nicht wie in den Nachbarstädten tun, teilt Dr. Sabine Edlinger, Geschäftsführerin der St. Elisabeth Gruppe – Katholische Kliniken Rhein-Ruhr kurz und knapp mit: „Eltern können ihre Neugeborenen, die im St. Anna Hospital Herne, im Marien Hospital Herne oder im Marien Hospital Witten zur Welt gekommen sind, in den Krankenhäusern im Rahmen der U2-Untersuchung gegen das RS Virus impfen lassen“.

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Ein weiteres Problem, das den Obfrauen der Kinderärzte in Herne Sorgen bereitet, ist die Entwicklung der Schulkinder. „Viele Eltern sind bei dem Wetter sozial-emotional belastet und kommen hilfesuchend in die Praxis“, sagt Dr. Anna den Brave. Das betreffe etwa Familien, bei denen beispielsweise die drei Kinder keinen Kita-Platz bekommen hätten und die Mutter die ganze Zeit mit den Kindern in einer viel zu kleinen Wohnung zu Hause sei und zu dieser Jahreszeit auch nicht so gut mit ihnen raus könne. „Das kann die Grenzen des Möglichen sprengen.“

„Gerade waren zudem viele Elternsprechtage in den Schulen, da kommen anschließend auch viele Eltern zu uns und möchten eine Ergo- oder Logotherapie für ihr Kind“, so Dr. Özlem Aksünger. Andere bäten um Hilfe, um endlich einen Kita-Platz für ihr Kind zu bekommen. Beide Kinderärztinnen betonen, wie wichtig ein Kita-Platz für jedes Kind wäre. „Idealerweise ab drei Jahren, spätestens aber im Jahr vor der Schule sollte jedes Kind die Möglichkeit der Betreuung und Bildung in einer Kita bekommen“, fordert Dr. Anna den Brave.

„Der Medienkonsum ist so extrem hochgegangen“, beobachtet Dr. Özlem Aksünger zudem. Das führe zu Auffälligkeiten wie Aggression oder einer schlechten Sprachentwicklung. „Wir glauben nicht, dass Kinder mit irgendwelchen Apps Englisch lernen sollten.“ Zudem kritisiert sie, dass die Kinder in den Schulen Tablets ohne jeglichen Schutz mit nach Hause bekämen, bei denen keine Zeitbegrenzung eingestellt werden könne. „Das führt in den Familien zu noch mehr Streit.“