Herne/Bochum. Ein übermüdeter Herner schüttelt sein Baby - das Kind bleibt ein Pflegefall. Die eigentliche Strafe ist viel höher als das Gefängnis-Urteil.

Weil er sein fünf Wochen altes Baby so schwer geschüttelt hat, dass es irreversible Hirnschäden erlitt, ist ein Vater aus Herne am Bochumer Landgericht zu acht Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Das Motiv für die Gewalttat macht sprachlos: Laut Urteil schüttelte der 32-Jährige sein Kind, um ungestört seinen Rausch ausschlafen zu können. Auch sein Vor- und Nachtatverhalten erschüttert.

„Sie haben ihre eigenen Bedürfnisse – das Ausruhen nach einer durchzechten Nacht – über die Belange ihres kleinen Sohnes gestellt“, sagte Richter Thorsten Fülber bei der Urteilsverkündung, gerichtet an den Angeklagten.

Der Vater hatte in dem seit Ende Juli laufenden Prozess erst ganz zum Schluss doch noch sein Schweigen gebrochen und ein (Teil-)Geständnis abgelegt. Das nahm die 1. Strafkammer zwar zur Kenntnis - mehr aber auch nicht. „Denn das Geständnis zu kam zu einem Zeitpunkt, als wir schon alles wussten“, hieß es. Die „bedrückenden Feststellungen“ zu der Gewalttat, so das Gericht, habe man allesamt durch die Beweisaufnahme gewonnen.

Der Richter über den Herner Säugling: „Er war ein Sonnenschein“

Die Tat geht zurück auf den 5. August 2023. Der Vater hatte seiner Partnerin, der Kindsmutter, zuvor zugesagt, sich an diesem Morgen um den Säugling zu kümmern, weil die Frau eine Verabredung für die Teilnahme am Kirmesumzug hatte. Das Kind, so betonten die Richter, sei „pflegeleicht, kerngesund“ und keineswegs ein Schreikind gewesen. Im Gegenteil. „Er war ein Sonnenschein“, so Richter Thorsten Fülber.

Trotz der Betreuungszusage war der 32-Jährige am Vorabend im Anschluss an seine Schicht als Kellner in einer Bochumer Kneipe versackt, fremdgegangen, denn er hatte mit einer Bekannten Sex auf dem Damenklo. Erst gegen 4.30 Uhr fuhr er betrunken (mehr als ein Promille) zurück nach Herne. Obwohl übermüdet und genervt, schlug der Herner mehrere Angebote aus, die von ihm zugesagte Kinderbetreuung doch noch anderweitig zu vergeben, versprach seiner Partnerin laut Urteil frühmorgens: „Ich mach‘ das schon!“. Ein fataler Fehler, so das Gericht. Denn nur wenige Minuten, nachdem die Kindsmutter die Wohnung an der Rottbruchstraße verlassen hatte, passierte das Unvorstellbare.

Ärzte diagnostizierten schwerste Hirnschädigungen

„In seiner Wut schlug der Angeklagte das Kind erst mit der flachen Hand ins Gesicht“, urteilte das Gericht. Und um das quengelnde Kind „endlich zur Ruhe zu bringen, griff er mit beiden Händen unter die Achseln und schüttelte es ruckartig mit erheblichem Krafteinsatz“. Etwaiges Mitgefühl sei ihm zu diesem Zeitpunkt völlig abhandengekommen.

Am frühen Nachmittag war das Baby damals in die Kinderklinik des Bochumer St. Josef Hospitals gebracht worden. Dort diagnostizierten Ärzte schwerste Hirnschädigungen. Es bestand akute Lebensgefahr, das Kind musste künstlich beatmet werden. Und die Aussichten auf Besserung sind verheerend. Der heute 16 Monate alte Junge werde sein Leben lang an körperlichen und geistigen Behinderungen leiden, werde nie laufen lernen, womöglich auch nie richtig sehen können, hieß es. Schon jetzt sei rechnerisch eine Entwicklungsverzögerung von neun Monaten festzustellen. Richter Thorsten Fülber: „Wenn man bedenkt, wie alt das Kind erst ist, kann man ermessen, was das bedeutet. Es wird ein Leben sein, das von hochgradiger Pflegebedürftigkeit geprägt ist.“

Herner muss 200.000 Euro Schmerzensgeld zahlen

Das Verhalten des Angeklagten nach der Tat - er hatte sich nachweislich exakt während des Todeskampfes des von ihm geschüttelten Kindes mit einer Kneipen-Bekanntschaft unverblümt via Handy-Chat zum Sex verabredet - nannte das Gericht im Urteil „menschlich auf tiefster Stufe stehend“. Neben der Haftstrafe, die dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprach, verurteilte die 1. Strafkammer den Vater auch zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro.

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In nur wenigen Augenblicken habe der Herner durch die Schüttelattacke nicht nur das Leben seines Sohnes, sondern auch das seiner damaligen Partnerin „in eine Katastrophe verwandelt“, hieß es direkt an den Angeklagten gerichtet. Und weiter: „Sie werden mit der Schuld leben müssen, mehr als ein Leben zerstört und belastet zu haben. Nicht nur das ihres eigenen Kindes, sondern auch das der Kindsmutter.“

Das Urteil lautet auf schwere Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen.